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EuGH: Inhouse-Geschäfte bei Minderheitsbeteiligungen erschwert (Urteil v. 29.11.2012 – Rs. C-182/11 und C-183/11, „Econord“)

EU-RechtBau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträge sind seit dem Teckal-Urteil des EuGH aus dem Jahr 1999 nicht ausschreibungspflichtig, wenn der öffentliche Auftraggeber über den Auftragnehmer eine Kontrolle ausübt wie über seine eigenen Dienststellen („Kontrollkriterium“) und wenn der Auftragnehmer seine Tätigkeit im Wesentlichen für den öffentlichen Auftraggeber verrichtet, der seine Anteile innehat („Wesentlichkeitskriterium“). Während die – ganz gleich in welcher Höhe – Beteiligung eines privaten Gesellschafters an dem auftragnehmenden Unternehmen einer Kontrolle entgegensteht, ist das Kontrollmerkmal grundsätzlich auch dann erfüllt, wenn das Kapital des Auftragnehmers nicht nur von einer, sondern von mehreren öffentlichen Körperschaften gehalten wird. Hieraus wurde von Rechtsprechung und Literatur bislang überwiegend gefolgert, dass auch der Minderheitsgesellschafter einem Gemeinschaftsunternehmen vergaberechtsfrei einen öffentlichen Auftrag erteilen kann. Insoweit wurde es für ausreichend erachtet, dass die Kontrolle von den öffentlichen Gesellschaftern gemeinsam ausgeübt wird. Nun hat der EuGH mit seinem Urteil vom 29.11.2012 (Rs. C-182/11 und C-183/11 „Econord“) das Kontrollkriterium für Gemeinschaftsunternehmen der öffentlichen Hand verschärft.

Sachverhalt

Gegenstand des Vorabentscheidungsersuchens eines italienischen Gerichtes war die Frage, ob 36 italienische Gemeinden, die lediglich geringfügig am Kapital einer öffentlichen Aktiengesellschaft beteiligt sind (gemeinsam 0,2%), dieses Unternehmen vergaberechsfrei mit der Erbringung von Gesundheitsdienstleistungen im Wege eines Inhouse-Geschäftes beauftragen können. Die Aktienmehrheit an der öffentlichen Gesellschaft hält mit 99,8% eine andere Gemeinde. Darüber hinaus können die minderheitlich am Kapital beteiligten Gemeinden jeweils einen Vertreter in den Aufsichts- und Verwaltungsrat des Gemeinschaftsunternehmens entsenden.

Entscheidung

Der EuGH hat zunächst bestätigt, dass eine Kontrolle wie über eine eigene Dienststelle vorliegt, wenn der öffentliche Auftraggeber sowohl auf die strategischen Ziele als auch auf die wichtigen Entscheidungen des Auftragnehmers ausschlaggebenden Einfluss nehmen kann. Die Vergabestelle muss in der Lage sein, „eine strukturelle und funktionelle Kontrolle“ über das auftragnehmende Unternehmen auszuüben, die „wirksam“ ist (Erw.grd. 27). Wenn mehrere öffentliche Stellen hingegen eine „gemeinsame Einrichtung zur Erfüllung einer gemeinsamen Gemeinwohlaufgabe einschalten“, ist es „zwar nicht unbedingt erforderlich, dass jede dieser Stellen allein ein individuelles Kontrollrecht über diese Einrichtung hat, doch darf die über die Einrichtung ausgeübte Kontrolle nicht nur auf der Kontrollbefugnis der öffentlichen Stelle beruhen, die Mehrheitsaktionärin der betreffenden Einrichtung ist, da andernfalls das Konzept der gemeinsamen Kontrolle ausgehöhlt würde“ (Erw.grd. 30). Wenn einer Vergabestelle „nicht die geringste Möglichkeit einer Beteiligung an der Kontrolle über diese Einrichtung“ zusteht, würde schon „ein rein formaler Beitritt zu einer solchen Einrichtung oder deren gemeinsamen Leitungsorgan diesen öffentlichen Auftraggeber von der Verpflichtung befreien“, europäisches Vergaberecht anwenden zu müssen (Erw.grd. 31). Jeder der öffentlichen Gesellschafter muss daher „sowohl am Kapital als auch an den Leitungsorganen der Einrichtung beteiligt“ sein (Erw.grd. 33).

Deutsches VergabenetzwerkFazit

Die Entscheidung des EuGH erschwert die interkommunale Zusammenarbeit im Rahmen von Gemeinschaftsunternehmen, indem geringfügige Minderheitsbeteiligungen nicht den strengen Anforderungen des EuGH an das Vorliegen eines Inhouse-Geschäftes genügen, wenn der öffentliche Minderheitsgesellschafter nicht die geringste strukturelle und funktionelle Kontrolle ausüben kann. Rein symbolische Unternehmensbeteiligungen ohne jegliche Einflussnahmemöglichkeit auf Leitungsorgane des Auftragnehmers begründen demnach kein Inhouse-Geschäft. Offen lässt der EuGH allerdings die praktisch bedeutsame Frage, in welchem konkreten Umfang öffentliche Minderheitsgesellschafter tatsächlich an der Kontrolle teilhaben müssen, um ein Inhouse-Geschäft begründen zu können. Ist beispielsweise bereits die Entsendung eines Aufsichtsratsmitgliedes durch den öffentlichen Minderheitsgesellschafter ausreichend, wenn dieses Mitglied alleine keinen ausschlaggebenden Einfluss bei der Beschlussfassung des Aufsichtsratsgremiums nehmen kann? Es steht daher zu befürchten, dass die Zahl der Nachprüfungsverfahren mit inhouse-rechtlichen Bezügen in Zukunft eher zunehmen als sinken wird. Schließlich sollte die öffentliche Hand ihre minderheitlichen Unternehmensbeteiligungen auf ihre Inhouse-Festigkeit neu überprüfen.

Schröder_Holger___17815Rechtsanwalt Holger Schröder verantwortet als Partner bei Rödl & Partner in Nürnberg den Bereich der vergaberechtlichen Beratung. Er betreut seit vielen Jahren eine Vielzahl von VOL/VOB/VOF/SektVO-Verfahren öffentlicher Auftraggeber von der Bekanntmachung bis zur Zuschlagserteilung. Die Expertise wird durch zahlreiche Fachveröffentlichungen und einschlägige Vortragstätigkeiten bestätigt. Mehr Informationen finden Sie im Autorenverzeichnis.

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Über Holger Schröder

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Vergaberecht Holger Schröder verantwortet als Partner bei Rödl & Partner in Nürnberg den Bereich der vergaberechtlichen Beratung. Er betreut seit vielen Jahren zahlreiche Verfahren öffentlicher Auftraggeber, Sektorenauftraggeber und Konzessionsgeber zur Beschaffung von Bau-, Liefer- und Dienstleistungen von der Bekanntmachung bis zur Zuschlagserteilung. Er ist Autor zahlreicher Fachveröffentlichungen und und referiert regelmäßig zu vergaberechtlichen Themen. Herr Schröder ist Lehrbeauftragter für Vergaberecht an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen und ständiges Mitglied im gemeinsamen Prüfungsausschuss "Fachanwalt für Vergaberecht" der Rechtsanwaltskammern Nürnberg und Bamberg.

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