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Generalanwalt beim EuGH: Ärztekammern sind keine öffentlichen Auftraggeber! (Rechtssache C‑526/11 gegen Ärztekammer Westfalen-Lippe)

Schlussanträge des Generalanwalts beim EuGH Paolo Mengozzi vom 30.01.2013, Rechtssache C‑526/11, IVD GmbH & Co. KG gegen Ärztekammer Westfalen-Lippe

ParagraphDarüber, wann gebühren-, steuer- oder beitragsfinanzierte Einrichtungen öffentliche Auftraggeber sind, lässt sich trefflich streiten. Die Be­fürworter und die Gegner haben stets Argumente zur Hand, schwingt doch das Pendel der Rechtsprechung hin (Rundfunkanstalten) und her (Kirchen). Es war nur eine Frage der Zeit, bis die berufständischen Kammern noch einmal auf den Prüfstand kommen.

Die Ärztekammer Westfalen-Lippe hatte in dem Ausgangsrechtsstreit den Druck und den Versand ihres Mitteilungsblatts im Amtsblatt der Europäischen Union ausge­schrieben. Die Frage, ob sie überhaupt öffentliche Auftraggeberin ist, entbrannte bemerkenswerter Weise erst im Nachprüfungsverfahren. Und dies keineswegs unberechtigt! Das Oberlandesgericht Düsseldorf sah sich am Ende dazu genötigt, den EuGH zu der Frage anzurufen, ob die Ärzte­kammer eine Einrichtung des öffentlichen Rechts und somit öf­fentliche Auftraggeberin ist (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 05.10.2011, VII-Verg 38/11).

Der Düs­seldorfer Vergabesenat hat es sich an dem Punkt nicht einfach gemacht. Er hätte der die Auftraggebereigenschaft der Ärztekammern bejahenden Rechtsprechung folgen können (VK Münster, B. v. 13.02.2008 – Az.: VK 29/07). Der Senat will es jetzt aber genau wissen. Er will die Frage geklärt haben, unter welchen Umständen eine mittelbare staatliche Finanzierung durch gesetzliche Begründung eines Beitragserhebungsrechts für die Bejahung eines hinreichenden staatlichen Einflusses ausreicht.

Nun liegt eine erste Einschätzung vor. Der Generalanwalt beim EuGH, Paolo Mengozzi, spricht sich in seinen Schlussanträgen dagegen aus, Ärztekammern als eine Ein­richtung des öffentlichen Rechts im Sinne der Vergabekoordinierungsrichtlinie anzusehen. Er legt den Art. 1 Abs. 9 UAbs. 2 c) VKR restriktiv aus. Diese Vorschrift bestimmt:

„Als ‚Einrichtung des öffentlichen Rechts’ gilt jede Einrichtung, die zu dem besonderen Zweck gegründet wurde, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nicht gewerblicher Art zu erfüllen, Rechtspersönlichkeit besitzt und überwiegend vom Staat, von Gebiets­körperschaften oder von anderen Einrichtungen des öffentlichen Rechts finanziert wird, hinsichtlich ihrer Leitung der Aufsicht durch Letztere unterliegt oder deren Verwal­tungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgan mehrheitlich aus Mitgliedern besteht, die vom Staat, von den Gebietskörperschaften oder von anderen Einrichtungen des öffentlichen Rechts ernannt worden sind.“

Eine überwiegend staatliche Finanzierung, so der Generalanwalt, könne sich zwar aus dem Heilberufsgesetz NRW ergeben. Dieses ermächtigt die Ärztekammern, bei ihren Mitgliedern Kammer­beiträge zu erheben. Eine Besonderheit liege aber darin, dass das HeilBerG NRW die Höhe der Beiträge nicht festsetze. Genauso wenig bestimme das Lan­desgesetz die Art und den Umfang der Aufgaben der Ärztekammer. Der Generalanwalt sieht hier Spielräume der Ärztekammer, aufgrund derer es an einer engen Verbindung der Ein­richtung zum Staat fehle. Hierin unterscheide sich der Fall gerade von Fällen, in denen der Gerichtshof die funk­tionale Auftraggebereigenschaft bejaht hatte, nämlich bei den Rundfunkanstalten und den Krankenkassen (EuGH, Urteil vom 13.12.2007 – Rs. C-337/06; Urteil vom 11.06.2009 – Rs. C-300/07) Dazu komme, dass die Ärztekammer nur einer beschränkten Rechts-, nicht aber der Fachaufsicht unterliege.

Bemerkenswert ist, dass sich der Generalanwalt bei seiner Auslegung über die im Anhang III der Vergabekoordinierungsrichtlinie aufgeführten Regelbeispiele hinwegsetzt. Er beinhaltet ein „Ver­zeichnis der Einrichtungen des öffentlichen Rechts und der Kategorien von Einrichtungen des öffentlichen Rechts nach Art. 1 Abs. 9 Unterabsatz 2.“. Deutschland hatte seinerzeit dort die Ärztekammern eintragen lassen. Der Generalanwalt wertet die Beispiele als widerleg­bare Vermutungstatbestände und behauptet, er könne die Vermutung widerlegen.

Ob sich der Gerichthof dieser recht gewagten Argumentation anschließen wird, ist ungewiss. Richtig ist zwar, dass er – rein statistisch gesehen – dazu neigt, den Schlussanträgen der Gene­ralanwälte zu folgen. Andererseits gibt es spektakuläre Fälle, in denen der Ge­richtshof die Schlussanträge verworfen hat, wie zuletzt in der Entscheidung der Großen Kammer zu den öffentlich-öffentlich Partnerschaften „Gesundheitsverwaltung Lecce“ (EuGH, Urteil vom 19.12.2012 – Rs. C-159/11). In dem vorliegenden Fall ist es wahr­scheinlich, dass der Gerichtshof dem Generalanwalt nicht folgen wird. Erstens hat der EuGH in der Vergangenheit den persönlichen Anwendungsbereich des Vergaberechts in zahlreichen Fällen extensiv ausgelegt (EuGH, Urteil vom 01.02.2001 – Rs. C-237/99; Urteil vom 15.05.2003 – Rs. C-214/00; Urteil vom 13.12.2007 – Rs. C-337/06; Urteil vom 11.06.2009 – Rs. C-300/07). Und zweitens wird er sich in einer historischen Auslegung der Vergabekoordinie­rungsrichtlinie damit auseinandersetzen müssen, warum Deutschland die Ärztekammern im Anhang als öffentliche Auftraggeber vorgeschlagen hat.Deutsches VergabenetzwerkDer Gerichtshof spielt mit hohem Einsatz. Der Anhang III der Richtlinie nennt die Ärzte­kammern mitnichten alleine. Sie sind nur ein Unterfall der berufständischen Vereinigungen, die ihrerseits ein Fall der grundsätzlich vergabepflichtigen Körperschaften sind. Unter die dort aufgezählten Körperschaften fallen auch die wissenschaftlichen Hoch­schulen und verfassten Studentenschaften, zahlreiche be­rufsständische Vereinigungen (Rechtsanwalts-, Notar-, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer-, Architekten-, Ärzte- und Apothe­kerkammern), Wirtschaftsvereinigungen (Landwirt­schafts-, Handwerks-, Indust­rie- und Han­delskammern, Handwerksinnungen, Handwer­kerschaften), Sozialversiche­rungen (Kranken­kassen, Unfall- und Rentenversicherungs­träger), Kassenärztliche Ver­einigungen, Genossen­schaften und Verbände.

Vielfach befolgen diese Körperschaften das Vergaberecht bereits. Die Rechtsprechung muss aber immer wieder nachhelfen (Nachweise bei Weyand, Vergaberecht Praxiskommentar, 4. Auflage, 2013, § 98 GWB, Rn. 50, 72). Eine die Vergabepflichtigkeit bejahende Entschei­dung könnte eine Signalwirkung für andere Bereiche entfalten. Sie könnte einige der Körperschaften dazu bewegen, das Vergaberecht mit noch mehr Überzeugung anzuwenden. Schlösse sich der Gerichtshof dagegen dem Gene­ralanwalt an, würden wahrscheinlich einige alte Streitigkeiten wieder hochkochen.

Update 14.09.2013

Der Europäische Gerichtshof hat überraschend entschieden, dass Ärztekammern KEINE Einrichtungen des öffentlichen Rechts sind und damit nicht dem europäischen Vergaberecht unterliegen. Er schließt sich damit dem Vorschlag des Generalanwaltes an, was Roth in einer ersten Besprechung im Vergabeblog als „eine kleine Sensation“ wertet (vgl. Berufsständische Vereinigungen keine öffentlichen Auftraggeber (EuGH, Urteil v. 12.09.2013 – C‑526/11 von Dr. Frank Roth).

Ist damit geklärt, dass berufsständische Einrichtungen mit organisatorischer und haushaltstechnischer Autonomie KEINE öffentlichen Auftraggeber sind (Roth, a.a.O.), stellt sich nun die Frage, ob und ggfs. wie sich das neue Urteil auf die Übrigen im Anhang III VKR genannten Körperschaften auswirkt (s. oben). Alleine die Listung in dem Anhang begründet – so der EuGH – jedenfalls keine unwiderlegbare Vermutung dafür, dass die Einrichtung ein vergabepflichtiger öffentlicher Auftraggeber ist. Stattdessen ist jeder Einzelfall für sich zu beurteilen.

imageDer Autor Dr. Christof Schwabe, LL.M. (Aberdeen) ist Rechtsanwalt der Kanzlei KDU Krist Deller & Partner Rechtsanwälte in Koblenz und Wiesbaden. Er betreut vergaberechtlich bieterseitig Unternehmen in den Bereichen Straßenausstattung, Abfall, Post und Medizintechnik und berät zudem öffentliche Auftraggeber und Fördermittelempfänger bei der Vergabe von Liefer-, Dienst- und Planungsleistungen. Dr. Schwabe ist Autor zahlreicher Fachveröffentlichungen und referiert regelmäßig zu vergaberechtlichen Themen.“ Mehr Informationen finden Sie im Autorenverzeichnis.

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Über Dr. Christof Schwabe, LL.M.

Dr. Christof Schwabe, LL.M. (Aberdeen) ist Rechtsanwalt der Kanzlei KDU Krist Deller & Partner Rechtsanwälte in Koblenz und Wiesbaden. Er betreut vergaberechtlich bieterseitig Unternehmen in den Bereichen Straßenausstattung, Abfall, Post und Medizintechnik und berät zudem öffentliche Auftraggeber und Fördermittelempfänger bei der Vergabe von Liefer-, Dienst- und Planungsleistungen. Dr. Schwabe ist Autor zahlreicher Fachveröffentlichungen und referiert regelmäßig zu vergaberechtlichen Themen.

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