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Keine ausschreibungsfreie Zusammenarbeit bei kommunalen Hilfsaufgaben möglich (EuGH, Urteil v. 13.6.2013 – C-386/11 „Piepenbrock“)

EU-RechtGegenstand der Entscheidung war ein Vorabentscheidungsersuchen des nordrhein-westfälischen Vergabesenats mit dem die Frage geklärt werden sollte, ob eine öffentlich-rechtliche Vereinbarung (i.S. GkG NRW) zwischen zwei Gebietskörperschaften ausschreibungspflichtig ist, in dem der einen Kommune eine verwaltungsunterstützende Hilfsaufgabe gegen Kostenerstattung von der anderen Gebietskörperschaft übertragen werden sollte.

In dem zugrundeliegenden Fall wollte der Kreis Düren die Stadt Düren für eine Pilotphase von zwei Jahren mit der Reinigung seiner kreiseigenen, auf dem Gebiet der Stadt Düren befindlichen Büro-, Verwaltungs- und Schulgebäude gegen eine finanzielle Entschädigung direkt und ohne Durchführung eines Vergabeverfahrens beauftragen. Der Vertragsentwurf sah unter § 1 vor (vgl. Erw.grd. 11):

„1. Der Kreis Düren überträgt die ihm obliegende Aufgabe der Reinigung seiner im Stadtgebiet Düren gelegenen und in seinem Besitz befindlichen Gebäude mit befreiender Wirkung auf die Stadt Düren.

2. Die Aufgabe der Reinigung umfasst die Gebäude- und Glasreinigung in Büro-, Verwaltungs- und Schulgebäuden des Kreises Düren.

3. Die unter Abs. 1 und 2 beschriebene Aufgaben übernimmt die Stadt Düren in ihre alleinige Zuständigkeit. Das Recht und die Pflicht zur Erfüllung dieser Aufgabe gehen auf die Stadt Düren über (§ 23 Abs. 1, erste Alt., Abs. 2 S. 1 GkG NRW). Die Stadt Düren übernimmt die Pflichten des Kreises und ist insoweit allein verantwortlich.

4. Die Stadt Düren darf sich zur Erfüllung der ihr nach Abs. 1 übertragenen Aufgaben Dritter bedienen.“

Die Reinigungsaufgaben sollten nicht von der Stadt Düren selbst, sondern von der städtischen Dürener Reinigungsgesellschaft mbH erbracht werden. Kreis und Stadt Düren waren im Wesentlichen der Ansicht, dass ein solche öffentlich-rechtliche Aufgabenübertragung als Entscheidung über die innerstaatliche Organisation nicht dem Vergaberecht unterliegt (vgl. Erw.grd. 17). Ein privatwirtschaftlicher Gebäudereiniger, die Piepenbrock Dienstleistungen GmbH & Co. KG, die bislang die Reinigungsarbeiten an den Gebäuden des Kreises Düren durchgeführt hat, leitete hiergegen ein vergaberechtliches Nachprüfungsverfahren ein. Das private Gebäudereinigungsunternehmen war der Ansicht, dass auch der Abschluss einer öffentlich-rechtlichen Vereinbarung zwischen Stadt und Kreis Düren zum Zwecke der Gebäudereinigung ein öffentlicher Auftrag und damit ausschreibungspflichtig sei, weil es sich um eine marktgängige Leistung handele und von privaten Dienstleistern erbracht werden könne (vgl. Erw.grd. 15).

Entscheidung

Die Luxemburger Richter gaben der Piepenbrock Dienstleistungen GmbH & Co. KG recht.

Bei der öffentlich-rechtlichen Vereinbarung zwischen Kreis und Stadt Düren handelt es sich grundsätzlich um einen ausschreibungspflichtigen öffentlichen Auftrag. Denn nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH [Urteil vom 13.5.2005 – C-84/03 „Kommission/Spanien“] liegt ein ausschreibungspflichtiges Auftragsverhältnis grundsätzlich auch dann vor, wenn sowohl der Auftraggeber als auch der Auftragnehmer der öffentlichen Hand zuzurechnen sind (Erw.grd. 29). Alleine die öffentliche Rechtsstellung der Stadt Dürfen befreit den Kreis Düren nicht von der Beachtung des Vergaberechts.

Etwas anderes gilt nur ausnahmsweise dann, wenn die öffentlichen Stellen eine Zusammenarbeit bei der Wahrnehmung einer ihnen allen obliegenden öffentlichen Aufgabe vereinbaren [EuGH, Urteil vom 19.12.2012 – C-159/11 „Lecce“]. Eine Ausschreibungspflicht besteht danach nicht,

· sofern solche Verträge ausschließlich zwischen öffentlichen Einrichtungen ohne Beteiligung Privater geschlossen werden,

· kein privater Dienstleister besser gestellt wird als seine Wettbewerber und

· die darin vereinbarten Zusammenarbeit nur durch im öffentlichen Interesse liegende Ziele bestimmt wird [EuGH, Urteil vom 9.6.2009, C-480/06 „Kommission/Deutschland“].

Alle vorgenannten Kriterien müssen kumulativ vorliegen (Erw.grd. 38). In dem zugrundeliegenden Rechtsstreit hat der EuGH eine vergaberechtsfreie Zusammenarbeit von Kreis und Stadt Düren zur Wahrnehmung einer gemeinsamen Gemeinwohlaufgabe verneint (Erw.grd. 39). Die Erfüllung von Gebäudereinigungsarbeiten stellt somit keine Zusammenarbeit dar, die nur durch im öffentlichen Interesse liegende Ziele bestimmt wird. Ihre Rechtsauffassung haben die Luxemburger Richter zusätzlich mit dem Argument bekräftigt, dass es der Stadt Düren nach der öffentlich-rechtlichen Vereinbarung auch gestattet werden sollte, einen Dritten, d.h. insbesondere ihre städtische Reinigungsgesellschaft (vgl. Erw.grd. 14), mit der Reinigung zu beauftragen. Dadurch wird der Dritte gegenüber den übrigen auf demselben Markt tätigen Unternehmen begünstigt, weshalb auch aus diesem Grund eine Ausschreibungsfreiheit ausscheiden muss (Erw.grd. 40). Auch die Voraussetzungen eines vergaberechtsfreien Inhouse-Geschäftes zwischen dem Kreis und der Stadt Düren lagen zweifelsfrei nicht vor, weil der Kreis über die Stadt Düren schon keine Kontrolle wie über eine eigene Dienststelle ausüben kann (Erw.grd. 35).

Deutsches VergabenetzwerkFazit

Die Entscheidung des EuGH reiht sich in dessen bisherige Rechtsprechung zur interkommunalen Zusammenarbeit [Urteile vom 9.6.2009 – C-480/06 „Kommission/Deutschland“ und vom 19.12.2012 – C-159/11 „Lecce“) ein. Bemerkenswert an dem Urteil ist aber zum einen, dass der EuGH bloße verwaltungsunterstützende Hilfsaufgaben bzw. Hilfstätigkeiten der Verwaltung (z.B. Gebäudereinigung) nicht als taugliche Inhalte einer ausschreibungsfreien interkommunalen Zusammenarbeit einordnet. Eine vergaberechtsfreie Zusammenarbeit scheint deshalb nur bei öffentlichen Gemeinwohlaufgaben bzw. hoheitlichen Aufgaben (z.B. Abfallentsorgung) möglich zu sein. Zum anderen hält der EuGH die mögliche Einbindung eines Dritten im Rahmen der interkommunalen Aufgabenerfüllung für das Vorliegen einer Ausschreibungsfreiheit für schädlich, selbst wenn der Dritte vom öffentlichen Auftragnehmer alleine beherrscht wird.

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Über Holger Schröder

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Vergaberecht Holger Schröder verantwortet als Partner bei Rödl & Partner in Nürnberg den Bereich der vergaberechtlichen Beratung. Er betreut seit vielen Jahren zahlreiche Verfahren öffentlicher Auftraggeber, Sektorenauftraggeber und Konzessionsgeber zur Beschaffung von Bau-, Liefer- und Dienstleistungen von der Bekanntmachung bis zur Zuschlagserteilung. Er ist Autor zahlreicher Fachveröffentlichungen und und referiert regelmäßig zu vergaberechtlichen Themen. Herr Schröder ist Lehrbeauftragter für Vergaberecht an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen und ständiges Mitglied im gemeinsamen Prüfungsausschuss "Fachanwalt für Vergaberecht" der Rechtsanwaltskammern Nürnberg und Bamberg.

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5 Kommentare

  1. René Kieselmann

    Danke für den Beitrag. Ich frage mich, warum Sie im Fazit hinter „hoheitlichen Aufgaben“ das Beispiel „Abfallentsorgung“ bringen. Das erinnert mich an die Begriffsverwirrung im Bereich der Rettungsdienstausschreibungen, wo auch regelhaft der Begriff „hoheitlich“ verwendet wurde, um eine Ausschreibungspflicht zu verneinen. EU-rechtlicher Anknüpfungspunkt für den Begriff „hoheitlich“ ist ggf. Art. 51 AEUV („Ausübung öffentlicher Gewalt“).

    Reply

  2. RA Martin Adams, Mag. rer. Publ.

    Dass der EuGH es nun als schädlich betrachtet, wenn auf Seiten des kommunalen „Auftragnehmers“ ein Dritter eingeschaltet wird, steht m.E. in Widerspruch zu der Stadtreinigung Hamburg Entscheidung des EuGH. Im Übrigen bin ich gespannt, wie die deutsche Rechtsprechung darauf reagiert, die für die Abgrenzung Vergabepflicht ja oder nein ja eher zwischen Maandatierung und Delegation entscheidet. Dazu verhält sich der EuGH gar nicht. Nicht zuletzt muss hier der EuGH für Klarheit sorgen. Dazu bietet ihm der Vorlagebeschluss des OLG Düsseldorf passende Gelegenheit. Das OLG Düsseldorf (Beschluss vom 06.07.2011 – Az. VII-Verg 39/11) hat bekanntlich folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

    Ist unter einem “Öffentlichen Auftrag” im Sinne von Art. 1 Abs. 2 lit. a) der Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rats vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge (ABl. L 134 S. 114) auch ein Vertrag zwischen zwei Gebietskörperschaften zu verstehen, durch den eine von ihnen der anderen eine eng begrenzte Zuständigkeit gegen Kostenerstattung überträgt, insbesondere dann, wenn die übertragene Aufgabe nicht die hoheitliche Tätigkeit als solche, sondern nur Hilfsgeschäfte betrifft?

    Reply

  3. Till Horst

    Die Piepenbrock-Entscheidung IST doch die Antwort des EuGH auf den Vorlagebeschluss des OLG Düsseldorf vom 06.07.2011 (Az. VII-Verg 39/11)…

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  4. Dr. Marc Röbke

    Liebe Kollegen,

    vielen Dank, Herr Schröder, für den Beitrag!

    Herr Adams, ich denke, dass der Gerichtshof zumindest indirekt (ohne die Begriffe zu verwenden) auf die Differenzierung zwischen Mandantierung und Delegation eingeht, indem er (anders als der vorlegende Düsseldorfer Vergabesenat) in seiner Entscheidung auch darauf abstellt, dass der Kreis Düren ein vertragliches Recht bekommen sollte, die Leistungserbringung zu kontrollieren und bei Schlechtleistung die Vereinbarung gar zu kündigen.

    In dieser (im Vorlagebeschluss nicht angesprochenen) Regelung liegt nach meiner Einschätzung das eigentliche, der Vergaberechtsfreiheit entgegenstehende Problem. Der Vertrag war materiell schlicht keine delegierende, sondern eine mandatierende Vereinbarung. Wenn eine delegierende Vereinbarung abgeschlossen wird, ist nach meinem Verständnis die Zuständigkeit (bis zur Rückübertragung) verloren und dann kann ich als übertragende Gebietskörperschaft die Leistungserbringung nicht kontrollieren und bei Schlechtleistung auch nicht kündigen. Im konkreten Fall sollte die Stadt Düren also entgegen § 1 Nr. 3 des Vertrages offenbar doch nicht (vollständig) die Pflichten des Kreises übernehmen und insoweit allein verantwortlich (zuständig) werden. Wäre das der Wille der Parteien gewesen, hätte es keines Kontroll- und Kündigungsrechtes bedurft. Es funktioniert nicht, in eine Zweckvereinbarung hineinzuschreiben, sie sei delegierend im Sinne des GkG NRW, wenn sie nach den materiellen Regelungen nicht delegierend ist.

    Allein vor diesem Hintergrund halte ich die Entscheidung für richtig und auch im Einklang mit der „Stadtreinigung Hamburg“-Rechtsprechung. Denn mit dieser Zweckvereinbarung sollte die Dürener Reinigungsgesellschaft mbH gegenüber ihren Wettbewerbern (z.B. Fa. Piepenbrock) bevorzugt werden (Rdnr. 40 dieser Entscheidung und Rdnr. 47 der „Stadtreinigung Hamburg“-Entscheidung). Hierfür bestand aufgrund der angesichts des Kontroll- und Kündigungsrechts nur „vorgeschobenen“ Zuständigkeitsübertragung keine vergaberechtliche Grundlage.

    Ob nun die Reinigung der Gebäude des Kreises Düren eine hoheitliche Aufgabe ist oder nicht, darauf kommt es nicht mehr an, weil eben alle Voraussetzungen der „Stadtreinigung Hamburg“-Rechtsprechung kumulativ erfüllt sein müssen.

    Beste Grüße
    Marc Röbke

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  5. Silke Reuter

    Vielen Dank für diesen sehr informativen Beitrag! Mit besten Grüßen, Silke Reuter

    Reply

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