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Gesundheits- & Sozialwesen

Ein Verhandlungsverfahren ist nicht zulässig, wenn die Leistung auch von (Re-)Importeuren erbracht werden kann! (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 18.12.2013 – VII-Verg 21/13)

EntscheidungDer Abschluss von Verträgen ist auch dann ausschreibungspflichtig, wenn ein exklusives Vertriebsrecht in Deutschland für ein bestimmtes Unternehmen besteht, sofern zugleich (Re-)Importeure im Markt agieren.

GWB § 73 Nr. 2, § 97 Abs. 1, 2; VOL/A 2009, § 3 EG Abs. 4c; Richtlinie 2004/18/EG Artikel 31 Nr. 1b; SGB V § 130a Abs. 8

Leitsatz (nicht amtlich)

  1. Arzneimittelhersteller sind pharmazeutische Unternehmer und dürfen als solche von der Vergabe von Rabattverträgen nicht ausgeschlossen werden.
  2. Der AG darf den Beschaffungsbedarfes nicht so festlegen, dass der Auftrag nur von einem einzelnen Bieter erfüllt werden kann. Ein solches Vorgehen ist ist wettbewerbswidrig und diskriminiert (Arzneimittel-)Importeure.

Sachverhalt

Durch eine gesetzliche Krankenkassen wurde ein Rabattvertrag über Arzneimittel nach § 130a Abs. 8 SGB V mit einem Unternehmen abgeschlossen, welches in Deutschland für die Arzneimittel exklusiv vertriebsberechtigt ist. Eine vorhergehende Ausschreibung dieses Auftrages erfolgte nicht. Nach Vertragsschluss bekundete ein Arzneimittel-Reimporteur sein Interesse am Auftrag. Er ist der Auffassung, der Vertragsschluss stelle eine unzulässige De-facto-Vergabe dar. Demgegenüber meint die Krankenkasse, zur Durchführung eines Verhandlungsverfahrens ohne vorhergehenden Teilnahmewettbewerb berechtigt zu sein, da hier ein Ausnahmetatbestand i.S.d. § 3 Abs. 4c EG VOL/A vorläge: Nach ihrer Auffassung sei nur der Vertragspartner für den hier vorgesehenen Beschaffungsbedarf, jedenfalls im Hinblick auf die ausgeschriebene Menge, leistungsfähig, was eine Markterkundung ergeben habe. (Re-)Importeure hingegen würden diese Mengen nicht liefern können. Daher sei eine Ausschreibung nicht erforderlich gewesen.

Die Entscheidung

Die Krankenkasse unterliegt im Nachprüfungsverfahren!

Rechtliche Würdigung

Ein Ausnahmetatbestand, der zur Auftragsvergabe im Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung berechtigen würde, liegt nicht vor. Ein solches Vorgehen ist nur im Ausnahmefall möglich, wobei die Bestimmungen der VOL/A, ebenso wie Art. 31 Nr. 1b Richtlinie 2004/18/EG, restriktiv auszulegen sind. Das bloße Bestehen eines Patentschutzes sowie ein exklusives Vertriebsrecht aus rechtlichen Gründen rechtfertigt nach Auffassung des OLG keinen Entfall eines Wettbewerbes. Vielmehr sind grundsätzlich auch (Re-) Importeure zum Vertrieb in Deutschland berechtigt, weshalb für diese eine Lieferfähigkeit grundsätzlich angenommen werden muss. Ob die Lieferfähigkeit gegeben ist, ist Frage der Eignung, stellt demgegenüber jedoch keine Besonderheit für den Auftrag selbst dar. Damit fehlt es bereits an einem Ausschließlichkeitsrecht als Rechtfertigungsgrund für die Direkt-vergabe. Die Vorgehensweise der Krankenkasse verstößt daher gegen den Wettbewerbsgrundsatz, da Arzneimittelimporteure hierdurch (langfristig) vom Markt ausgeschlossen werden. Zugleich stellt die gewählte Vorgehensweise einen Verstoß gegen § 97 Abs. 3 GWB dar: Die Krankenkasse hätte den Auftrag auf mehrere Lose aufteilen müssen, wodurch zugleich aufgrund der damit einhergehenden geringeren Beschaffungsmengen die eingetretene Diskriminierung von Arzneimittel (Re-) Importeuren vermieden worden wäre.

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Praxistipp

Zu Recht weist der Senat auch in dieser Entscheidung darauf hin, dass eine Flucht von Vergabestellen in Ausnahmetatbestände, die die Durchführung eines offenen Verfahrens entbehrlich machen, unzulässig ist! Die in den Vergabeordnungen im Einklang mit den europäischen Richtlinien vorgesehenen Ausnahmetatbestände sind äußert restriktiv zu handhaben. Die Vergabestelle ist daher verpflichtet, vor der Wahl des Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb bzw. bei der Wahl eines Ausnahmeverfahrens jeweils eine um-fassende Markterkundung vorzunehmen. Hier-durch muss nachgewiesen werden können, dass tatsächlich im europäischen Raum kein anderes Unternehmen in der Lage ist, die fraglichen Leistungen zu erbringen (vgl. hierzu IBR 2012, 1189; ähnlich auch IBR, 2009, 726; IBR 2010, 646). Sollte ein Ausnahmetatbestand im Einzelfall einschlägig sein, ist dies umfassend von Seiten der VSt. aufzuarbeiten, zu dokumentieren und zu belegen. Die Entscheidung ist von grundsätzlicher Bedeutung und daher auch auf jede andere Auftragsvergabe außer-halb des Rabattvertragsrechtes übertragbar.

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Über Julia Zerwell

Julia Zerwell ist Dipl.-Verwaltungswirtin (FH), Rechtsanwältin und Fachanwältin für Bau- und Architektenrecht bei der SIBETH Partnerschaft in Frankfurt. Der Schwerpunkt ihrer Tätigkeit liegt im Vergaberecht und umfasst die Beratung bei öffentlichen Auftragsvergaben sowie bei Konzeptionierung und Durchführung von Ausschreibungen aller Vergabearten im Bau- oder Dienstleistungsbereich. Sie unterstützt Auftraggeber und berät Vergabestellen wie auch Bieter. Ihr Tätigkeitsfeld erstreckt sich auf die projektbegleitende Beratung im privaten Bau- und Architektenrecht, insb. bei Großbauvorhaben und Infrastrukturprojekten, sowie Vertretung vor Behörden und Gerichten. Zerwell ist Referentin verschiedener Seminare und publiziert regelmäßig in Fachzeitschriften.

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