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TVgG-NRW: Neuer vergabespezifischer Mindestlohn in NRW – Auswirkungen auf laufende Verfahren und Verträge

Bekanntlich wurde zum 01.01.2015 mit dem Gesetz zur Regelung eines allgemeinen Mindestlohns (MiLoG) ein gesetzlicher Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro eingeführt, der – abgesehen von einzelnen Ausnahmen – für alle Beschäftigten in Deutschland gilt. Zeitgleich wurde zum 01.01.2015 in Nordrhein-Westfalen der vergabespezifische Mindestlohn gemäß § 4 Abs. 3 TVgG-NRW von 8,62 Euro auf 8,85 Euro erhöht. Mit dieser Erhöhung um 2,7 % passt die nordrhein-westfälische Landesregierung erstmals seit Inkrafttreten des TVgG-NRW den vergabespezifischen Mindestlohn an.

Diese Anpassung ist geregelt in der Verordnung zur Anpassung des Mindeststundenentgelts (Vergabe-Mindestentgelt-Verordnung – VgMinVO) vom 19.11.2014, die am 23.12.2014 im Gesetzblatt des Landes NRW veröffentlicht wurde und bereits eine Woche später zum 01.01.2015 in Kraft trat.

Auswirkungen auf laufende Verträge

Die Anpassung hat zunächst einmal keine Auswirkung auf laufende Verträge (Altverträge). Sie betrifft nur das Vergabeverfahren, nicht die Leistungsdurchführung. Die Leistungserbringung und die Vergütung des Dienstleisters richten sich nach den vertraglichen Vorgaben. Diese sehen – anders als teilweise in anderen Bundesländern – nicht vor, dass Erhöhungen des TVgG-Satzes nachzuvollziehen sind. Auch erfolgt keine gesetzliche Anpassung wie bei Mindestvergütungssätzen nach dem Arbeitnehmerentsendegesetz. Auftragnehmer dürfen ihre Beschäftigten beim Einsatz aufgrund sog. Altverträgen also weiterhin mit 8,62 Euro brutto / Stunde entlohnen, auch wenn die Leistung erst 2015 oder noch später erbracht wird.

Auswirkungen auf laufende Vergaben

Spannender und in der Verordnung nicht erwähnt ist die Frage, wie öffentliche Auftraggeber reagieren müssen, die vor dem 01.01.2015 ein Verfahren eingeleitet haben, wenn das Verfahren aber noch nicht abgeschlossen ist. Es stellt sich die – durchaus kalkulationserhebliche – Frage, ob im laufenden Verfahren die Unterlagen anzupassen sind. Dies wäre etwa während der Angebotsphase oder auch bei einem vorgeschalteten Teilnahmewettbewerb regelmäßig möglich. Aber ist ein öffentlicher Auftraggeber hierzu auch verpflichtet und – aus dem anderen Blickwinkel – kann hat ein Bieter gar ein einklagbares Recht darauf, dass die erhöhten Sätze vorgegeben werden? Immerhin gilt der erhöhte Stundensatz ab dem 01.01.2015 und die Regelungen zum vergabespezifischen Mindestlohn können durchaus als drittschützend angesehen werden (vgl. vertiefend Fandrey, Tariftreue- und Vergabegesetz, 2014, Rn. 625). Eine Übergangsfrist oder gar eine Freistellung für bereits initiierte Verfahren – vergleichbar zu § 22 Abs. 1 S. 2 TVgG-NRW („Es gilt für alle Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge im Sinne dieses Gesetzes, die nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes begonnen werden.“) – ist in der Vergabe-Mindestentgelt-Verordnung nicht ausdrücklich vorgesehen.

Es stellt sich damit die Frage, ob der etwa in § 22 TVgG-NRW zum Ausdruck kommende Gedanke übertragbar ist, dass Vergabeverfahren nach der Rechtslage zu beurteilen sind, die bei Einleitung des Verfahrens galt. Ähnliche Vorgaben finden sich auch in anderen vergaberechtlichen Normen (z.B. in § 131 GWB, § 10 LTMG BW). Diese Regelung entspringt dem nachvollziehbaren und auch abstrahierbaren Rechtsgedanken, dass eingeleitete Verfahren nicht umgestellt (im Extremfall neu aufgerollt) werden müssen, weil sich die Rechtslage zwischenzeitlich geändert hat. Insoweit haben öffentliche Auftraggeber grundsätzlich ein berechtigtes sachliches Interesse an der unveränderten Fortsetzung ihres Vergabeverfahrens. Öffentliche Auftraggeber werden damit darin geschützt, ihre Beschaffungsprojekte planbar durchzuführen, nicht geschützt wird hingegen das Vertrauen der öffentlichen Auftraggeber in eine bestehende Rechtslage.

Es gilt das Interesse des öffentlichen Auftraggebers an der Klarheit seiner (auch) finanziellen Planungsgrundlagen abzuwägen mit der gesetzgeberischen Wertentscheidung, die Rechtslage zum 01.01.2015 zu ändern. Insoweit spricht gegen eine Umstellung im laufenden Verfahren, dass die Änderung nicht gravierend und die Auswirkungen auf die Ausschreibungsverfahren daher im Regelfall überschaubar sein werden. Zum anderen war die Änderung nicht vorab in besonderer Weise angekündigt und wurde erst kurz vor Inkrafttreten veröffentlicht. Es ist daher davon auszugehen, dass eine Anpassung der Vergabeunterlagen in laufenden Verfahren nicht mehr erfolgen muss. Gerade bei Verfahren mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb, bei denen die ausgewählten Bewerber noch nicht zur Angebotsabgabe aufgefordert wurden und die Erhöhung daher ohne Weiteres in den Unterlagen nachvollzogen werden kann, lässt sich aber auch mit guten Gründen eine Anpassungspflicht annehmen. Die Landesregierung von NRW hat sich zwischenzeitlich in ihrem – unverbindlichen – Fragen- und Antworten-Katalog festgelegt: Alle Verfahren, die vor dem 01.01.2015 eingeleitet wurden, sollen nach der alten Rechtslage fortgesetzt werden dürfen.

Brutto oder netto?

Anlässlich der Erhöhung soll noch einmal daran erinnert werden, dass die 8,85 Euro brutto zu zahlen sind, mag auch in der Literatur vereinzelt anderes zu lesen sein. Zwar lässt sich weder dem Gesetz noch der neuen Verordnung hierzu eine Aussage entnehmen. Dies folgt aber sowohl aus der Gesetzgebungsgeschichte als auch aus Erwägungen praktischer Vernunft. Eine Vergütung mit 8,85 Euro netto lässt sich durch einen Arbeitgeber schlichtweg buchhalterisch nicht leisten, da der tatsächliche Nettolohn von zahlreichen Varianten abhängt, die sich nicht nur im Laufe der Zeit ändern (etwa steuerliche Freibeträge, Art der steuerlichen Veranlagung, steuerlich abzugsfähige Positionen wie etwa Werbungskosten), sondern zugleich auch noch von nachlaufenden Entscheidungen Dritter abhängen (in welchem Umfang werden etwa Werbungskosten vom Finanzamt anerkannt). Der Bruttolohn müsste also ständig verändert und angepasst werden, wobei die etwa erforderlichen Nachzahlungen wiederum insbesondere steuerrechtliche Folgen hätten, die erneut eine Neuberechnung erforderlich machen würden, usw.usf. Nichts anderes folgt aus der – sinnvollen – Einschätzung der Landesregierung, dass bei 450-Euro-Kräften die nunmehr 8,85 Euro netto zu verstehen sind. Dies ergibt sich aber nicht aus einem vermeintlichen „Nettoprinzip“, sondern allein aus dem Umstand, dass bei 450-Euro-Kräften aufgrund der pauschalen Abgabenleistung / Besteuerung der ausgezahlte Bruttobetrag dem Nettobetrag entspricht. Es ändert aber nichts daran, dass auch die 450-Euro-Kräfte nach dem TVgG-NRW mit 8,85 Euro brutto pro Stunde zu entlohnen sind.

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Neue Vordrucke / Formblätter

Rechtzeitig zum Inkrafttreten der Verordnung wurden auch neue Unterlagen auf der Internetseite zum TVgG-NRW hinterlegt. Geringfügig angepasst wurden die Verpflichtungserklärung zu § 4 TVgG-NRW sowie die Besonderen Vertragsbedingungen für Bau- sowie für Dienstleistungen.

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Über Dr. Alexander Fandrey

Der Autor Dr. Alexander Fandrey ist Rechtsanwalt bei Kapellmann und Partner Rechtsanwälte mbB in Düsseldorf. Er berät nahezu ausschließlich öffentliche Auftraggeber und Fördermittelempfänger in allen Fragen des Vergabe- und Zuwendungsrechts. Er ist Referent bei Seminaren, Autor zahlreicher Fachveröffentlichungen sowie eines monatlichen Newsletters zum Landesvergaberecht NRW.

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