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Grundsatz der Losbildung: Kenntnis der Marktsituation verpflichtet (VK Bund, Beschl. v. 12.12.2014, VK 2-101/14)

EntscheidungDer Grundsatz der Losbildung gilt als wesentliches Mittel zur Berücksichtigung mittelständischer Interessen. Daneben dient er aber auch der Wettbewerbsförderung, der Gleichbehandlung und der Erhaltung eines breit gestreuten Marktes, so die VK Bund in ihrem Beschluss vom 12.12.2014. Lässt eine Gesamtvergabe des Auftrages keinen Wettbewerb erwarten, kann sich daraus auch dann eine Pflicht zur Losaufteilung ergeben, wenn mittelständische Interessen nicht geltend gemacht werden können. Dies soll, so die VK Bund, insbesondere dann gelten, wenn der öffentliche Auftraggeber die konkrete Marktsituation kannte und mit einer Losbildung bereits wirtschaftliche Ergebnisse erzielt hat.

§ 97 Abs. 3 S. 1, S. 2 GWB

Sachverhalt

Der öffentliche Aufraggeber schrieb die Vergabe eines Auftrages über Briefdienstleistungen europaweit aus. Dabei beschränkte er den Leistungsumfang auf den Zuständigkeitsbereich einer seiner 40 Regionalvertretungen. Parallel führte er entsprechende Ausschreibungsverfahren für seine weiteren 39 Regionalvertretungen durch. Eine Losaufteilung fand jeweils nicht statt. Im streitgegenständlichen Zuständigkeitsbereich hatte der Auftraggeber in zwei vorangegangenen Ausschreibungen dagegen eine weitere Unterteilung in fünf Regionallose vorgenommen. Hintergrund war, dass in diesem Zuständigkeitsbereich bei einer versuchten Gesamtvergabe des Auftrages kein wirtschaftliches Ergebnis erzielt werden konnte, da nur ein Bieter, die Deutsche Post AG (DP AG), ein Angebot abgegeben hatte. Die Entscheidung für eine Rückkehr zur Gesamtvergabe des Auftrags begründete der Auftraggeber mit dem erhöhten Verwaltungsaufwand bei Betreuung mehrerer Vertragsverhältnisse, für den seine betroffene Regionalvertretung nicht über ausreichende Personalressourcen verfüge. Ausdrücklich zugelassen war der Einsatz der DP AG als Subunternehmer, um dem betroffenen Auftragsbereich vollständig abzudecken zu können.

Der Antragsteller hatte in der letzten Ausschreibung erfolgreich auf eines der fünf Regionallose geboten. Mit seinem Nachprüfungsantrag vor der VK Bund begehrte er die Bildung von Regionallosen auch in der streitgegenständlichen Ausschreibung. Dabei berief sich der Antragsteller insbesondere auf § 97 Abs. 3 S. 1 GWB.

Die Entscheidung

Die VK Bund gab dem Nachprüfungsantrag statt und wies den Auftraggeber an, bei weiter bestehender Vergabeabsicht den Auftrag für den streitgegenständlichen Zuständigkeitsbereich in Teillose aufzuteilen.

Dabei äußerte die VK Bund jedoch Zweifel, ob die Pflicht zur Losaufteilung bereits aus § 97 Abs. 3 S. 1 GWB folge, wonach mittelständische Interessen vornehmlich zu berücksichtigen sind. Zumindest nach Maßgabe der Mitteilung der EU-Kommission vom 06.05.2003 über die Definition von kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU) (ABl. Nr. L 124/36 v. 20.05.2003) fiele der Antragsgegner nicht unter den Begriff eines mittelständischen Unternehmens.

Ob es sich bei dem Antragsteller um ein mittelständisches Unternehmen handele müsse nach Auffassung der VK Bund jedoch vorliegend nicht entschieden werden. Eine Verpflichtung zur Losaufteilung ergebe sich jedenfalls aus § 97 Abs. 3 S. 2 GWB. Nach Auffassung der VK Bund stellt die darin verankerte Pflicht zur Bildung von Losen nicht allein ein Mittel zur Berücksichtigung mittelständischer Interessen dar. Die grundsätzliche Pflicht zur Losaufteilung diene

neben dem Mittelstandsschutz auch der Wettbewerbsförderung, der Gleichbehandlung sowie der Erhaltung eines breit gestreuten Marktes.

Daher sei

bei der Entscheidung auch zu berücksichtigen, ob der Loszuschnitt angesichts der Marktverhältnisse einen Wettbewerb erwarten lässt.

Im streitgegenständlichen Auftragsbereich ist allein die DP AG in der Lage, die ausgeschriebene Leistung umfassend selbst zu erbringen. Dies war dem Auftraggeber auch bekannt, worauf dieser in den vorangegangenen Ausschreibungen mit der Bildung von weiteren Regionallosen reagiert und mehrere Angebote erhalten habe. Aufgrund seiner damit erworbenen historischen Erfahrungen hätte der Auftraggeber prüfen müssen, ob sich die wettbewerbliche Situation auf dem betroffenen Markt verändert hat, bevor er seine Entscheidung zur Gesamtvergabe des Auftrags traf. Allein ein Fehlen personeller Ressourcen rechtfertige das Unterbleiben einer Losbildung nicht. Ein anderes Ergebnis folge auch nicht daraus, dass die DP AG hätte als Subunternehmer benannt werden können. Eine Subbeauftragung der DP AG würde im vorliegenden Fall einen solchen Umfang annehmen müssen, dass sie letztlich zu keiner Verbesserung der Wettbewerbssituation etwaiger Mitbieter führe.

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Rechtliche Würdigung

Aus der Entscheidung lassen sich zwei wesentliche Schlussfolgerungen ziehen:

1. Bei einer konsequent getrennten Behandlung von § 97 Abs. 3 S. 1 und S . 2 GWB kommt dieser Vorschrift in zweifacher Hinsicht bieterschützender Charakter zu: Nach § 97 Abs. 3 S. 1 GWB haben mittelständische Unternehmen einen Anspruch auf vornehmliche Berücksichtigung ihrer Interessen. Diesem Anspruch kann unter anderem durch Losbildung Rechnung getragen werden. Darüber hinaus kann sich jedes Unternehmen, egal ob mittelständisch oder nicht, auf den Grundsatz der Losbildung aus § 97 Abs. 3 S. 2 GWB berufen, wenn nur so ein Wettbewerb im betroffenen Markt hergestellt werden und das Unternehmen eine Zuschlagschance im Falle einer Losbildung gelten machen kann.

2. Die Anforderungen an eine pflichtgemäße Ermessensausübung des öffentlichen Auftraggebers sind bei der Frage einer Losbildung deutlich strenger, wenn der Auftraggeber die wettbewerblichen Defizite des konkret betroffenen Marktes kannte und in der Vergangenheit über eine Losbildung wettbewerblich und wirtschaftlich positive Erfahrungen gesammelt hat. Eine Abkehr von der praktizierten Losbildung ist in diesem Fall nur zulässig, wenn der Auftraggeber auf dem Markt einen gestiegenen Wettbewerb festgestellt hat und damit die Abgabe mehrerer Angebote erwarten kann.

Gegen die Entscheidung der VK Bund wurde sofortige Beschwerde beim OLG Düsseldorf (Az.: VII-Verg 40/14) eingelegt.

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Über Julie Wiehler, LL.M.

Die Autorin Julie Wiehler, LL.M., ist Rechtsanwältin und Partnerin der Kanzlei Frhr. v.d. Bussche Lehnert Niemann Wiehler Rechtsanwälte & Notare. Sie berät und unterstützt Unternehmen und die öffentliche Hand bei öffentlichen Ausschreibungen sowie bei vergaberechtlichen Fragen in öffentlich geförderten Projekten.

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