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Notwendigkeit der Hinzuziehung eines externen Rechtsanwalts im Nachprüfungsverfahren (OLG Koblenz, Beschl. v. 16.01.2017 – Az. Verg 5/16)

Zu den Anforderungen an die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines externen Rechtsanwalts im Nachprüfungsverfahren trotz vergabespezifisch erfahrener interner Juristen.
In einem aktuellen Beschluss hat das OLG Koblenz den Anspruch des in der Sache obsiegenden Auftraggebers auf Erstattung der Kosten der Hinzuziehung eines externen Rechtsanwalts im Nachprüfungsverfahren abgelehnt. Das OLG Koblenz ist der Meinung, dass dafür eine Prüfung und detaillierte Darlegung notwendig sei, ob und warum der interne juristische Sachverstand nicht ausgereicht hätte.

§ 186 Abs. 2 GWB, § 128 Abs. 4 Satz 4 a.F. GWB in Verbindung mit § 19 Abs. 2 AGVwGO

Leitsätze

  1. Für die Beurteilung, ob Aufwendungen für die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts im Verfahren vor der Vergabekammer als zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendige Auslagen erstattungsfähig sind, ist nach § 186 Abs. 2 GWB in „Altverfahren“ noch § 128 Abs. 4 Satz 4 a.F. GWB in Verbindung mit § 19 Abs. 2 AGVwGO maßgeblich.
  2. Handelt es sich bei dem Auftraggeber um ein Bundesland mit mehreren zentralen Vergabestellen, bei denen auch im Vergaberecht erfahrene Juristen tätig sind, muss bei Hinzuziehung eines externen Rechtsanwalts zur Bearbeitung eines Nachprüfungsantrags mit vergabespezifischen Fragen dargelegt werden, dass und warum der interne juristische Sachverstand nicht ausgereicht hätte.

Sachverhalt

Im Jahre 2013 hatte das Land Rheinland-Pfalz einen Rahmenvertrag über den stufenweisen Aufbau eines flächendeckenden digitalen Alarmierungsnetzes für die nicht polizeilichen Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) geschlossen. Spätestens im Jahre 2015 stellte sich heraus, dass ein viel höherer Beschaffungsbedarf bestand. Es wurde ein Nachprüfungsantrag eingereicht, mit dem eine (drohende) de-facto-Vergabe in Gestalt einer wesentlichen Vertragsänderung ohne Ausschreibung geltend gemacht wurde mit dem Ziel der Einleitung eines erneuten Vergabeverfahrens. Das OLG Koblenz verwarf den Antrag als unzulässig. Außerdem stellte es fest, dass die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch den Auftraggeber nicht notwendig gewesen sei.

Dagegen legte der Auftraggeber (in seiner Eigenschaft als Antragsgegner) sofortige Beschwerde ein. Die Vergabekammer wies das Rechtsmittel des Auftraggebers als unbegründet zurück. Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten sei zur Beurteilung schwieriger Rechtsfragen und eines umfangreichen und technisch komplexen Sachverhalts notwendig gewesen. Um angemessen auf den Nachprüfungsantrag reagieren zu können, sei eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des EuGH sowie der deutschen Gerichte zur Abgrenzung einer wesentlichen von einer unwesentlichen Auftragsänderung notwendig gewesen. Es habe sich um eine schwierige und selbst für einen Vergaberechtsspezialisten sehr anspruchsvolle Aufgabe gehandelt. Auch müsse der Besonderheit Rechnung getragen werden, dass es nicht um die Verteidigung eines laufenden Vergabeverfahrens gegangen sei. Vielmehr sei der Antragsgegner in der Phase der Auftragsausführung mit einem Nachprüfungsantrag überzogen worden.

Die Entscheidung

Das OLG wies das Rechtsmittel des Auftraggebers als unbegründet zurück. Die Kosten seien nicht erstattungsfähig, da sie für eine zweckentsprechende Rechtsverteidigung nicht notwendig gewesen seien. Dabei stützte sich die Vergabekammer auf die Rechtsprechung des BGH. Danach ist die Hinzuziehung nicht notwendig, wenn der Beteiligte im konkreten Fall auch selbst in der Lage gewesen wäre, den maßgeblichen Sachverhalt zu erfassen, hieraus die für eine sinnvolle Rechtswahrung oder -verteidigung nötigen Schlüsse zu ziehen und das danach Gebotene gegenüber der Vergabekammer vorzubringen (BGH v. 26.09.2006 X ZB 14/06 VergabeR 2007, 59). Maßstab ist ein verständiger Beteiligter, der bemüht ist, die Kosten so gering wie möglich zu halten.

Es reicht nach Ansicht des OLG dafür nicht aus, dass ein Nachprüfungsantrag vergabespezifische Fragen aufwirft. Vielmehr sei die Darlegung erforderlich, dass und warum der interne juristische Sachverstand nicht ausgereicht hätte. Wenn Auftraggeber ein Bundesland ist, in dessen Behörden und anderen Unterorganisationen zahlreiche hochqualifizierte Juristen, auch im Vergaberecht erfahrene Juristen tätig sind, seien an diese Darstellung besonders hohe Anforderungen zu stellen.

Seit dem 1. Juli 2011 gibt es im Land Rheinland‐Pfalz beim Landesbetrieb Mobilität sogar die Zentrale Beschaffungsstelle des Landes (ZBL) und den ebenfalls der Dienst- und Fachaufsicht des Innenministeriums unterliegenden Landesbetrieb Daten und Information (LDI). In den Landesbetrieben sind auch Volljuristen tätig, die das Land sogar in Beschwerdeverfahren vor dem Vergabesenat gemäß § 120 Abs. 1 Satz 2 a.F. bzw. § 175 Abs. 2 Satz 2 GWB vertreten dürfen und dies auch in der Vergangenheit getan haben. Dass niemand von diesen Mitarbeitern in der Lage gewesen sein soll, das Land auch in einem komplexen Vergabenachprüfungsverfahren qualifiziert zu vertreten, versteht sich aus Sicht des Gerichts nicht von selbst. Die vom Antragsgegner vorgelegten Vergabeakten ließen sogar erkennen, dass die Frage der Notwendigkeit der Einschaltung eines externen Rechtsanwalts vom Auftraggeber noch nicht einmal geprüft worden sei.

Rechtliche Würdigung

Die Notwendigkeit der Hinzuziehung externer Anwälte durch Auftraggeber wird meistens abgelehnt, wenn diese nach Dafürhalten des Gerichts über hinreichend geschultes Personal verfügen. Als wichtige Indizien dafür sehen es die Gerichte an, wenn die Auftraggeber regelmäßig Vergabenachprüfungsverfahren selbst bestreiten oder große Vergaben auch ohne anwaltliche Beratung durchführen. Die Entscheidung des OLG Koblenz macht deutlich, was der Auftraggeber vortragen sollte, wenn er trotz dieser Indizien die Kosten der Inanspruchnahme eines externen Rechtsanwalts erstattet bekommen möchte.

Praxistipp

Dokumentieren Sie in solchen Fällen, dass vor der Einschaltung des Rechtsanwalts die Notwendigkeit seiner Hinzuziehung zum konkreten Verfahren geprüft wurde. Prüfen und dokumentieren Sie dabei möglichst folgende Punkte:

  • Welche internen Juristen sind mit der Sache betraut?
  • Können diese den zugrundeliegenden Sachverhalt vollständig ermitteln und ggf. warum nicht? Warum wird hier die Hilfe eines externen Rechtsanwalts benötigt?
  • Was sind die voraussichtlichen Rechtsfragen und -probleme des Verfahrens? Warum können diese nicht von den internen Juristen abgedeckt werden?
  • Welcher Zeitaufwand ist – auch angesichts der Komplexität der Rechtsfrage oder des Sachverhalts – für die sachgerechte Vorbereitung und Durchführung des Verfahrens zu veranschlagen? Reichen die personellen Kapazitäten des Auftraggebers dafür aus?
  • Nach welchen Gesichtspunkten wurde der beauftragte externe Rechtsanwalt ausgewählt?
  • Wurden Aspekte der Kostenminimierung bei dieser Entscheidung berücksichtigt?

Eine solche erschöpfende Dokumentation ist geeignet, mögliche Abweisungsargumente der Vergabekammer von vornherein zu entkräften. Da dies einen erheblichen Aufwand bedeutet, bietet sich eine solche umfassende Dokumentation erst ab einer bestimmten Höhe der Rechtsanwaltskosten an. Anderenfalls sollte mindestens dargelegt und dokumentiert werden:

  • dass vor der Einschaltung des Rechtsanwalts die Notwendigkeit seiner Hinzuziehung zum konkreten Verfahren geprüft wurde und
  • welche voraussichtlichen Rechtsfragen nicht abgedeckt werden können und/oder dass die personellen Ressourcen aufgrund der Komplexität des Verfahrens oder aufgrund einer hohen Belastung mit einer Vielzahl von Verfahren nicht ausreichen. Dabei sollte nicht mit Standardformulierungen gearbeitet, sondern ein Bezug zum konkreten Fall hergestellt werden.
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Über Dr. Evelyn Paetsch

Dr. Evelyn Paetsch ist Rechtsanwältin und leitet seit 2017 in der Kanzlei Stassen LLP das Dezernat Vergaberecht. Die Kanzlei Stassen LLP ist auf Architekten-, Bau- und Immobilienrecht spezialisiert. Davor war Frau Dr. Paetsch seit 2002 in der Rechtsabteilung und als Referentin im Konzernvorstandsbüro der Deutschen Bahn AG beschäftigt. Dort befasste sie sich vor allem mit dem Vergaberecht, sowohl auf Auftraggeber- als auch auf Auftragnehmerseite und mit Sektorenvergaben. Ihr besonderes Interesse gilt Vergaben im Bau- und Freiberuflerbereich, IT-Vergaben und der Schnittstelle von Vergabe- und Fördermittelrecht.

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