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Planungswettbewerbe nach RPW 2013: Erster Preisträger ist regelmäßig zu beauftragen (OLG Frankfurt a.M., Beschl. v. 11.04.2017 – 11 Verg 4/17)

Die Pflicht zur regelmäßigen Beauftragung des ersten Preisträgers schränkt die Entscheidungsfreiheit des Auslobers/Auftraggebers erheblich ein, zumal verlangte Nachbesserungen nicht überbewertet werden dürfen. In der Praxis dürften diese Einschränkungen der Wahlfreiheit des Auftraggebers und seiner Gremien dazu führen, dass Planungswettbewerbe mit Auftragsversprechen nicht attraktiver werden.

Bei Planungswettbewerben mit Auftragsversprechen muss im Anschluss an den Planungswettbewerb ein Vergabeverfahren zum Abschluss des Auftrags durchgeführt werden. Der Auftraggeber kann (und muss bei entsprechender Vorfestlegung) nur mit dem ersten oder mit allen Preisträgern ein Verhandlungsverfahren durchführen. Dabei muss er, wenn er die Regelungen der RPW 2013 zugrunde legt, regelmäßig den Gewinner beauftragen. Daraus leitet das OLG Frankfurt zu Recht ab, dass dem ersten Preisträger bei der Bewertung ein erheblicher Punktevorsprung eingeräumt werden muss.

Bei der Bewertung von Nachbesserungen, die das Preisgericht (oder der Auftraggeber) vorschlägt bzw. verlangt, sind einerseits das Gleichheits- und andererseits das Transparenzgebot zu beachten. Das kann zu schwer lösbaren Problemen führen, da ein abstraktes Wertungskriterium zwar dem Gleichheitsgebot, aber den Anforderungen der Rechtsprechung an die Transparenz nicht gerecht wird. Eine Konkretisierung des Kriteriums läuft aber darauf hinaus, dass für jeden Bieter unterschiedliche Kriterien aufgestellt werden, da für jeden Entwurf regelmäßig unterschiedliche Nachbesserungen von unterschiedlichem Gewicht gefordert werden. Darin könnte ausnahmsweise kein Verstoß gegen das Gleichheitsgebot gesehen werden, wenn sich die unterschiedliche Behandlung aus den Entwürfen ergibt und sachlich gerechtfertigt ist. Auch bei der Bewertung von Nachbesserungen ist aber das Urteil des Preisgerichts angemessen zu berücksichtigen.

§ 8 Abs. 2 RPW 2013; § 17 VOF; § 14 Abs. 4 VgV; § 80 Abs. 1 VgV

Leitsätze

  1. Die Verpflichtung der Vergabestelle, nach § 8 Abs. 2 RPW 2013 in der Regel den ersten Preisträger zu beauftragen, muss sich in dem an den Wettbewerb anschließenden Verhandlungsverfahren niederschlagen.
  2. Wird in diesem Fall ein Verhandlungsverfahren mit allen Preisträgern durchgeführt, ergibt sich aus der Verpflichtung der Vergabestelle, regelmäßig den ersten Preisträger zu beauftragen, ihre Verpflichtung, diesen Umstand bei der Gewichtung der Auswahlkriterien in geeigneter Weise zu berücksichtigen.
  3. Wird dieser Umstand bei Gewichtung der Auswahlkriterien nicht berücksichtigt, verletzt die Vergabestelle die Grenzen des ihr bei Aufstellung der Wertungskriterien zustehenden weiten Ermessensspielraums.

Sachverhalt

Der Antragsgegner schrieb die Objektplanung für Gebäude und Freianlagen eines Neubaus im Wege des Verhandlungsverfahrens mit vorgeschaltetem nichtoffenem Wettbewerb nach der RPW 2013 öffentlich aus. In der Bekanntmachung hieß es in Anlehnung an § 8 Abs. 2 RPW 2013:

„Bei der Umsetzung des Projekts ist einer der Preisträger, in der Regel der Gewinner, unter Berücksichtigung der Empfehlung des Preisgerichts mit den weiteren Planungsleistungen (…) zu beauftragen, sofern kein wichtiger Grund der Beauftragung entgegensteht. Hierzu wird im Anschluss an die Preisgerichtssitzung gemäß § 9 Abs. 1 RPW 2013 ein Verhandlungsverfahren mit den Preisträgern durchgeführt.“

Die Antragstellerin wurde vom Preisgericht zur Siegerin bestimmt. Der zweite Preis wurde nicht vergeben. Der dritte Preis wurde aufgeteilt und unter anderem an die Beigeladene vergeben.

Im anschließenden Verhandlungsverfahren wurde den Preisträgern die Bewertungsmatrix mit insgesamt 100 erreichbaren Punkten mitgeteilt, mit u. a. folgendem Inhalt:

– Erster Preisträger: 30 Punkte; Zweiter Preisträger: 24 Punkte; Dritter Preisträger: 18 Punkte.

– Max. 22, 5 Punkte für die Darstellung erster Ideen zur baulichen Umsetzung der im Preisgerichtsurteil benannten Anmerkungen. „Insbesondere ist die Fassadengestaltung hinsichtlich möglicher Alternativen unter Berücksichtigung der Herstellungskosten, der Unterhaltskosten sowie der Nachhaltigkeit zu betrachten. Ergänzend sind das Technikkonzept (Energieversorgung) bei gemeinsamer Nutzung und der zweite bauliche Rettungsweg zu erläutern.“

Für einen Preisträger sahen die Anmerkungen des Preisgerichts keine Hinweise zur Fassadengestaltung vor.

Nach der vom Antragsgegner vorgenommenen Wertung sollte die Beigeladene 85,75 Punkte und die Antragstellerin 76,90 Punkte erhalten.

Die Vergabekammer entschied auf Antrag der Beigeladenen, dass das Verfahren in den Stand nach dem Planungswettbewerb zurückzuversetzen sei. Von dem Grundsatz des § 8 Abs. 2 RPW, den ersten Preisträger zu beauftragen, dürfte nur in begründeten Ausnahmefällen abgewichen werden. Nur wenn der erste Preisträger keine Gewähr für eine einwandfreie Auftragsausführung biete, könne von seiner Beauftragung abgesehen werden.

Die Entscheidung

Die sofortige Beschwerde von Antragsgegner und Beigeladener blieben erfolglos.

1. Zwar sei mit allen Preisträgern und nicht nur dem ersten Preisträger zu verhandeln, so das OLG Frankfurt. Bei der Gestaltung der Zuschlagskriterien müsse der Antragsgegner aber die Verpflichtung aus § 8 Abs. 2 RPW 2013 berücksichtigen, einen „der Preisträger, in der Regel de[n] Gewinner, unter Berücksichtigung der Empfehlung des Preisgerichts mit den weiteren Planungsleistungen zu beauftragen“. Als Änderung der RPW 2013 gegenüber der RPW 2008 werde hervorgehoben, dass der erste Preisträger bevorzugt zu beauftragen sei.

Dem Antragsgegner stehe bei der Auswahl der Zuschlagskriterien zwar ein weites Ermessen zu. Die Grenzen des Ermessens seien überschritten, da sich der Antragsgegner nicht einmal bewusst gewesen sei, dass er den ersten Preisträger bevorzugt zu berücksichtigen hätte. Gleichzeitig weist der Senat aber darauf hin, dass allgemein ein Abstand zwischen dem ersten und dem zweiten Preisträger von weniger als 10 % der Punkte unzureichend sei (im entschiedenen Fall nur 6 %). Jedenfalls eine Berücksichtigung in Höhe von 30 % wäre hingegen ausreichend.

2. Zudem dürfe durch das Kriterium „Umsetzung der Anmerkungen des Preisgerichts“ die regelmäßige Beauftragung des ersten Preisträgers nicht konterkariert werden. Würde die Antragstellerin in diesem Kriterium Null Punkte erhalten, hätte sie kaum noch eine Chance, den Auftrag zu erhalten. Damit sei nicht ausreichend berücksichtigt, dass die Anmerkungen das Preisgericht nicht davon abgehalten hätten, der Antragstellerin den ersten Preis zu verleihen und deren Beauftragung zu empfehlen.

3. Im Übrigen verletze das Kriterium „Umsetzung der Anmerkung des Preisgerichts“ das Gleichheitsgebot, da das Preisgerichtsprotokoll für eine Preisträgerin für die Fassadengestaltung, die als Beispiel in dem Kriterium genannt wurde, gar keine Anmerkungen enthielt.

4. Schließlich weist das Gericht auf eine mangelnde Dokumentation der Bewertung hin. Allein die Angabe „sehr gut“ für die Vergabe der vollen Punktzahl für ein Kriterium reiche nicht aus.

Rechtliche Würdigung

1. Vorrang des ersten Preisträgers

Aus rechtlicher Sicht überzeugt die Entscheidung: Der öffentliche Auftraggeber/Auslober macht die RPW 2013 zur Grundlage von Wettbewerb und Vergabeverfahren und muss sich dann auch an Ihre Regelungen halten. Da § 8 Abs. 2 RPW 2013 die Position des ersten Preisträgers ausdrücklich stärkt, muss sich dies dann auch im Vergabeverfahren widerspiegeln.

Für die Praxis folgt daraus allerdings, dass im Ergebnis nicht mehr der Auftraggeber, sondern das von ihm eingesetzte Preisgericht weitgehend darüber entscheidet, welches Vorhaben umgesetzt wird. Dies schränkt das Leistungsbestimmungsrecht des Auftraggebers und seiner Gremien (vom Gemeinderat über die Landes- und Bundesverwaltung bis hin zum Bundestag) erheblich ein, zumal die Mitglieder des Preisgerichts mehrheitlich über dieselbe oder eine gleichwertige Qualifikation wie die Teilnehmer verfügen und mehrheitlich unabhängig vom Auslober sein müssen, § 79 Abs. 3 VgV, also mehrheitlich gerade nicht mit Mitgliedern der Verwaltung oder der Gremien besetzt werden können. Hat der öffentliche Auftraggeber einmal beschlossen, einen Planungswettbewerb mit Auftragsversprechen nach der RPW 2013 durchzuführen, hat er daher kaum noch Einfluss darauf, welches Objekt tatsächlich errichtet wird, es sei denn, er hebt das Vergabeverfahren auf. Bislang behielt der Auftraggeber in der Praxis zumeist ein Wahlrecht zwischen allen Preisträgern, nunmehr muss er regelmäßig den ersten Preisträger beauftragen. Letztlich werden bei der Entscheidung, welches Vorhaben umgesetzt wird, die demokratisch legitimierten Gremien und die ebenso legitimierte Verwaltung durch einen Expertenrat ersetzt. Dieses dürfte in der Praxis nicht dazu führen, dass mehr Planungswettbewerbe mit Auftragsversprechen durchgeführt werden.

2. Bewertung der Nachbesserungen

Mit dem Hinweis, dass bei der Bewertung der Umsetzung der Anmerkungen des Preisgerichts das Gleichbehandlungsgebot zu beachten ist, hat das Gericht ein Problem benannt. Eine Lösung gestaltet sich allerdings schwierig:

Da die Anmerkungen des Preisgerichts individuell auf jeden Preisträger zugeschnitten sind und daher sehr unterschiedliche Bereiche betreffen können, kann dieses Kriterium, zur Wahrung des Gleichbehandlungsgebots, nur abstrakt bleiben. Ein abstraktes Kriterium, aus dem nicht hervorgeht, welche Nachbesserungen aus Sicht des Auftraggebers besonders wichtig sind, verletzt aber wohl den Transparenzgrundsatz. Zudem müsste der Auftraggeber in diesem Fall Äpfel mit Birnen vergleichen, wenn sich die Anmerkung zu einem Preisträger beispielsweise auf eine Verbesserung der Fassade, die Anmerkung zu einem anderen Preisträger auf eine Verbesserung der Raumaufteilung bezieht. Ist die Verbesserung der Fassade dem Auftraggeber wichtiger als die Verbesserung der Raumaufteilung, müsste er entsprechenden mehr Punkte für die Verbesserung der Fassade verteilen. Der andere Preisträger (mit der verbesserten Raumaufteilung) hat also von vornherein nur eine Chance auf eine geringere Punktzahl. Um diese Situation zu vermeiden, könnte der Auftraggeber nur noch solche Aspekte bewerten, für die das Preisgericht bei allen Preisträgern Verbesserungsvorschläge gemacht hat. Damit würde das auch nach dem OLG Frankfurt weite Ermessen bei der Aufstellung von Wertungskriterien stark eingeschränkt.

Es ist aber zweifelhaft, ob das Gleichbehandlungsgebot bereits dadurch verletzt ist, dass ein Preisträger im Hinblick auf einen Aspekt keine Chance hat, Punkt zu erlangen. Diese Ungleichbehandlung ist sachlich gerechtfertigt, wenn die Wettbewerbsleistung dieses Preisträgers insofern nicht verbesserungsfähig ist. Die Ungleichbehandlung hat also ihren Ursprung in der Wettbewerbsleistung des Preisträgers. Unterschiedliche Wettbewerbsleistungen dürfen aber zu unterschiedlichen Wertungen führen. Dagegen kann nicht eingewandt werden, dass hierdurch eine Wettbewerbsleistung schlechter gestellt ist, die nur deshalb nicht verbesserungsfähig ist, weil sie die Anforderungen bereits vollständig erfüllt. Denn die Wettbewerbsleistung ohne Nachbesserung ist bereits bei der Vergabe des Rangs der Preisträger durch das Preisgericht in die Bewertung eingeflossen.

Um den unterschiedlichen Anmerkungen des Preisgerichts zu den jeweiligen Preisträgern Rechnung zu tragen, müssten daher insoweit für jeden Preisträger individuelle Kriterien erarbeitet werden.

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Praxistipp

1. Bei Planungswettbewerben sollte der Auftraggeber den Teilnehmern und dem Preisgericht vorab möglichst präzise Vorgaben zu Mindest- und Bewertungskriterien machen. So verringert er die Gefahr, dass er am Ende vor der Wahl steht, ein suboptimales Angebot anzunehmen oder das Vergabeverfahren (und den Planungswettbewerb) zu wiederholen. Seine spätere Einflussnahme auf die Auswahl des Auftragnehmers (und seines Entwurfs) ist sehr beschränkt.

2. Wollen der Auftraggeber bzw. seine Gremien selbst die Entscheidungsgewalt behalten und die Beurteilung und Auswahl nicht auf ein Preisgericht übertragen, so kann er unmittelbar ein Vergabeverfahren durchführen. In das Verfahren können Wettbewerbselemente aufgenommen werden. In diesem Fall ist die Freiheit der Verfahrensgestaltung größer, es ist aber zu empfehlen, das Verfahren vorab und für die Bieter transparent zu strukturieren.

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Über Dr. Peter Neusüß

Der Autor Dr. Peter Neusüß ist Rechtsanwalt der Sozietät Sparwasser & Heilshorn Rechtsanwälte, Freiburg. Herr Dr. Peter Neusüß berät im Bereich des Vergabe-, Bau-, Abfall- und Energierechts insbesondere die öffentliche Hand, aber auch private Unternehmen. Er begleitet  und unterstützt öffentliche Auftraggeber im Vergabeverfahren von der Vorbereitung einschließlich der Einbindung der (kommunalen) Gremien über die Erstellungder Vergabeunterlagen und Bieterinformationen bis hin zur Zuschlagserteilung und vertritt sie, soweit erforderlich, in Nachprüfungsverfahren vor den Vergabekammern und den Oberlandesgerichten.

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