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Bauleistungen

Wie werden Alternativpositionen gewertet? (VK Bund, Beschl. v. 21.10.2018 – VK 2 – 88/18)

EntscheidungBei der Verwendung von Alternativpositionen im Leistungsverzeichnis ist es erforderlich, dass der Auftraggeber eine Entscheidung über die auszuführende Alternative nach Eingang der Angebote und vor Zuschlagsentscheidung trifft. In die Angebotswertung zur Bestimmung des wirtschaftlichen Angebotes darf nur die Alternativposition eingestellt werden, welche tatsächlich zur Ausführung kommt.

GWB § 127; VOB/A 2016 § 7 EU Abs. 1 Nr. 4

Leitsatz

Die Verwendung von Alternativpositionen ist grundsätzlich zulässig, wenn hierfür ein sachlicher Grund vorliegt.

Bei der Verwendung von Alternativpositionen muss das Wertungssystem gewährleisten, dass ausschließlich diejenigen Positionen in die Preisbewertung einfließen, welche tatsächlich zur Ausführung kommen. Ein Wertungssystem, welches die Preise für Positionen einbezieht, welche nicht zur Ausführung kommen, ist grundsätzlich vergaberechtswidrig.

Sachverhalt

Ein öffentlicher Auftraggeber schrieb Abbrucharbeiten aus. Im Leistungsverzeichnis waren zu bestimmten Leistungen Grund- und Wahlpositionen vorgesehen. Eine Festlegung, welche dieser Positionen zur Ausführung kommen sollten, konnte zum Zeitpunkt der Zuschlagsentscheidung voraussichtlich nicht getroffen werden, da dies von der Planung eines Landschaftsarchitekten abhing. Auf diese Planung hatte jedoch zusätzlich eine Kommune entscheidenden Einfluss. Von den sechs betroffenen Positionen des Leistungsverzeichnisses waren jeweils drei Positionen Grundpositionen und drei Positionen Wahlpositionen. Grundposition und Wahlposition unterschieden sich lediglich in der Korngröße, auf die das Abbruchmaterial verkleinert werden sollte.

In den Vergabeunterlagen war vorgegeben, dass der Preis das alleinige Zuschlagskriterium sein sollte. Die Wahlpositionen sollten vollständig in der Preiswertung berücksichtigt werden.

Nach Submission, in der die Antragstellerin den ersten und die spätere Beigeladene den zweiten Wertungsrang belegte, rügte die Antragstellerin die Verwendung von Wahlpositionen. Nachdem die Antragsgegnerin nicht abhalf, stellte die Antragstellerin einen Nachprüfungsantrag vor der Vergabekammer des Bundes.

Die Entscheidung

Die Vergabekammer verpflichtet den Auftraggeber, bei fortbestehender Beschaffungsabsicht das Vergabeverfahren in den Stand vor Versendung der Vergabeunterlagen zurückzuversetzen, das Leistungsverzeichnis unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabekammer zu überarbeiten und den Bietern eine erneute Möglichkeit zur Angebotsabgabe zu geben.

Nach Ansicht der Vergabekammer ist das Verwenden von Alternativpositionen grundsätzlich zulässig, wenn ein anerkennenswertes sachliches Interesse für den Auftraggeber besteht. Ein solches Interesse hat die Vergabekammer angenommen, da die vom späteren Auftragnehmer vorzunehmende Körnung des Abbruchmaterials von den Planungen eines Dritten abhängig war. Zum Zeitpunkt der Einleitung des Vergabeverfahrens konnte der Auftraggeber somit noch nicht wissen, welche Leistung konkret zur Ausführung kommen sollte.

Nach Ansicht der Vergabekammer darf die Unsicherheit darüber, welche Leistung tatsächlich ausgeführt werden soll, zum Zeitpunkt der Angebotswertung nicht mehr bestehen. Wenn die Preise sowohl der Grundposition als auch der Wahlposition zu 100 % in die Angebotswertung einfließen, sei nicht sichergestellt, dass der Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot erfolge. Welches Angebot das wirtschaftlichste sei, stelle sich erst heraus, wenn der Auftraggeber seine Wahl zu Gunsten der Grundposition oder der Wahlposition trifft. Die mit einem solchen Wertungssystem einhergehenden Gefahren für eine missbräuchliche Angebotswertung und eine unwirtschaftliche Beschaffung gebieten es, dass nur diejenigen Positionen in die Angebotswertung einfließen dürfen, welche auch tatsächlich zur Ausführung gelangen sollen.

Die Vergabekammer arbeitete weiter heraus, dass es für den Auftraggeber ohne weiteres möglich gewesen wäre, nach Submission zuzuwarten (im konkreten Fall drei Wochen), bis die Entscheidung über die tatsächlich auszuführende Variante getroffen wird. Auf dieser Basis müsse der Auftraggeber sodann die Angebotswertung vornehmen und dürfe hierbei nur die gewählte Position berücksichtigen.

Obwohl die Antragstellerin auch bei ausschließlicher Bewertung der tatsächlich zur Ausführung gelangenden Position nicht den ersten Wertungsrang belegt hätte, bejaht die Vergabekammer eine Rechtsverletzung. Es sei nämlich nicht auszuschließen, dass die Bieter und damit auch die Antragstellerin ihr Angebot anders kalkuliert hätten, wenn sie gewusst hätten, welche der Positionen tatsächlich zur Ausführung gelangen werden. Aus diesem Grunde müsse das Leistungsverzeichnis entsprechend überarbeitet und den Bietern eine erneute Gelegenheit zur Abgabe eines Angebots gegeben werden, wobei die Angebotsfrist hier zulässigerweise umfassend verkürzt werden könne.

Rechtliche Würdigung

Die Entscheidung verdeutlicht, welche Tücken das Vergaberecht auch bei einer vermeintlich einfachen reinen Preiswertung bereithält. Auftraggeber sollten darauf achten, Alternativpositionen nur dann vorzusehen, wenn zum Zeitpunkt der Bekanntmachung noch nicht feststeht, welche Leistung zur Ausführung gelangen soll. Selbiges gilt für Bedarfspositionen, welche ohnehin nach § 7 EU Abs. 1 Nr. 4 VOB/A grundsätzlich nicht vorgesehen werden sollen. Das Vergabehandbuch des Bundes verbietet sogar die Verwendung von Bedarfspositionen.

Leider verhält sich die Vergabekammer nicht dazu, die Auftraggeber vorzugehen haben, welche schlechterdings vor Zuschlagserteilung nicht wissen können, ob die Grundposition oder die Wahlposition zur Ausführung gelangen soll. Eine solche Möglichkeit kommt insbesondere bei lang laufenden Verträgen in Betracht. Der Auftraggeber steckt sodann in der Zwickmühle, ob er das vergaberechtliche Risiko in Kauf nimmt, dass die Angebotswertung angegriffen wird oder ob er sich auf eine Position festgelegt, im Rahmen der Ausführung des Auftrages aber das Risiko von Leistungsänderungen mit entsprechenden Nachtragsforderungen eingeht.

Es bleibt abzuwarten, wie das OLG Düsseldorf, welches im Rahmen einer sofortigen Beschwerde die Entscheidung der VK Bund zu überprüfen hat (Az. VII-Verg 61/18), der strengen Sichtweise der Vergabekammer anschließt oder dem Auftraggeber einen praktikableren Weg aufzeigt, das Problem zu lösen. Die Vergabekammer hat hierzu festgestellt, dass eine Wertung unter Einbeziehung von Grund- und Wahlposition mit jeweils nur 50 % oder eine Quotelung entsprechend der erwarteten Ausführungswahrscheinlichkeit das Problem nicht löst. Das Grundproblem, dass zum Zeitpunkt der Zuschlagserteilung nicht feststeht, welches Angebot bei der Ausführung tatsächlich das wirtschaftlichste ist, lösen diese Wertungsmethoden tatsächlich nicht. Praktikabel wäre es, dem Auftraggeber eine der dargestellten Alternativen zuzugestehen, wenn eine Entscheidung über die zur Ausführung gelangende Leistung vor Zuschlagserteilung schlicht unmöglich ist. Selbstverständlich müssen Auftraggeber in diesem Fall das Wertungssystem entsprechend anpassen und transparent gegenüber den Bietern kommunizieren, inwieweit Positionen die Angebotswertung einfließen.

Praxistipp

Nach Möglichkeit sollte zum Zeitpunkt der Bekanntmachung die Leistung eindeutig und erschöpfend beschrieben sein, so dass keine Notwendigkeit für Alternativpositionen oder Bedarfspositionen besteht. Sofern es sich nicht vermeiden lässt, ist dringend anzuraten, sich vor Einleitung des Vergabeverfahrens Gedanken über die zutreffende Berücksichtigung dieser Positionen im Rahmen der Preiswertung zu machen und entsprechende Vorgaben in die Vergabeunterlagen aufzunehmen. Ansonsten riskieren Auftraggeber das Risiko erfolgreicher Nachprüfungsverfahren, welche im Ergebnis zur Bearbeitung der Vergabeunterlagen und der erneuten Angebotsaufforderung an die Bieter führen können.

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Über Dr. Oskar Maria Geitel

Dr. Oskar Maria Geitel ist Fachanwalt für Vergaberecht und Rechtanwalt bei Kapellmann und Partner Rechtsanwälte mbB in Berlin. Er berät öffentliche Auftraggeber bei der Vorbereitung, Konzeption und Gestaltung sowie der anschließenden Durchführung von Vergabeverfahren. Einen weiteren Schwerpunkt seiner Tätigkeit stellt die rechtliche Begleitung von Bauvorhaben bezüglich aller Fragen des Baurechts dar, welche sich unmittelbar an die Begleitung des Vergabeverfahrens anschließt. Herr Geitel ist Kommentarautor, Lehrbeauftragter für Vergaberecht und Dozent bei diversen Bildungseinrichtungen.

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3 Kommentare

  1. Elisabeth Steinmann-Kirsch

    Das „Verbot“ von Alternativpositionen zeigt, dass die Verfasser des Vergaberechts leider oft keinen Bezug zur Sache haben: Beim Bauen im Bestand ist es häufig so, dass man nicht wissen kann wie letztendlich gebaut worden ist, und es kann nur ad hoc vor Ort entschieden werden. Dann ist es von Vorteil, wenn man Alternativpositionen hat. Das erspart langwierige Verfahren zu Nachtragsangeboten.

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  2. John Doe

    Wenn ich das lese, dürfte Ihr Verständnis von der Alternativposition leider fehlerhaft sein und Sie keinen Bezug zur Rechtssache haben. Für die von Ihnen genannte Situation gibt es andere Gestaltungsmöglichkeiten. Sie sollten sich die Begrifflichkeiten Alternativposition, Bedarfsposition, Wahlposition, Eventualposition und ihre Eigenheiten noch einmal zu Gemüte führen.

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  3. Röbke

    Das OLG Düsseldorf hat die sofortige Beschwerde offenbar inzwischen entschieden. Mehr war von der Geschäftsstelle nicht zu erfahren. Vielleicht liest ein Verfahrensbeteiligter mit und mag alle interessierten Leser des Vergabeblogs an seinem Wissen teilhaben lassen?

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