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EuGH stärkt Vergabestellen bei Ausschluss wegen früherer Schlechtleistung (EuGH, Urt. v. 19.06.2019 – C-41/18 – „Meca“)

Entscheidung-EUDer mögliche Ausschluss von Unternehmen wegen mangelhafter früherer Ausführung eines öffentlichen Auftrages nach § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB (bzw. § 6e EU Abs. 6 Nr. 7 VOB/A) gibt häufig Anlass zu streiten. Einerseits beklagen die deshalb ausgeschlossenen Unternehmen fast regelmäßig vermeintlich falsche, unfaire oder willkürliche Entscheidungen der Vergabestellen. Andererseits besteht auf Seiten der öffentlichen Auftraggeber das nachvollziehbare Interesse, Unternehmen von einem Vergabewettbewerb auszuschließen, die wesentliche Anforderungen bei der Ausführung eines früheren öffentlichen Auftrages erheblich oder fortdauernd mangelhaft erfüllt haben und dies zu einer vorzeitigen Beendigung, zu Schadensersatz oder zu einer vergleichbaren Rechtsfolge (z.B. Ersatzvornahme) geführt hat. Vor diesem widerstreitenden Hintergrund hatten die Luxemburger Richter darüber zu entscheiden, ob der wegen einer Kündigung anhängige Zivilprozess dem fakultativen Ausschlussgrund entgegensteht.

§ 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB; § 6e EU Abs. 6 Nr. 7 VOB/A; Art. 57 Abs. 4 UA 1 Buchst. g) RL 2014/24/EU.

Leitsatz

Die gerichtliche Anfechtung einer von der Vergabestelle wegen erheblicher Mängel bei der Ausführung eines früheren öffentlichen Auftrages erklärten Kündigung steht dem fakultativen Ausschluss des klagenden Unternehmens bei einer neuen Ausschreibung nicht entgegen.

Sachverhalt

Die Stadt Neapel schrieb im Jahr 2016/2017 die Speisenverpflegung ihrer Schulen aus. Das Unternehmen „Sirio“ erhielt den Zuschlag. Nachdem Schüler und Lehrer eine Lebensmittelvergiftung aufgrund von Kolibakterien erlitten, die durch von der Schulleitung aufbewahrte Lebensmittelproben amtlich bestätigt wurde, kündigte die Stadt im Mai 2017 den Verpflegungsvertrag. Gegen diese Vertragskündigung klagte „Sirio“ vor dem Zivilgericht.

Für das Schuljahr 2017/2018 gab „Sirio“ erneut ein Angebot für die ausgeschriebene Schulverpflegung in Neapel ab. Die Stadt prüfte die Zuverlässigkeit von „Sirio“ aufgrund der rechtshängigen Zivilklage nicht weiter und ließ das Angebot zu. Der Konkurrent „Meca“ hingegen beantragte wegen der damaligen Lebensmittelvergiftung die Nachprüfung der erneuten Wettbewerbsteilnahme von „Sirio“.

Die Entscheidung

Das Vorliegen eines fakultativen Ausschlussgrundes nach Art. 57 Abs. 4 UA 1 Buchst. g) RL 2014/24/EU (bzw. § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB) wird nicht deshalb blockiert, weil ein Bewerber oder Bieter die Kündigung seines ihm früher erteilten öffentlichen Auftrages gerichtlich angefochten hat, obwohl sein damaliges Verhalten hinreichend verfehlt erscheint, um die Kündigung zu rechtfertigen (Rdnr. 38).

Die Luxemburger Richter stellen klar, dass die RL 2014/24/EU anders noch als die RL 2004/18/EG – den mitgliedstaatlichen Beurteilungsspielraum bei der Anwendung der fakultativen Ausschlussgründe weitgehend einschränkt. Die Unionstaaten dürfen deshalb z.B. den Anwendungsbereich von Art. 57 Abs. 4 UA 1 Buchst. g) RL 2014/24/EU (bzw. § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB) nicht selbst bestimmen und ihn verfälschen. Sobald ein Unionstaat einen der fakultativen Ausschlussgründe der RL 2014/24/EU übernommen hat, muss er die von der Richtlinie vorgegebenen wesentlichen Merkmale beachten (Rdnr. 26 f., 33).

Dies vorweggeschickt wird nach dem Richtlinienwortlaut allein den öffentlichen Auftraggebern und nur ihnen, nicht etwa den Gerichten, die Prüfung übertragen, ob ein Unternehmen von einem Vergabeverfahren auszuschließen ist. Den öffentlichen Auftraggebern wird es dadurch ermöglicht, die Integrität und Zuverlässigkeit jedes einzelnen Unternehmens selbst zu beurteilen. Denn die Zuverlässigkeit eines Bewerbers oder Bieters stützt sich gerade auf das Vertrauen des öffentlichen Auftraggebers, das er in ihn legt (Rdnr. 28 ff., 34).

Diese Auslegung wird dadurch gestützt, weil die öffentlichen Auftraggeber ein Unternehmen „zu jedem Zeitpunkt des Vergabeverfahrens“ (Art. 57 Abs. 5 RL 2014/24/EU bzw. § 124 Abs. 1 GWB) ausschließen können und nicht nur, nachdem ein Gericht sein Urteil gefällt hat. Dies indiziert ebenfalls den Willen des EU-Richtliniengebers, wonach ein fakultativer Ausschlussgrund der eigenständigen Beurteilung durch den öffentlichen Auftraggeber unterliegt. Außerdem wäre es dem öffentlichen Auftraggeber kaum möglich, dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung zu tragen, wäre er durch eine von einem Gericht vorgenommene Bewertung automatisch gebunden (Rdnr. 31 f.).

Dadurch wäre letztlich auch die praktische Wirksamkeit des fakultativen Ausschlussgrundes gefährdet, weil der von einer Kündigungsentscheidung betroffene frühere Auftragnehmer offensichtlich zu keinen Abhilfemaßnahmen („self-cleaning“) veranlasst würde, wie sie in Art. 57 Abs. 6 RL 2014/24/EU (bzw. § 125 GWB) geregelt sind. Denn dieser Mechanismus der Selbstreinigungsmaßnahmen, der gerade auf Unternehmen Anwendung findet, die durch keine rechtskräftige Entscheidung ausgeschlossen sind, zeigt die Bedeutung der Zuverlässigkeit des Unternehmens für die fakultativen Ausschlussgründe auf, welche die subjektiven Voraussetzungen des Bieters oder Bewerbers betreffen (Rdnr. 39 ff.).

Rechtliche Würdigung

Die Entscheidung der Luxemburger Richter bestätigt die oberlandesgerichtliche Rechtsprechung (OLG Celle, Beschl. v. 09.01.2017 –  13 Verg 9/16; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 11.07.2018 – Verg 7/18), wonach die ausschlussbegründenden Tatsachen weder unstreitig noch rechtskräftig festgestellt sein müssen. Den vereinzelten anderslautenden Stimmen im Schrifttum ist mit dem europäischen Judiz eine Absage erteilt.

Öffentliche Auftraggeber haben ein legitimes und originäres Interesse, nur zuverlässige Unternehmen zu beauftragen. Ihnen selbst steht insoweit die Beurteilung zu. Die Forderung nach einer rechtskräftigen Gerichtsentscheidung oder inzidenten, zivilrechtlichen Überprüfung von Kündigung, Schadensersatz oder ähnlichem durch die Nachprüfungsinstanzen widerspräche dem berechtigten Auftraggeberinteresse nach autonomer Entscheidungshoheit und dem entsprechenden Willen des europäischen Richtliniengebers. Dieser hat die hohe Hürde der Rechtskraft einer Entscheidung bewusst nur für die zwingenden Ausschlussgründe vorgesehen. Eine Ausdehnung auf den fakultativen Ausschlussgrund nach § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB (bzw. § 6e EU Abs. 6 Nr. 7 VOB/A) wäre nach Sinn und Zweck der Norm, systematisch und dem Wortlaut nach verfehlt. Das legale Korrektiv, um eine missbräuchliche Normanwendung insoweit zu verhindern, ist u.a. im Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verankert. Schon die Erwägungsgründe erinnern prägnant daran, dass kleinere Unregelmäßigkeiten eben nur im Ausnahmefall einen fakultativen Ausschluss rechtfertigen können.

Praxistipp

Für den Nachweis der erheblichen oder fortdauernden mangelhaften Auftragserfüllung i.S.d. § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB (bzw. § 6e EU Abs. 6 Nr. 7 VOB/A) muss der öffentliche Auftraggeber zumindest Indiztatsachen vorbringen, die von einigem Gewicht sind und auf gesicherten Erkenntnissen aus seriösen Quellen beruhen, sodass die Ausschlussentscheidung als nachvollziehbar erscheint (OLG Celle, Beschl. v. 09.01.2017 – 13 Verg 9/16) bzw. so überzeugend ist, die vernünftigen Zweifeln Schweigen gebietet (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 11.07.2018 – Verg 7/18). Liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen für einen fakultativen Ausschluss vor, muss der öffentliche Auftraggeber zudem ermessen, ob von dem Unternehmen trotz des Ausschlussgrundes in Zukunft eine sorgfältige, ordnungsgemäße und gesetzestreue Auftragsdurchführung zu erwarten ist. Kann der öffentliche Auftraggeber insoweit keine positive Prognose stellen, ist der Ausschluss rechtens.

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Über Holger Schröder

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Vergaberecht Holger Schröder verantwortet als Partner bei Rödl & Partner in Nürnberg den Bereich der vergaberechtlichen Beratung. Er betreut seit vielen Jahren zahlreiche Verfahren öffentlicher Auftraggeber, Sektorenauftraggeber und Konzessionsgeber zur Beschaffung von Bau-, Liefer- und Dienstleistungen von der Bekanntmachung bis zur Zuschlagserteilung. Er ist Autor zahlreicher Fachveröffentlichungen und und referiert regelmäßig zu vergaberechtlichen Themen. Herr Schröder ist Lehrbeauftragter für Vergaberecht an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen und ständiges Mitglied im gemeinsamen Prüfungsausschuss "Fachanwalt für Vergaberecht" der Rechtsanwaltskammern Nürnberg und Bamberg.

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