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Bauleistungen

Nebenangebote ausgeschlossen – oder doch nicht? (VK Bund, Beschl. v. 07.09.2020 – VK1-68/20)

EntscheidungWidersprüche zwischen dem Veröffentlichungstext und den Vergabeunterlagen können den öffentlichen Auftraggeber dazu verpflichten, das Vergabeverfahren zurückzuversetzen. Sieht der Veröffentlichungstext vor, dass keine Nebenangebote zulässig sind und enthalten die Vergabeunterlagen anderweitige Hinweise, ist zunächst der Veröffentlichungstext maßgeblich. Dementsprechend müssen eingereichte Nebenangebote ausgeschlossen werden. Allerdings darf in diesen Fällen ein Zuschlag auf ein Hauptangebot nicht erteilt werden. Das Vergabeverfahren ist vielmehr mindestens in den Stand vor Abgabe der Angebote zurückzuversetzen.

§ 8 EU VOB/A

Leitsatz

  1. Nebenangebote können in der Auftragsbekanntmachung oder in der Aufforderung zur Interessensbestätigung zugelassen oder vorgeschrieben werden. Fehlt eine entsprechende Angabe, sind Nebenangebote nicht zugelassen.
  2. Nebenangebote können nicht nachträglich zugelassen werden.
  3. Sind die Vergabeunterlagen in Bezug auf die (Nicht-)Zulassung von Nebenangeboten widersprüchlich und aus Bietersicht nicht eindeutig so zu verstehen, dass nur Hauptangebote eingereicht werden durften, ist das Vergabeverfahren bei fortbestehender Vergabeabsicht zurückzuversetzen.

Sachverhalt

Der öffentliche Auftraggeber hatte in dem Veröffentlichungstext der Ausschreibung Nebenangebote ausgeschlossen. Die Vergabeunterlagen enthielten jedoch konkrete Hinweise für die Einreichung von Nebenangeboten.

Auf Aufklärungsfragen der Bieter antwortete die Vergabestelle und teilte mit, Nebenangebote seien ausdrücklich zugelassen.

Ein Bieter gab daher sowohl ein Haupt- als auch ein Nebenangebot ab. Die Vergabestelle teilte dem Bieter dann zunächst mit, dass beabsichtigt sei, den Zuschlag auf dieses Nebenangebot zu erteilen. Davon nahm sie aufgrund einer Rüge eines unterlegenen Bieters Abstand und teilte dem späteren Antragsteller mit, dass sein Nebenangebot auszuschließen sei und der Zuschlag nun an einen anderen Bieter erteilt werden solle.

Nach einer erfolglosen Rüge leitete der Bieter ein Nachprüfungsverfahren ein.

Die Entscheidung

Der Nachprüfungsantrag hatte teilweise Erfolg: Die Vergabekammer bestätigt zwar den Ausschluss des Nebenangebots, untersagt aber dennoch die Erteilung des Zuschlags auf ein Hauptangebot. Folge sei, dass der Vergabeverfahren mindestens in den Stand vor Abgabe der Hauptangebote zurückzuversetzen ist.

Die Vergabekammer begründet ihre Entscheidung insoweit mit dem Hinweis auf den Wortlaut der einschlägigen Vorschriften aus der VOB/A und der EU-Richtlinie 2014/24/EU. Gem. § 8 EU Abs. 2 Nr. 3 S. 1 VOB/A können Nebenangebote in der Auftragsbekanntmachung zugelassen oder vorgeschrieben werden können. Gem. § 8 EU Abs. 2 Nr. 3 S. 2 VOB/A ist Rechtsfolge des Fehlens entsprechender Angaben, dass Nebenangebote dann nicht zugelassen sind. Gem. § 16 EU Nr. 5 1. Alt. VOB/A darf ein Zuschlag auf nicht zugelassene Nebenangebote nicht erteilt werden. Auf Grund dieses Wortlauts sei auch eine nachträgliche Zulassung von Nebenangeboten nicht zulässig.

Dennoch untersagte die Vergabekammer die Erteilung des Zuschlags auf ein Hauptangebot, weil die Vergabeunterlagen widersprüchlich waren und die Bieter von der Zulässigkeit von Nebenangeboten ausgehen durften. Da die Möglichkeit der Einreichung von Nebenangeboten regelmäßig auch ein Hauptangebot beeinflusse, sei das Vergabeverfahren zurückzuversetzen.

Rechtliche Würdigung

Die Entscheidung überzeugt nur eingeschränkt. Die Vergabekammer klammert sich in meinen Augen zu sehr an den Wortlaut der einschlägigen Vorschriften. Zumal offenbar auch die Vergabestelle selbst von der Zulässigkeit von Nebenangeboten ausgegangen war. Man darf nicht verkennen, dass die angeordnete Rückversetzung des Vergabeverfahrens erheblichen Mehraufwand bei den Bietern auslöst. Ursache der Widersprüchlichkeiten war offenbar ein vergessenes Ankreuzen in dem Formular zur EU-Veröffentlichung. Deshalb ein Verfahren noch einmal neu aufrollen zu müssen, erscheint zumindest fragwürdig. Letztlich ist die Ansicht der Vergabekammer sehr formalistisch. Dies wird daran deutlich, dass die Rückversetzung nur dazu dient, einen vergessenen Haken zu setzen.

Praxistipp

Der Hinweis auf eine möglichst sorgfältige Bearbeitung von Vergabeunterlagen versteht sich von selbst. Interessanter ist die Frage, wie derartige Vergabeverfahren gerettet werden können, wenn Widersprüche zwischen Auftragsbekanntmachung und Vergabeunterlagen zu Tage treten.

Wir raten in solchen Fällen regelmäßig dazu, eine Korrekturbekanntmachung zu veröffentlichen, die den ursprünglichen Bekanntmachungstext verändert. Weiter absichern kann man dies mit einer Verlängerung der Angebotsfrist bei solch wesentlichen Veränderungen wie der nachträglichen Zulassung von Nebenangeboten. Dies hätte vermutlich auch dieses Verfahren retten können. Voraussetzung ist natürlich, dass ein Widerspruch vor Angebotsöffnung auffällt. Ob dies hier gegeben war, lässt sich der Entscheidung nicht entnehmen. Es ist aber aufgrund der gestellten Aufklärungsfragen davon auszugehen. Andernfalls ist das Kind natürlich in den Brunnen gefallen, wenn sich die formalistische Ansicht der Vergabekammer durchsetzt.

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Über Martin Adams, Mag. rer. publ.

Herr Martin Adams, Mag. rer. publ. ist Rechtsanwalt und Inhaber der Kanzlei _teamiur_Rechtsanwälte, Mannheim. Herr Adams berät bundesweit öffentliche Auftraggeber bei Ausschreibungen und in vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren, insbesondere im Bereich der Abfallwirtschaft. Darüber hinaus veröffentlicht er regelmäßig Beiträge in entsprechenden Fachmedien und tritt als Referent in Fachseminaren auf.

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