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Vergaberecht schützt den Wettbewerb, nicht das Urheberrecht des Architekten! (OLG München, Beschl. v. 28.09.2020 – 1 Verg 3/20)

EntscheidungDas OLG befasst sich in seiner Entscheidung mit dem Grundkonflikt, vor dem viele Auftraggeber bei der Umnutzung, Erweiterung oder Generalsanierung von urheberrechtlich geschützten Bauwerken stehen – dem Konflikt zwischen einer möglichst wettbewerbsoffenen Vergabe und dem Schutz des Urhebers vor einer Entstellung seines Werks. Dabei betont das Gericht den wettbewerbsschützenden Charakter der vergaberechtlichen Verfahrensvorschrfiten und verweist den Planer hinsichtlich etwaiger urheberrechtlicher Schutzansprüche auf das Verfahren vor der ordentlichen Gerichtsbarkeit sowie auf einen späteren Zeitpunkt, wenn nämlich überhaupt erst feststeht, wie die neuen Pläne für das urheberrechtlich geschützte Vorhaben aussehen.

VgV § 14 Abs. 4 Nr. 2 c

Sachverhalt

Der Entscheidung liegt eine Auseinandersetzung über die Vergabe von Planungsleistungen zu einem Ersatz-Neubau sowie einer Generalsanierung von Gebäuden einer Campus-Anlage mit Heimgebäuden und einer Schule für Sehbehinderte zugrunde. Der Auftraggeber schrieb die Planungsleistungen in zwei Losen nach der VgV als Vergabeverfahren mit Teilnahmewettbewerb aus. Hiergegen wandten sich die Erben des Architekten, der die Ursprungsanlage geplant hatte. Sie beriefen sich darauf, der bauliche Komplex sei insgesamt als Werk der Baukunst urheberrechtlich geschützt. Das Urheberrecht oder zumindest ein ausschließliches Nutzungsrecht stehe ihnen als Erben zu. Daher seien sie als einzige in der Lage, die Aufträge auszuführen. Aus diesem Grund sei der Auftraggeber nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet gewesen, gemäß § 14 Abs. 4 Nr. 2 c) VgV die Aufträge im Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb zu vergeben. Aufgrund des Urheberrechtsschutzes seien alle anderen Bieter als ungeeignet anzusehen.

Die Entscheidung

Dieser Auffassung der Antragsteller erteilte das OLG eine klare Absage. Ein Verstoß gegen § 14 Abs. 4 Nr. 2c) VgV liegt nicht vor. Weder war die Auftraggeberin verpflichtet, ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb durchzuführen, noch könnten sich die Erben des Ursprungsplaners auf einen derartigen Verstoß berufen.

Das Gericht folgt auch nicht der Argumentation, allein die Erben des Urhebers der Planung der Bestandsgebäude seien rechtlich in der Lage, die ausgeschriebene Leistung zu erbringen, sämtliche anderen Bieter somit rechtlich nicht leistungsfähig und daher nicht geeignet.

Im Übrigen seien die Erben nicht schutzlos gestellt. Sofern tatsächlich ein aus ihrer Sicht rechtswidriger Eingriff durch eine Änderung oder Beseitigung der Gesamtanlage stattfindet oder unmittelbar droht, stehe es ihnen offen, ihre behaupteten urheberrechtlichen Abwehransprüche mittels einer Klage vor den Zivilgerichten geltend zu machen und durchzusetzen.

Rechtliche Würdigung

Zur Begründung verweist das Gericht auf folgende zutreffende Erwägungen:

– Eine Pflicht der Vergabestelle, auf einen Teilnahmewettbewerb zu verzichten, lässt sich § 14 Abs. 4 Nr. 2c) VgV nicht entnehmen. Bereits der Wortlaut der Vorschrift „kann Aufträge im Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb vergeben“ spricht dafür, dass der Vergabestelle eine Möglichkeit eingeräumt, aber keine Pflicht auferlegt wird.

– Des Weiteren handelt es sich um eine Ausnahmevorschrift, die eng auszulegen ist. Nach der Zielsetzung des Vergaberechts ist der Regelfall die transparente Vergabe, die Eröffnung und der Schutz des Wettbewerbs, nicht dessen Einschränkung.

– Es fehlt am bieterschützenden Charakter eines etwaigen Verstoßes. § 14 Abs. 4 Nr. 2 VgV dient allein dem Schutz der Vergabestelle. Diese soll sich in den Fällen, in denen (gesichert) ein Ausschließlichkeitsrecht besteht, den mit einem wettbewerblichen Verfahren verbundenen Aufwand an Zeit und Kosten ersparen können. Die Norm bezweckt aber nicht den Schutz von Bietern, die bei einem Verzicht auf eine öffentliche Bekanntmachung leichter und ohne konkurrierende Mitbieter zum Vertragsschluss gelangen können. Ein Anspruch der Bieter auf Fehlen von Konkurrenz ist dem Vergaberecht fremd.

– Das Gericht folgt auch nicht der Argumentation, alle anderen Bieter außer den Erben des Urhebers der Planung seien ungeeignet, die Planungsleistungen zu erbringen. Das Urheberrecht gewähre zwar Abwehrrechte gegen Veränderungen und Entstellungen. Einen Anspruch, bei Umbaumaßnahmen eingeschaltet und mit entsprechenden Architektenleistungen beauftragt zu werden, lasse sich aus dem Urheberrecht aber gerade nicht ableiten. Hinzukomme, dass die Vornahme einer bloßen Planung weder eine Änderung noch eine Entstellung der Bauwerke oder der Gesamtanlage beinhalte. Das Urheberrecht enthalte weder ein Denk- noch ein Planungsverbot. Dementsprechend könne die ausgeschriebenen Planungsleistungen jeder Dritte erbringen.

– Schließlich weist das Gericht noch darauf hin, dass nicht jede Änderung und nicht jeder (Teil-) Abriss auch einen unzulässigen Eingriff in das Urheberrecht darstelle. Vielmehr bedürfe es insoweit immer einer umfassenden Interessenabwägung. Diese könne aber erst vorgenommen werden, wenn (nach Abschluss des Vergabeverfahrens und Ausführung des Planungsauftrags) die neue Gestaltung bekannt ist, die an die Stelle der bisherigen Werkteile treten soll.

Praxistipp

Auf den ersten Blick scheint der Beschluss des OLG aus vergaberechtlicher Sicht nicht viel Neues zu bringen. Dass die Vorschrift des § 14 Abs. 4 Nr. 2 VgV als Ausnahmevorschrift eng sowie zugunsten des Wettbewerbs auszulegen ist, dürfte niemanden überraschen. Gleichwohl verdient die Entscheidung deshalb Aufmerksamkeit, weil sie mit einem in der Praxis weit verbreiteten Irrglauben, wonach das Urheberrecht des Architekten regelmäßig jeden Wettbewerb auszuhebeln vermag, aufräumt. Und für den (vermutlich) nachfolgenden Zivilprozess macht das OLG dem Auftraggeber durchaus Mut, wenn es darauf verweist, dass bei Werken der Baukunst im Rahmen der erforderlichen Interessenabwägung zwischen Urheberrecht und Nutzungsinteressen des Eigentümers die Interessen des Eigentümers an einer anderweitigen Nutzung oder Bebauung des Grundstücks oder einer Umnutzung des Gebäudes den Interessen des Urhebers am Erhalt des Werks in der Regel vorgehen dürften.

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Über Dr. Rut Herten-Koch

Dr. Rut Herten-Koch berät sowohl die öffentliche Hand und ihre Unternehmen als auch private Eigentümer, Investoren, Projektentwickler und Bieter in Vergabeverfahren. Sie verfügt über umfangreiche Erfahrung in der Begleitung und Gestaltung komplexer Verfahren – sei es im Bauplanungs- oder im Vergaberecht. Darüber hinaus vertritt Rut Herten-Koch ihre Mandanten vor den Vergabenachprüfungsinstanzen und den Verwaltungsgerichten. Seit 2002 ist sie als Rechtsanwältin im Bereich öffentliches Recht und Vergaberecht in Berlin tätig. Rut Herten-Koch ist seit Juli 2015 Partnerin bei Luther.

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