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EuGH untersagt (Fremd-)Nachweis zur Rechts- und Vertragstreue (EuGH, Urt. v. 08.07.2021 – C-295/20 – Sanresa)

Entscheidung-EUUnternehmen, die öffentliche Aufträge ausführen, müssen alle für sie geltenden rechtlichen Vorschriften beachten. Während § 128 Abs. 1 GWB eine generelle Aussage zu den bei der Auftragsausführung einzuhaltenden Rechtsvorschriften trifft, kann der öffentliche Auftraggeber nach § 128 Abs. 2 GWB individuelle Ausführungsbedingungen vorgeben, die ihm sinnvoll erscheinen. Nach Ansicht des EuGH kann es aber problematisch sein, von Unternehmen Nachweise im Vergabeverfahren zu fordern, solche Ausführungsbedingungen auch einzuhalten.

§§ 128 GWB; Art. 18 u. 70 RL 2014/24/EU

Leitsatz

Das EU-Vergaberecht verbietet den Ausschluss eines Bieters allein deshalb, weil er mit der Angebotsabgabe nicht nachweisen kann, eine Ausführungsbedingung zu erfüllen.

Sachverhalt

Das litauische Umweltschutzamt hat die Entsorgung von gefährlichen Abfällen europaweit ausgeschrieben. Die tatsächliche Menge an gefährlichen Abfällen war in den Vergabeunterlagen nicht aufgeführt. Ebenso war dort keine Genehmigung zur grenzüberschreitenden Abfallverbringung mit dem Angebot verlangt. Das Unternehmen Sanresa hat in seinem Angebot einen dänischen und tschechischen Subunternehmen benannt. Das Umweltschutzamt forderte Sanresa deshalb unter Fristsetzung auf, welcher seiner Unterauftragnehmer über eine Genehmigung zur grenzüberschreitenden Abfallverbringung verfüge. Denn das EU-Recht erfordert bei der internationalen Verbringung von Abfällen die vorherige Genehmigung der betroffenen mitgliedsstaatlichen Behörden. Sanresa hat daraufhin keine entsprechende Genehmigung vorgelegt. Das Umweltschutzamt schloss Sanresa deshalb aus. Sanresa ersuchte die Gerichte schließlich um Rechtsschutz, weil es leistungsfähig sei und in den Vergabeunterlagen keine Genehmigung der unionsstaatlichen Behörden für die internationale Abfallverbringung gefordert worden war.

Die Entscheidung

Der EuGH stellt zunächst klar, dass die geforderte Genehmigung zur internationalen Abfallverbringung kein Eignungskriterium darstellt. Damit wird weder die Befähigung und Erlaubnis zur Berufsausübung noch die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit beschrieben. Ebenso wenig besteht ein Bezug zur technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit, weil diese einen vergangenheitsbezogenen Charakter haben (Rdnr. 41 ff.).

Vielmehr handelt es sich bei der Genehmigung zur grenzüberschreitenden Abfallverbringung um eine Bedingung zur Auftragsausführung. Damit werden nach Art. 70 RL 2014/24/EU (bzw. § 128 Abs 2 GWB) umweltbezogene Belange festgelegt, die auch für die Ausfuhr von Abfällen in einen anderen Staat gelten. Außerdem entspricht damit ein öffentlicher Auftraggeber gemäß Art. 18 Abs. 2 RL 2014/24/EU (bzw. § 128 Abs. 1 GWB) seiner Sorgfaltspflicht, dass die Unternehmen ihre umweltrechtlichen Verpflichtungen einhalten (Rdnr. 51 ff.).

Allerdings muss der Unternehmer den (Fremd-)Nachweis, dass er die Bedingungen für die Auftragsausführung erfüllt, nicht vor dem Zuschlag beibringen. Denn bis dahin kann der öffentliche Auftraggeber nur aufgrund der Eignung, d.h. der technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit bzw. der Referenzen des Unternehmens aus jüngerer Zeit, darauf schließen, dass der Unternehmer in der Lage sein wird, bei Bedarf die erforderlichen Genehmigungen zu erlangen. Außerdem stellt die Forderung an die Bieter, schon zum Zeitpunkt der Angebotsabgabe alle Bedingungen für die Auftragsausführung zu erfüllen, eine übertriebene und unverhältnismäßige Anforderung dar, so die Luxemburger Richter. Außerdem verstieß das litauische Umweltschutzamt auch gegen den Transparenzgrundsatz, weil weder die genaue Menge der zu entsorgenden gefährlichen Abfälle noch die Vorlage einer Verbringungsgenehmigung in den Vergabeunterlagen verlangt war (Rdnr. 59 ff.).

Rechtliche Würdigung

Das Ansinnen des litauischen Umweltschutzamtes prüfen zu wollen, ob ein Bieter mit internationalen Unterauftragnehmern den zu vergebenden Auftrag auch unter rechtlichen Gesichtspunkten durchführen kann, erscheint auf den ersten Blick unverfänglich. Schließlich wollte das Umweltschutzamt das Risiko minimieren, dass Sanresa den Abfallentsorgungsauftrag nicht ausführen kann. Allerdings kann ein Unternehmer vor Zuschlagserteilung keine internationale Verbringungsgenehmigung vorlegen, weil dafür nach dem EU-Abfallrecht u.a. detaillierte Informationen über die Menge und Zusammensetzung der Abfälle erforderlich sind. Diese notwendigen Angaben fehlten hier in den Vergabeunterlagen. Schon aus diesem Grund war die Nachweisforderung des Umweltschutzamtes für einen Bieter unmöglich zu erfüllen, sprich unverhältnismäßig (§ 97 Abs. 1 Satz 2 GWB). Ebenso zutreffend ist es, wenn die Luxemburger Richter feststellen, dass der (Fremd-)Nachweis einer grenzüberschreitenden Abfallverbringungsgenehmigung weder die berufliche Befähigung noch die Fachkunde und Leistungsfähigkeit eines Unternehmens belegt (§ 122 Abs. 2 Satz 2 GWB). Denn dabei handelt es sich um keinen generellen unternehmensbezogenen (Fremd-)Nachweis, sondern um eine rechtliche Bedingung für die konkrete Ausführung des Abfallentsorgungsauftrages. Eine klare Zuordnung hingegen, ob vorliegend eine generell-klarstellende Ausführungsregelung i.S.d. § 128 Abs. 1 GWB (bzw. Art. 18 Abs. 2 RL 2014/24/EU) oder eine individuelle Bedingung zur Auftragsausführung nach § 128 Abs. 2 GWB (bzw. Art. 70 RL 2014/24/EU) berührt ist, hielt der EuGH nicht für notwendig.

Praxistipp

Grundsätzlich gilt, dass die Sicherstellung der nach § 128 Abs. 1 GWB von den Unternehmen zu beachtenden Vorschriften über die Vorgaben in den einzuhaltenden Regelungen selbst erfolgt, weil diese bereits spezielle Sanktionsmechanismen (wie etwa Straf- oder Bußgeldtatbestände, besondere Ausschlussgründe für künftige Vergabeverfahren, Einrichtung besonderer Kontrollbehörden usw.) enthalten (vgl. BT-Drs. 18/6281, 113). Die Einhaltung solcher Rechtsvorschriften kann sich ein öffentlicher Auftraggeber bei Angebotsabgabe gegebenenfalls durch eine gesonderte Eigenerklärung des Bieters zusichern zu lassen. Ähnliches gilt für die individuellen Ausführungsbedingungen nach § 128 Abs. 2 GWB. Hier kommt eine entsprechende Verpflichtungserklärung bei Angebotsabgabe und/oder eine vertragliche Absicherung in Betracht, etwa durch Vertragsstrafen oder Sonderkündigungsrechte.

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Über Holger Schröder

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Vergaberecht Holger Schröder verantwortet als Partner bei Rödl & Partner in Nürnberg den Bereich der vergaberechtlichen Beratung. Er betreut seit vielen Jahren zahlreiche Verfahren öffentlicher Auftraggeber, Sektorenauftraggeber und Konzessionsgeber zur Beschaffung von Bau-, Liefer- und Dienstleistungen von der Bekanntmachung bis zur Zuschlagserteilung. Er ist Autor zahlreicher Fachveröffentlichungen und und referiert regelmäßig zu vergaberechtlichen Themen. Herr Schröder ist Lehrbeauftragter für Vergaberecht an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen und ständiges Mitglied im gemeinsamen Prüfungsausschuss "Fachanwalt für Vergaberecht" der Rechtsanwaltskammern Nürnberg und Bamberg.

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