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Open-House: Wann liegt eine Auswahlentscheidung des Auftraggebers vor? (VK Bund, Beschluss v. 11.01.2023, VK 1-109/22)

EntscheidungDie VK verneint die Statthaftigkeit des Nachprüfungsverfahrens mangels öffentlichem Auftrag und geht dabei insbesondere auf die Anforderungen eines Open-House-Verfahrens ein. Entscheidend ist dabei die Frage, ob der Auftraggeber zwischen den Angeboten eine Auswahlentscheidung trifft.

§ 103 GWB, § 155 GWB

Leitsatz

  1. Die Vergabekammern dürfen nur die Vergabe öffentlicher Aufträge und von Konzessionen nachprüfen. Ein öffentlicher Auftrag setzt voraus, dass der öffentliche Auftraggeber eine Auswahl unter den zulässigen Angeboten trifft, also einen Anbieter auswählt, an den ein Auftrag mit dem Ziel vergeben werden soll, den Bedarf des Auftraggebers ausschließlich zu decken. Dasselbe gilt für Rahmenvereinbarungen.
  2. An einer Auswahlentscheidung fehlt es, wenn der Auftraggeber Dienstleistungen auf dem Markt erwerben und während der gesamten Laufzeit des Vertrags mit allen Marktteilnehmern, die sich verpflichten, die betreffenden Dienstleistungen zu im Vorhinein festgelegten Bedingungen zu erbringen, einen Vertrag schließen will, ohne eine Auswahl unter den zulässigen Angeboten zu treffen.

Sachverhalt

Der Auftraggeber schrieb europaweit den Abschluss von Verträgen zur besonderen Versorgung nach § 140 a SGB aus. Die Teilnahmebedingungen sahen unter anderem vor, dass mit jedem Leistungserbringer, welcher die Teilnahmevoraussetzungen erfüllt, ein Vertrag abgeschlossen werde. Der Abschluss der Verträge solle im Rahmen eines Open-House-Verfahrens erfolgen. Zudem war in den Teilnahmebedingungen enthalten, dass individuelle Vertragsverhandlungen nicht geführt werden und einzelnen Vertragspartnern keine Exklusivität zugesichert werde.

Die Antragstellerin rügte, dass sie an diesem Vertragssystem nicht teilnehmen könne. Die erforderlichen Eignungskriterien seien so ausgestaltet, dass sie wie Zuschlagskriterien wirken und nur von einem bestimmten Leistungserbringer erfüllt werden können. Der Rüge wurde nicht abgeholfen, sodass die Antragstellerin einen Nachprüfungsantrag bei der VK einlegte. Sie führte insbesondere an, dass ihr Nachprüfungsantrag statthaft sei, da es sich um einen öffentlichen Auftrag handele. Eine Auswahlentscheidung durch den Auftraggeber – welche für einen öffentlichen Auftrag erforderlich ist – sei bereits im Vorfeld der Ausschreibung erfolgt.

Des Weiteren brachte die Antragstellerin hervor, dass trotz Vorliegen der Voraussetzungen für ein Open-House das Nachprüfungsverfahren auch dann statthaft sei, wenn gegen die vergaberechtlichen Grundsätze der Transparenz, der Gleichbehandlung oder des Wettbewerbs verstoßen werde. Dies sei hier der Fall, da der Antragsgegner solche Eignungskriterien aufgestellt habe, die nur ein Leistungserbringer erfüllen könne und so eine Wettbewerbsbeschränkung gegeben sei. Auch liege ein Verstoß gegen den Transparenzgrundsatz vor, da die Kriterien für die Zulassung von Vertragspartnern im Open-House- Modell nicht bekannt gemacht worden seien.

Auch folge aus § 69 Abs. 4 SGB V, dass im vorliegenden Fall ein öffentlicher Auftrag gegeben sei, da die Norm für die Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge nach § 140 a SGB V die Anwendung des Vergaberechts vorsehe.

Die Entscheidung

Die VK hat den Nachprüfungsantrag verworfen, da der Vergaberechtsweg nicht eröffnet und der Antrag somit unstatthaft sei. Dies begründete die VK insbesondere damit, dass es an der Vergabe eines öffentlichen Auftrages fehle. Gemäß § 155 GWB dürfen Vergabekammern aber nur solche nachprüfen.

In Anlehnung an die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des OLG Düsseldorfs (vgl. EuGH, Urteil vom 02.06. 2016, Rs. C- 410/14; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 31.10.2018, Verg 38/18 m.w.N.) führt die VK aus, dass ein öffentlicher Auftrag i.S.d. § 103 Abs. 1 bis 4 GWB bzw. eine Rahmenvereinbarung i.S.d. § 103 Abs. 5 S. 2 GWB voraussetzt, dass der Auftraggeber eine Auswahlentscheidung unter den zugelassenen Angeboten vornehme. Eine solche Auswahlentscheidung sei hier jedoch nicht erfolgt, da während der gesamten Laufzeit des Vertragssystems mit sämtlichen Marktteilnehmern, welche die erfragten Leistungen zu den festgelegten Bedingungen erbringen, ein Vertrag geschlossen wird. Zudem werden keine individuellen Vertragsverhandlungen geführt und der Vertragsbeitritt ist jederzeit möglich.

Im vorliegenden Fall sei der Schutzzweck des Vergaberechts nicht berührt, da die aufgestellten Anforderungen des Auftraggebers keine Zuschlagskriterien darstellen, also solche, die der Ermittlung des wirtschaftlich günstigsten Angebots dienen. Vielmehr würden die Kriterien auf die Erfahrung, Ausstattung, Zertifizierung oder die Zulassung der Leistungserbringer abzielen und damit der Auswahl des Vertragspartners dienen.

Ein öffentlicher Auftrag könne auch dann nicht angenommen werden, wenn ein Verstoß gegen die Grundsätze der Gleichbehandlung, der Transparenz oder des Wettbewerbs gegeben ist. Die VK dürfe im vorliegenden Fall einen etwaigen Verstoß schon nicht prüfen, da mangels öffentlichen Auftrages der Vergaberechtsweg nicht eröffnet sei. Der Antragstellerin stehe vielmehr der Weg zum Sozialgericht offen.

Auch führe der Verweis der Antragstellerin auf § 69 Abs. 4 SGB V zu keinem anderen Ergebnis. Die Norm sehe nicht vor, dass Verträge nach § 140 a SGB V grundsätzlich öffentliche Aufträge sind. Die Verweisung auf vergaberechtliche Vorschriften gelte nur, sofern Verträge nach § 140 a SGB V im Rahmen eines Vergabeverfahrens vergeben werden und nicht im Rahmen eines vergabefreien Open-House-Verfahrens.

Rechtliche Würdigung

Auch wenn die Entscheidung nicht viele neue Erkenntnisse zu Open-House-Verfahren mit sich bringt, stellt sie noch einmal den Unterschied zwischen Eignungs- und Zuschlagskriterien klar. Aus Sicht der Vergabekammer liegt auch dann kein öffentlicher Auftrag vor, wenn die Eignungsanforderungen so gewählt wurden, dass nur wenige Wirtschafsteilnehmer diese erfüllen können (faktische Exklusivität). Dadurch kann der Kreis der späteren Vertragspartner erheblich reduziert werden, was das Open-House-Verfahren für öffentliche Aufraggeber durchaus attraktiv machen könnte.

In der Praxis ist das Open-House-Verfahren bisher nur in bestimmten Bereichen, wie bei im streitgegenständlichen Fall bei gesetzlichen Krankenkassen, verbreitet. Das mag daran liegen, dass Auftraggeber Bedenken haben, mit viel zu vielen Wirtschaftsteilnehmern Verträge abschließen zu müssen, weil alle interessierten Wirtschaftsteilnehmer die aufgestellten Eignungskriterien erfüllen. Als Beispiel für diese Problematik kann die Beschaffung von medizinischen Masken durch das Bundesgesundheitsministerium am Anfang der COVID-19- Pandemie genannt werden. Hier hatte jedes Unternehmen, welches die aufgestellten Teilnahmebedingungen erfüllt hatte, Anspruch auf Abschluss eines Vertrages. Diese Bedingungen konnten viel mehr Anbieter erfüllen, als vom Bundesministerium angenommen. Die dafür vorgesehenen Haushaltsmittel wurden daher schnell überschritten und das Bundesgesundheitsministerium verweigerte gegenüber vielen Unternehmen die Zahlung, sodass es zu einer Klagewelle gekommen ist.

Praxistipp

Sofern man sich dafür entscheidet, im Open-House-Verfahren Aufträge zu vergeben, ist auf die Ausgestaltung der aufgestellten Eignungskriterien zu achten. In seiner Entscheidung Tirkkonen hat der Europäische Gerichtshof entschieden, dass unter bestimmten Voraussetzungen, Eignungskriterien auch Zuschlagskriterien sein können (vgl. EuGH, Urteil vom 01.03.2018, Rs. C-9/17). Dies hat zur Folge, dass eine Auswahlentscheidung erfolgt und ein öffentlicher Auftrag i.S.d. § 103 Abs. 1 GWB gegeben ist, sodass die Durchführung eines Open- House- Verfahrens unzulässig ist.

Bei Eignungskriterien geht es um die Auswahl der Bieter, wohingegen Zuschlagkriterien dazu dienen, das wirtschaftlich günstigste Angebot zu ermitteln. Bei der Festlegung der geforderten Kriterien darf keine Vermischung von Eignungs- und Zuschlagskriterien erfolgen und die entsprechenden Aspekte dürfen nicht doppelt bewertet werden.

Die Unterscheidung von Eignungs- und Zuschlagskriterien ist objektiv vorzunehmen. Unerheblich ist, wie der öffentliche Auftraggeber die Kriterien in den Vergabeunterlagen bezeichnet. Entscheidend ist, ob die jeweiligen aufgestellten Kriterien lediglich Anforderungen an die fachliche Eignung der Bieter stellen oder es dem Auftraggeber ermöglichen, die Angebote vergleichen und ordnen zu können.

Kontribution

Der Beitrag wurde gemeinsam mit Frau Carlotta Tschöpe, wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Kanzlei FPS Fritze Wicke, Seelig, Frankfurt am Main/ Berlin, verfasst.


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Über Aline Fritz

Frau Fritz ist seit 2000 im Bereich des Vergaberechts tätig und seit 2002 Rechtsanwältin bei FPS Rechtsanwälte und Notare, Frankfurt. Sie berät sowohl die öffentliche Hand bei der Erstellung von Ausschreibungen als auch Bieter in allen Phasen des Vergabeverfahrens. Frau Fritz hat umfassende Erfahrungen in der Vertretung vor diversen Vergabekammern und Vergabesenaten der OLGs. Des Weiteren hat sie bereits mehrere PPP-Projekte vergaberechtlich begleitet. Frau Fritz hält regelmäßig Vorträge und Schulungen zum Vergaberecht und hat zahlreiche vergaberechtliche Fachbeiträge veröffentlicht. Vor ihrer Tätigkeit bei FPS war Frau Fritz Leiterin der Geschäftsstelle des forum vergabe e.V. beim BDI in Berlin.

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