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KI im Vergabeverfahren: Ein Gemeinschaftsakt im Interesse aller Beteiligten

Dass künstliche Intelligenz (KI) in sämtliche Bereiche des Lebens vordringen wird, ist mittlerweile ein Allgemeinplatz. Im Bereich des Vergaberechts gilt es, die technischen Entwicklungen aufmerksam zu verfolgen. Denn hier ergeben sich besondere Herausforderungen, aber auch besondere Potentiale.

Längst steht fest, dass KI selbstverständlich nicht vor dem Recht halt machen und bei diesem zu großen Veränderungen führen wird. Nicht einheitlich fällt aber die Bewertung aus, in welcher Geschwindigkeit die Entwicklung voranschreiten und welches Ausmaß sie haben wird. Hier hängt – neben dem technischen Fortschritt – vieles von der Politik ab und ob diese als Bremserin oder Antreiberin auftreten wird. Auf europäischer Ebene sind daher derzeit alle Augen auf die geplante KI-Verordnung gerichtet.

Anwendungsfälle in ausgewählten Bereichen

Im Folgenden sollen skizzenhaft einige ausgewählte Verfahrensphasen und -Elemente der Vergabe auf ihr „KI-Potential“ hin untersucht werden. Wo angezeigt, kann dabei auch thematisiert werden, welche Akteure in besonderem Maße gefordert sind, um das Vergabeverfahren modern auszugestalten.

1. Markterkundung

Es ist davon auszugehen, dass KI-Systeme in der Zukunft zu Erleichterungen bei der Markterkundung führen werden. Der Überblick, welche Produkte und Lösungen am Markt verfügbar sind, wird sich mit Hilfe von KI künftig leichter erlangen lassen. KI wird dabei helfen können, die gewünschten Kenntnisse über die Marktlage schneller und vollständiger zu erlangen.

Auf ein (noch) KI-typisches Problem soll dabei schon hier hingewiesen werden: Stets (bei jeder Nutzung!) ist zu bedenken, dass die Nutzung von KI keine Einbahnstraße ist: Die KI lernt mit jeder Suchanfrage und bei konkreten Suchanfragen lernt sie umso mehr. Der Deal ist (jedenfalls grundsätzlich): Wer (fremde) Daten haben will, muss auch (eigene) Daten geben.

In Bezug auf die Markterkundung ist dieses Risiko aber vergleichsweise begrenzt. Denn die Kenntniserlangung über eine bevorstehende Ausschreibung liegt auch im analogen Bereich der Markterkundung inne und eine gewisse Bevorteilung derer, die Teil einer Markterkundung sind, vergaberechtlich nicht kritisch. Bei einer KI-Nutzung ist das Bevorteilungsrisiko sogar geringer einzuschätzen, da nicht mit einzelnen Marktteilnehmern gesprochen wird, sondern der Auftraggeber sich hier eines Überblicktools bedient, um dann ggf. weiter in die Markterkundung mit direktem Kontakt zu Unternehmen einzusteigen.

Selbstverständlich ist eine KI-unterstützte Markterkundung nur da möglich, wo das entsprechende KI-System auch Gegenwartsdaten bereithält, was bei geeigneten offenen KI-Systemen überwiegend noch nicht der Fall ist. Allein deswegen handelt es sich bei der KI-gestützten Markterkundung noch um ein Zukunftsthema, das in der Ferne liegt.

Und überhaupt ist ein reines Vertrauen auf KI bei der Markterkundung noch schwerlich vorstellbar – denn speziell dort, wo innovative Lösungen gewünscht sind, wird das naturgemäß Leistungen betreffen, die so gerade noch nicht angeboten werden. In diesem Kontext hat KI dann eher die Funktion festzustellen, dass es bestimmte Lösungen eben noch nicht gibt.

Aus rein rechtlicher Sicht bestehen bei der Nutzung von KI bei der Markterkundung, sofern diese diskriminierungsfrei erfolgt, im Übrigen keine Hindernisse. Eine bestimmte Art der Markterkundung ist in § 28 VgV nicht vorgegeben (vgl. auch Thiele, in: BeckOK Vergaberecht, 31.07.2022, § 28 Rn. 4 f.).

2. Erstellen von Leistungsbeschreibungen

Leistungsbeschreibungen – jedenfalls jene, die den Anforderungen in der Praxis an eine besondere Detailschärfe genügen – sind so sehr auf den individuellen Einzelfall bezogen, dass KI aus meiner Sicht maximal Unterstützungsleistungen erbringen kann, wie beispielsweise die Suche nach Widersprüchen oder Lücken.

In diesem Zusammenhang ist aber bereits angedeutet, was die Minimalrolle sein wird, die KI in der Zukunft im Vergabeverfahren spielen wird: Nicht die der autonomen automatisierten Rechtsanwendung, sondern die der Entscheidungsunterstützung – die eigentliche Entscheidung wird hier weiterhin vom menschlichen Bearbeiter getroffen. Eine solche Entscheidungsunterstützung kann Entlastung bedeuten – und Konzentration des Bearbeiters auf Elemente des Vergabeverfahrens, wo der Einsatz von KI noch in weiter Ferne liegt. Es bleibt aber dabei: Die Entscheidungen im Vergabeverfahren sind vom öffentlichen Auftraggeber selbst zu treffen und die KI-Unterstützung ist analog zu einer Unterstützung z.B. von Sachverständigen zu sehen.

3. Die e-Vergabe

Es lässt sich feststellen, dass mit der weitgehenden Digitalisierung von Vergabeverfahren der Grundstein für KI-Anwendungen im Vergaberecht erfolgreich gelegt wurde (Busche, Einführung in die Rechtsfragen der künstlichen Intelligenz, in: JA 2023, S. 441 (441)).

Auch wenn die eVergabe der Regelfall ist – technische Weiterentwicklungsmöglichkeiten, die zur Vereinfachung für Bieter und Vergabestellen führen, bestehen in jedem Fall, und auch noch unterhalb von KI-Systemen (gut beschrieben etwa bei Klipstein, Die Zukunft der E-Vergabe, in: cosinex blog, 12. Febr. 2019).

Gerade Tools, die es dem Bieter bei Angebotseinreichung ermöglichen, zu verifizieren, ob er alle notwendigen Formblätter eingereicht hat, wären in vielen Fällen hilfreich und würden zu einer Entlastung in Bezug auf Nachforderungen führen.

4. Angebotsöffnung und Zuschlag

Auch den Gesetzgeber trifft eine Verantwortung, das Vergaberecht modern und damit in angemessenem Umfang auch KI-offen auszugestalten. Damit gilt es in erster Linie solche Verfahrensschritte zu identifizieren, in denen eine Erbringung durch KI de lege lata noch ausgeschlossen ist.

Dies gilt etwa für § 55 Abs. 2 VgV, der das Vier-Augen-Prinzip bei der Angebotsöffnung normiert. Wo gewährleistet ist, dass sichere technische Ersatzlösungen einschließlich guter Dokumentationsmöglichkeiten bereitstehen, ist die Frage aufgeworfen, ob das Vier-Augen-Prinzip nicht eine bloße Förmelei darstellt, die es zu überarbeiten gilt.

Gleiches gilt für den § 58 Abs. 5 VgV, der vorschreibt, dass an der Entscheidung über den Zuschlag in der Regel mindestens zwei Vertreter des öffentlichen Auftraggebers mitwirken sollen.

5. Angebotsauswertung

Erleichterungen sind in jedem Fall im Zusammenhang mit der Angebotsauswertung zu erwarten. Denn gerade in der Prüfung bezüglich einer Vielzahl von Dokumenten auf bestimmte Eigenschaften hin besteht ein wichtiger Anwendungsfall von KI-Systemen (Busche, Einführung in die Rechtsfragen der künstlichen Intelligenz, in: JA 2023, S. 441 (444)). Jedenfalls in Bezug auf formale Wertungsstufen besteht daher ein großes Potential von KI.

Auch Geheimhaltungsinteressen und Datenschutz stehen der Anwendung von KI in dieser Phase aus meiner Sicht nicht per se entgegen. Auch hier ist es Sache des Bearbeiters entsprechende Interessen und Rechte zu identifizieren. Ihnen kann sodann begegnet etwa werden, indem es zu technischen Sicherheitsvorkehrungen kommt.

6. Während des gesamten Verfahrens: Rechtliche Würdigung durch KI?

Dies leitet über zur Frage, wie es denn generell bestellt ist mit der vergaberechtlichen Prüfung durch KI – und damit möglicherweise zur Prüfung durch KI anstelle des menschlichen Bearbeiters.

Die Frage (gewissermaßen die Frage danach, ob der menschliche Bearbeiter vom Computer abgelöst werden wird und damit die Gretchenfrage jeder Diskussion über KI) führt aus meiner Sicht zu überraschenden Antworten:

Denn wie ausgeführt, ist von der KI in erster Linie Entscheidungsunterstützung zu erwarten – und diese ermöglicht Entlastung und damit Konzentration auf andere Verfahrenselemente.

Vergaberechtstypische Standardfragen könnten also in der Zukunft gewiss KI-autonom (und sicher letztverantwortet vom menschlichen Bearbeiter) beantwortet werden. Komplexe rechtliche Prüfungen werden dagegen auch zukünftig allein vom menschlichen Bearbeiter zu beurteilen sein (vgl. hierzu auch Pilarski, Entlastung der Vergabestellen durch ChatGPT in der Vergabepraxis?, in: Vergabeblog.de vom 31/03/2023, Nr. 52932). Von Rechtsanwendern, besonders von Beratern, wird zukünftig also ein höheres Niveau und ein tieferes Verständnis gefragt sein.

Die geschilderte Entlastung kann aber auch gerade zur Folge haben, dass zukünftig Kapazitäten für die Wahrnehmung der (wenigen) persönlichen Elementen des Vergabeverfahrens bestehen. So ist es etwa denkbar, dass zum Beispiel zukünftig mehr Zeit für Bieterpräsentationen besteht, bei denen dann auch auf das Teamgefüge („die Teamchemie“) geachtet wird. Mehr KI könnte also überraschenderweise auch zu einer Stärkung des persönlichen Moments im Vergabeverfahren führen.

Fazit

Im Vergaberecht ist sowohl die Politik als auch der Rechtsanwender gut beraten, sich neuen Entwicklungen nicht zu verschließen: Zwar geht KI, wie jede neue Technologie, nicht nur mit Chancen, sondern auch mit Risiken einher. Aus unserer Sicht überwiegen aber die Chancen, zumal den Risiken sachgerecht begegnet werden kann.

Auf neue Entwicklungen auf dem Gebiet der KI, wie etwa das jetzt omnipräsente ChatGPT, wird – speziell im Rahmen der Rechtswissenschaft – vielfach reflexhaft mit der Haftungsfrage reagiert: Kann zum Beispiel ChatGPT für fehlerhafte Rechtsauskunft haftbar gemacht werden? Dabei handelt es sich aus unserer Sicht zwar um eine berechtigte und wichtige Diskussion. Allerdings bestehen, wie gezeigt, auch verschiedene Potentiale neben der Rechtsberatung, so dass die Verengung der Fragestellung den zukünftigen (noch ist z.B. ChatGPT nicht so weit) Anwendungsmöglichkeiten von KI nicht gerecht wird. Am Ende wird der Auftraggeber sich die Entscheidungen zu eigen machen müssen oder eben nicht und dann auch dafür haften – so unsere Meinung.

Die Aufgabe, die Herausforderungen und die Potentiale zu nutzen, trifft alle mit dem Vergaberecht befassten Akteure: So bedarf es etwa angemessener Veränderungsbereitschaft auf Seiten der Vergabestellen und Rechtsanwender, aber auch progressiven Gestaltungswillen auf Seiten Gesetzgebers. Wünschenswert wäre auch ein zukunftsgewandter Wissenschaftsdiskurs, der nicht zu sehr auf Risiken fokussiert ist.


Empfehlung der Redaktion
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Über Dr. Alexander Csaki

Dr. Alexander Csaki ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Vergaberecht. Er ist Partner in der Sozietät Bird & Bird. Als Partner der Praxisgruppe Öffentliches Wirtschaftsrecht berät er hauptsächlich Mandaten im Gesundheitssektor, im Bereich Verkehr sowie Sicherheit- und Verteidigung, wobei vergabe-, sozial-, regulierungs- und europarechtliche Fragestellungen seine tägliche Praxis bestimmen.

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