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Haushaltssperre 2023: Vergaberechtliche Konsequenzen – Eine Positionierung

EntscheidungAngesichts der Haushaltssperre für die Ministerien des Bundes stehen Auftraggeber vor der Frage, wie mit Vergabeverfahren und Verträgen rechtssicher umzugehen ist, ohne den gesamten Vergabe-Workflow einzufrieren. Auch wenn der beschlossene Nachtragshaushalt Anlass für Hoffnung bietet, haben die aktuellen Vorgänge gezeigt, wie schnell der sonst so krisensichere Vergabesektor in Bredouille kommen kann. Dieser Beitrag möchte in aller Kürze die wesentlichen Eckpunkte beleuchten.

Was ist passiert?

Paukenschläge aus Karlsruhe und Berlin. Was bereits Anfang 2022 Gegenstand intensivster Diskurse war, hat das Bundesverfassungsgericht mit seinem Urteil vom 15.11.2023 (Az. 2 BvF 1/22) nun bestätigt: Die Umschichtung von Corona-Krediten auf den Klima- und Transformationsfonds (KFT) im zweiten Nachtragshaushalt 2021 war verfassungswidrig. Angesichts dessen verhängte das BMF am 20.11.2023 eine Haushaltssperre. Diese gilt grundsätzlich für die Bundesministerien und deren Unterbau (einschließlich Unternehmen im Eigentum des Bundes), vorbehaltlich besonderer Ausnahmen. Eine Haushaltssperre (§ 41 BHO) hat u.a. zur Folge, dass Ausgaben nicht geleistet und Verpflichtungsermächtigungen nicht eingegangen werden dürfen. Bereits etatisierte Mittel können weiterhin abgerufen werden, allerdings dürfen keine Verpflichtungen für die Zukunft eingegangen werden. Im Beschaffungskontext hat dies unterschiedliche Auswirkungen.

1. Reaktionsmöglichkeiten im laufenden Vergabeverfahren

Für laufende Verfahren gilt grundsätzlich ein Zuschlagsverbot. Denn mit dem Zuschlag erfolgt grundsätzlich der Vertragsschluss und die Verpflichtung zu einer Gegenleistung, deren Eingehen die Haushaltssperre untersagt. Zur Bewältigung dieses misslichen Schwebezustands hält das Vergaberecht verschiedene Reaktionsmöglichkeiten bereit.

a) Fristverlängerungen

Zunächst kann der Auftraggeber die Angebotsfristen verlängern. Über die zwingenden Fälle des § 20 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 und 2 VgV hinaus ist eine fakultative Fristverlängerung im Rahmen ordnungsgemäßer Ermessensausübung immer möglich. Auch Bindefristen können verlängert werden, allerdings nur im Einvernehmen mit den Bietern (z.B. OLG Düsseldorf 29. 12. 2001 – Verg 22/01).

b) Keine Pflicht zur Zuschlagserteilung: Möglichkeit der Aufhebung

Auftraggeber sind nicht verpflichtet, einen Zuschlag zu erteilen bzw. ein Angebot anzunehmen (Vertragsfreiheit). Aus diesem Grund steht es dem Auftraggeber frei, egal aus welchen Gründen, ein Vergabeverfahren aufzuheben. Eine solche Aufhebung ist immer wirksam, wenn sie nicht willkürlich erfolgt. Von der Wirksamkeit ist die Rechtmäßigkeit der Aufhebung zu unterscheiden, welche nur gegeben ist, wenn ein gesetzlicher Aufhebungsgrund vorliegt (vgl. etwa § 63 VgV, § 48 UVgO). Die Rechtmäßigkeit der Aufhebung hat insbesondere für Schadensersatzansprüche am Verfahren beteiligter Bieter Relevanz. Angesicht der Haushaltssperre liegt ein Aufhebungsgrund nach § 63 Abs. 1 Nr. 2 VgV bzw. § 48 Abs. 1 Nr. 2 UVgO vor. Danach ist eine Aufhebung rechtmäßig, wenn sich die Grundlage des Vergabeverfahrens wesentlich ändert. Davon umfasst sind auch wirtschaftliche Gründe, zu denen die haushalterische Verfügbarkeit von Mitteln zählt (OLG Düsseldorf v. 26. 6. 2013 – VII-Verg 2/13).

c) Risiken

Das Problem ist aus den jüngsten Krisen bekannt – massive Kostensteigerungen aufgrund höherer Gewalt. So kam es infolge der Covid-19-Pandemie und dem Ukraine-Krieg zu explosionsartigen Preissteigerungen, die weiter andauern. Solche Steigerungen können nach dem Zuschlag, aber auch schon während des Vergabeverfahrens auftreten. Bei der künstlichen Dehnung von Vergabeverfahren durch Fristverlängerungen oder Verzögerungen laufen Auftraggeber Gefahr, dass sich die Auftragswertschätzungen als nicht mehr realistisch erweisen, wenn sich die Kosten in der Zwischenzeit erheblich erhöht haben. Für Bieter besteht das Risko nicht mehr kostendeckender Preiskalkulationen und hohen Vertragsstrafen wegen Lieferverzug. Gerade seit der Covid-19-Pandemie ist die Sensibilität zur Aufnahme von Wertsicherungs- oder Preisanpassungsklauseln und Force-Majeure-Klauseln in Verträge geschärft. Fehlen solche besonderen Klauseln, steht zur Begegnung diesbezüglicher Problematiken dennoch ein umfangreiches Arsenal zur Verfügung, durch das mittels einer Vertragsanpassung auf die Kostensteigerung reagiert werden kann. Die Möglichkeiten reichen hier von ergänzender Vertragsauslegung bis hin zu einem Anpassungsanspruch nach § 313 BGB wegen Störung der Geschäftsgrundlage (vgl. dazu ausführlich: Csaki/Sieber, ZfBR 2023, 329).

Außerdem kann die rechtswidrige Aufhebung einer Ausschreibung Schadensersatzpflichten des Bieters wegen Verletzung vorvertraglicher Pflichten nach §§ 311 Abs. 2, 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB begründen.

2. Reaktionsmöglichkeiten in laufenden Verträgen

Da diese bereits etatisiert sind, ergeben sich für laufende Verträge grundsätzlich keine Bedenken. Probleme können jedoch für wesentliche Auftragsänderungen bestehen. Die in solchen Fällen nötige Durchführung eines neuen Vergabeverfahrens (vgl. § 132 Abs. 1 S. 1 GWB) ist durch die Haushaltssperre verwehrt. Um innerhalb bestehender Verträge handlungsfähig zu bleiben, liegt der Gedanke nahe, eine Auftragsänderung unter einem Ausnahmetatbestand nach § 132 Abs. 3 oder Abs. 2 GWB durchzuführen, um auf eine Neuausschreibung zu verzichten. Eine de-minimis-Vergabe nach § 132 Abs. 3 GWB ist bei Vorliegen der Voraussetzungen oft ohne weiteres möglich. Ein erhöhter Begründungsaufwand ist gefordert, wenn das Absehen von einer Neuausschreibung auf einen der Gründe nach Absatz 2 gestützt werden soll. In Betracht kommt hier z.B. § 132 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 GWB, sofern man die Haushaltssperre unter die „wirtschaftlichen Gründe“ fassen kann. Allerdings sind Änderungen nach § 132 GWB in den meisten Fällen nicht schon etatisiert, sondern bedürfen einer weiteren Freigabe von Haushaltsmitteln. Auftraggeber, die zu so einem Vorgehen greifen, das ohnehin wettbewerbsrechtlich heikel ist, müssen sich deshalb im Klaren darüber sein, dass hier auch haushaltsrechtliche Schelten wegen Verstoßes gegen die Haushaltssperre seitens der Aufsichtsstelle wahrscheinlich sind.

Weniger problematisch dürfte der Abschluss von Rahmenverträgen sein. Ein Rahmenvertrag verpflichtet den Auftraggeber regelmäßig noch nicht zu einem Leistungsabruf, sondern legt zunächst äußere Bedingungen für konkrete Einzelabrufe fest. Dem Abschluss bloßer Rahmenverträge ohne Abrufverpflichtung steht die Haushaltssperre daher nicht entgegen. Schwieriger ist die Beurteilung des Einzelabrufs, da mit diesem konkrete Leistungs- und auftraggeberseitige Gegenleistungspflichten begründet werden. Für eine Zulässigkeit des Einzelabrufs ist genau zu prüfen, ob die entsprechenden Mittel bereits etatisiert wurden. Ist dies der Fall, kann ein Abruf erfolgen. Etwas anderes kann gelten, wenn der Rahmenvertrag eine Abnahmeverpflichtung vorsieht, insbesondere wenn diese zeitlich determiniert ist. Sobald vertragliche Änderungen erfolgen, die eine wesentliche Auftragsänderung darstellen, sieht man sich erneut den Reglementierungen und den damit verbundenen Risiken des § 132 GWB gegenüber.

3. Fazit und Praxishinweise

Die Haushaltssperre bringt das öffentliche Beschaffungswesen auf Bundesebene trotz ihrer gravierenden Folgen keineswegs vollständig zum Erliegen. Obwohl die Einleitung neuer Vergabeverfahren untersagt ist, werden Ausnahmebewilligungen für besonders wichtige Verfahren, etwa im Baubereich, erteilt. Für laufende Vergabeverfahren sind Auftraggeber gut beraten, sich das umfangreiche Reaktionsinstrumentarium der Vergabegesetze ins Gedächtnis zu rufen. Es besteht die Möglichkeit, sich durch angemessene Fristverlängerungen bis zur weiteren Konsolidierung der Lage Zeit zu verschaffen. Keinesfalls besteht eine Pflicht, sofort und überhastet Zuschläge zu erteilen, um die Verfahren zu „retten“, oder Verfahren sofort aufheben zu müssen. Im Vertragsmanagement mit bereits etatisierten Positionen haben Auftraggeber auch angesichts der Haushaltssperre freie Hand, wohingegen wesentliche Auftragsänderungen nicht nur vor dem Vergaberecht, sondern nun auch wegen der Haushaltssperre mit Vorsicht zu behandeln sind. Die weiteren Entwicklungen bleiben mit Spannung abzuwarten.


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Kontribution

Der Beitrag wurde gemeinsam mit Herrn Rechtsanwalt Ferdinand Sieber verfasst.

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Über Ferdinand Sieber

Ferdinand Sieber ist Rechtsanwalt in der Sozietät Bird & Bird. Als Associate in der Praxisgruppe Öffentliches Wirtschaftsrecht in München berät er Unternehmen sowie die öffentliche Hand in den Bereichen des öffentlichen Wirtschafts- und Vergaberechts.

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Über Dr. Alexander Csaki

Dr. Alexander Csaki ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Vergaberecht. Er ist Partner in der Sozietät Bird & Bird. Als Partner der Praxisgruppe Öffentliches Wirtschaftsrecht berät er hauptsächlich Mandaten im Gesundheitssektor, im Bereich Verkehr sowie Sicherheit- und Verteidigung, wobei vergabe-, sozial-, regulierungs- und europarechtliche Fragestellungen seine tägliche Praxis bestimmen.

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