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Haftung von Führungskräften bzw. leitenden Angestellten bei Vergabeverstößen

In dem Beitrag „Vergabefehler in Beschäftigungsverhältnissen und ihre Folgen für den Mitarbeiter“ (Vergabeblog.de vom 20/02/2020, Nr. 43051) ist bereits beleuchtet worden, dass für Beschäftigte, die mit der Durchführung von Vergabeverfahren betraut sind, die Gefahr der Haftung bei Vergabefehlern besteht. Wie verhält es sich aber, wenn neben den unmittelbar mit der Durchführung von Vergabeverfahren Beschäftigten darüber hinaus deren Führungskräfte bzw. leitende Angestellte mittelbar mit den Vergabeverfahren sowie Vergabeverstößen in Kontakt kommen?

Bereits besprochen wurde die praktische Relevanz von Vergabefehlern und ihren Folgen jedoch im Schwerpunkt ausschließlich für diejenigen Beschäftigten, die unmittelbar, selbst und persönlich an der wesentlichen Durchführung der Vergabeverfahren beteiligt sind. In diesem Beitrag soll beleuchtet werden, ob auch den Personenkreis der Führungskräfte eine Verantwortung bzw. Haftung treffen kann.

I. Begriff der Führungskraft / des leitenden Angestellten

Unter einer Führungskraft wird in der Führungslehre grundsätzlich eine Person verstanden, die in einem Wirtschaftssubjekt (Unternehmen, Personenvereinigungen, öffentliche Verwaltung) mit Aufgaben der Personalführung betraut ist. Einer solchen leitenden Führungskraft steht die Befugnis zu, im Rahmen des Direktionsrechts mittels Weisung Aufgabenträgern ausführende Tätigkeiten vorzuschreiben. Durch ihre Führungskompetenz übernehmen sie Fremdverantwortung und delegieren Durchführungskompetenzen. Zu den Führungsaufgaben einer Führungskraft gehören Organisation, Planung, Zielsetzung, Entscheidung, Koordination, Information, Mitarbeiterbewertung und Kontrolle (Altfelder/Bartels/Horn/Metze: Lexikon der Unternehmensführung, 1973, S. 83).

Einen Teil von Führungskräften nach obigem Verständnis bilden leitende Angestellte. Ein einheitlicher rechtlicher Begriff des leitenden Angestellten existiert nicht. Ein Leitbild des leitenden Angestellten im Rechtssinne ist § 5 Abs. 3 S. 2 BetrVG samt begriffsbildender Kriterien zu entnehmen. Konsens in höchstrichterlicher Rechtsprechung und Literatur besteht insoweit, dass leitender Angestellter nach § 5 Abs. 3 S. 2 BetrVG nur derjenige ist, dem unternehmerische (Teil)-Aufgaben übertragen sind und der dadurch unternehmerische Führungsaufgaben wahrnimmt. Der Gesetzgeber definiert in anderen Gesetzen mehrfach den Begriff des leitenden Angestellten durch Verweisung auf § 5 Abs. 3 BetrVG. Auch der kündigungsschutzrechtliche Begriff des leitenden Angestellten setzt – bei allen Unterschieden – die Übertragung und Wahrnehmung unternehmerischer Teilaufgaben bzw. -funktionen voraus. Damit unternehmerische Führungsaufgaben („spezifische unternehmerische Teilaufgaben”) iSd. ständigen Rechtsprechung des BAG zu § 5 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 BetrVG gegeben sind, muss der Angestellte eine für die Verwirklichung des Unternehmensziels bedeutsame Schlüsselposition innehaben, die ihn in die Nähe der Unternehmensleitung rückt (vgl. BAG vom 11.01.1995, Az. 7 ABR 33/94; BAG vom 25.10.2001, Az. 2 AZR 358/00).

Das heißt, Führungskräfte bzw. leitende Angestellte können grundsätzlich Mitglieder von Vorständen, von Aufsichtsräten, Verwaltungsräten, Geschäftsführer und andere Organmitglieder, aber auch Bürgermeister, Landräte, Leiter in Abteilungen, Referaten, Dezernaten, Gruppen und Teams sein, wobei die Aufzählung keinen Anspruch auf Vollständigkeit genießen soll. In jedem konkreten Einzelfall muss das begriffliche Vorliegen einer Führungskraft bzw. eines leitenden Angestellten geprüft und abhängig von der Struktur des jeweiligen Auftraggebers sowie der Funktion der jeweiligen Person beurteilt werden.

II. Grundsätze der Haftung

Eine Haftung von Führungskräften bzw. leitenden Angestellten für Vergabeverstöße kann sich grundsätzlich zunächst, insbesondere für Organe, unmittelbar aus spezialgesetzlichen Regelungen wie dem AktG, GmbHG, aber auch aus §§ 280, 823, 831 BGB, § 14 StGB, § 30 OWiG ergeben, wobei besondere Sorgfaltsmaßstäbe des ordentlichen Kaufmanns bzw. der Business Judgement Rule und ein Organisationsverschulden eine Rolle spielen können.

Führungskräfte sind im Regelfall nicht an der Durchführung von Vergabeverfahren beteiligt, sodass Vergabeverstöße nicht unmittelbar durch sie verursacht werden und eine unmittelbare Haftung regelmäßig ausscheidet. Es bedarf daher einer Haftung aus mittelbarer Zurechnung. Denkbar und mit folgenden Fragestellungen verbunden wäre eine solche mittelbare Zurechnung sowohl auf Seiten der öffentlichen Auftraggeber, als auch auf Seiten von Bieterunternehmen oder bei beratenden Dritten:.

  • Wie verhält es sich, wenn der Vorstand oder Geschäftsführer nicht ausreichend qualifiziertes und kompetentes Personal für die Einhaltung der Vergabepflichten des Auftraggebers bzw. Unternehmens vorhält und über vergabewidriges Handeln hinwegsieht?
  • Besteht eine Haftung, wenn der Aufsichts- oder Verwaltungsrat seine Kontrollfunktion nicht ordnungsgemäß ausübt, obwohl er Kenntnis von den vergabewidrigen Vorgängen beim kontrollierten Unternehmen hat.
  • Kann der Bürgermeister oder Landrat in die Haftung gezogen werden, wenn er nicht die Einhaltung des Vergaberechts in der Kommunal- bzw. Kreisverwaltung sicherstellt?
  • Wie verhält es sich, wenn der Vorstand oder Geschäftsführer entgegen der Beratung und trotz Hinweisen der unmittelbar mit der Durchführung betrauten Vergabeexperten in voller Kenntnis vergabewidrig die Zustimmung zu einem Zuschlag bzw. einer Direktauftrag erteilt?

1. Vorstand, Aufsichtsrat, Geschäftsführer

Im Rahmen der Haftung dieser Organe bzw. Organmitglieder und des entsprechenden Sorgfaltsmaßstabs des ordentlichen Kaufmanns existiert die so genannte Business Judgement Rule, die in Verbindung mit Vergabeverstößen relevant werden kann.

Die Business Judgement Rule beschreibt den Umfang des unternehmerischen Entscheidungsspielraums insbesondere von Vorständen und Geschäftsführern, der nicht gerichtlich überprüfbar ist. Danach haften Vorstände und Geschäftsführer dann nicht für negative Folgen unternehmerischer Entscheidungen, wenn die Entscheidung auf Grundlage angemessener Informationen, ohne Berücksichtigung sachfremder Interessen, zum Wohl der Gesellschaft und in gutem Glauben gefasst wurde. Eine Vielzahl gesetzlicher Regelungen ist Ausfluss dieses Sorgfaltsmaßstabs (vgl. Spindler, in: MüKo, § 93 AktG, Rn. 43 ff.).

Je nach Rechtsform des Unternehmens folgen sie aus der Leitungs- und Organisationsverantwortung, bei der Aktiengesellschaft aus den §§ 76, 93, 91, 111, 116 AktG oder bei der GmbH aus §§ 43 GmbHG, 130 Abs. 1 OWiG.

Der Vorstand hat für die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen und der unternehmensinternen Richtlinien zu sorgen und wirkt auf deren Beachtung durch die Konzerneinheiten hin. Der Vorstand hat gemäß § 91 Abs. 2 AktG geeignete Maßnahmen zu treffen, insbesondere ein Überwachungssystem einzurichten, damit Entwicklungen, die den Fortbestand der Gesellschaft gefährden, früh erkannt werden. Die Vorstandspflichten ergeben sich daneben auch aus § 93 I 1 AktG, wonach die Vorstandsmitglieder bei ihrer Geschäftsführung die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden haben. Das Ausmaß der Aufsichtspflicht selbst wiederum hängt regelmäßig von den Umständen des Einzelfalls ab. So sind auf der einen Seite nur die Aufsichtsmaßnahmen zu treffen, die möglich, zumutbar und insbesondere auch im Verhältnis zu den Beaufsichtigten rechtmäßig sind. Auf der anderen Seite setzt die Pflicht nicht erst dann ein, wenn Verstöße bereits festgestellt worden sind, da deren Verhinderung gerade Sinn und Zweck der Aufsicht ist. Zu den gebotenen Aufsichtsmaßnahmen zählt daher nicht nur die sorgfältige Auswahl des betreffenden Personals, sondern gleichermaßen auch die stichprobenartige, überraschende Kontrolle der Mitarbeiter. Eine gesteigerte Aufsichtspflicht besteht jedenfalls dann, wenn bereits in der Vergangenheit Unregelmäßigkeiten vorgekommen sind (vgl. Schulz, Compliance in und für öffentliche(n) Vergabeverfahren, CCZ 2014, 126); Kapp, Gärtner: Die Haftung von Vorstand und Aufsichtsrat bei Verstößen gegen das Kartellrecht, CCZ 2009, 168).

Gleiche Grundsätze gelten gemäß § 43 GmbHG für den Geschäftsführer einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Auch Geschäftsführer haben in den Angelegenheiten der Gesellschaft die Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns anzuwenden. Die Geschäftsführer, die diese Obliegenheiten verletzen, haften der Gesellschaft solidarisch für den entstandenen Schaden (vgl. BGH, Urteil vom 04.11.2002, Az. II ZR 224/00).

Der Aufsichtsrat oder bzw. Verwaltungsrat hat die leitenden unternehmerischen Entscheidungen des Vorstands auf seine Zweckmäßigkeit, seine Rechtmäßigkeit sowie Wirtschaftlichkeit zu überprüfen. Dies beinhaltet sowohl eine präventive Kontrolle als auch eine vergangenheitsbezogene Prüfung.

2. Bürgermeister, Landrat

Die (strafrechtliche) Haftung des Bürgermeisters bei Vergabeverstößen stand zuletzt sogar vor dem BGH auf dem Prüfstand (vgl. BGH, Beschluss vom 08.01.2020, Az. 5 StR 366/19). Gegenüber der Gemeinde kann eine Verantwortlichkeit nach den jeweils geltenden kommunalrechtlichen Vorschriften eintreten, aber auch § 839 BGB, Art. 34 Abs. 1 GG können in Bezug auf Schadenersatzansprüche zum Zuge kommen. Eine Gemeinde hat einen Anspruch auf Schadensersatz gegen den Bürgermeister, wenn dieser seine Dienstpflichten während der Amtszeit verletzt hat (vgl. OVG Magdeburg, Beschlüsse vom 31.07.2019, Az. 1 L 68/19; 1 L 69/19; 1 L 70/19; VG Neustadt, Urteil vom 22.06.2022, Az. 1 K 507/18). Mehr als nur vergleichbar dürfte sich die Konstellation für einen Landrat als Leiter der Kreisverwaltung darstellen.

3. Sonstige Führungskräfte

Über die genannten Vorstände, Aufsichtsräte, Geschäftsführer, Bürgermeister und Landräte hinaus können weitere Personen in (auch angestellten) Leitungspositionen in Bezug auf eine Haftung als nicht unmittelbar handelnde Führungskräfte wie Leiter in Abteilungen, Referaten, Dezernaten, Gruppen und Teams in Betracht kommen.

Im Hinblick auf die Anwendbarkeit der Business Judgement Rule im Rahmen der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns als speziellem Sorgfaltsmaßstab ist jedoch festzustellen, dass nicht jede Führungskraft nach dem oben genannten Begriff diesen unternehmerischen „Haftungsfreiraum“ genießt, sondern eben nur wie ausgeführt die leitenden Angestellten, die zumindest teilweise unternehmerische Funktionen ausüben. Kann eine solche unternehmerische Funktion bzw. Schlüsselposition im Sinne des § 5 Abs. 3 S. 2 BetrVG im Einzelfall bejaht werden, so gelten für die Haftung die gleichen Maßstäbe der Business Judgement Rule wie bei Vorständen, Aufsichtsräten und Geschäftsführern (vgl. Bürkle, Fecker: Business Judgment Rule: Unternehmerischer Haftungsfreiraum für leitende Angestellte NZA 2007, 589).

Für übrige Führungskräfte ohne solche leitenden Funktionen iSd. § 5 Abs. 3 S. 2 BetrVG kann jedoch als mittelbar Handelnde im Übrigen eine Haftung nach den Grundsätzen des Organisationsverschuldens ohne die Privilegierung der Business Judgement Rule in Betracht kommen.

Das Organisationsverschulden ist eine Verschuldensform im Haftungsrecht. Anknüpfungspunkt für dieses Verschulden ist eine nicht ordnungsgemäße Organisation desjenigen, der für eine ordnungsgemäße Organisation verantwortlich ist. Rechtlich kann sich diese aus §§ 280, 823, 831 BGB, § 31 OWiG ergeben. Die Ursachen für ein Organisationsverschulden sind vielfältig und können in mangelhafter Organisation und Kontrolle, in fehlerhaften Prozessen, Abläufen, Kommunikationswegen, internen Leitfäden, Arbeitsanweisungen, aber ebenso in fehlenden personellen Ressourcen, mangelnder erforderlicher Infrastruktur liegen.

III. Praktische Fallbeispiele

  • Wenn ein Vorstandsmitglied, Mitglied des Aufsichtsrats oder ein Geschäftsführer eines öffentlichen Auftraggebers darüber informiert wurde und positive Kenntnis darüber hat, dass die unmittelbar mit der Durchführung von Vergabeverfahren betrauten Beschäftigten nicht nur vereinzelt, sondern regelmäßig und berechtigt seitens der Bieter mit Rügen und Nachprüfungsverfahren von Bietern konfrontiert werden und trifft er keine Maßnahmen zur Beseitigung der systematisch vergabewidrigen Zustände, dürfte er in der Regel außerhalb des Schutzes des Sorgfaltsmaßstabs der Business Judgement Rule handeln. Solche Vorgänge können über die zunächst stichprobenartige, überraschende Kontrolle des betreffenden Personals hinaus sogar zu einer neuen Auswahl des betreffenden Personals verpflichten, insbesondere wenn in der Vergangenheit vergaberechtliche Unregelmäßigkeit bereits vorgekommen sind. Von genannten Organen ist dafür Sorge zu tragen, dass entsprechende ordnungsgemäße vergaberechtliche Dokumentationen sichergestellt werden.
  • Wenn der Aufsichts- oder Verwaltungsrat selbst Kenntnis von Vorgängen innerhalb des kontrollierten Unternehmens wie im vorangehenden Punkt erlangt, untätig bleibt und seiner Kontrollfunktion damit nicht gerecht wird, bewegt er sich grundsätzlich außerhalb der Business Judgement Rule.
  • Ein Bürgermeister, der Vergaben der Gemeinde abspricht und die entsprechenden Vergaberichtlinien nicht einhält, begeht ein innerdienstliches Dienstvergehen. Sofern der Gemeinde dadurch ein substanzieller Schaden entsteht, eine strafrechtliche Verurteilung des Bürgermeisters in Rede steht und das Vertrauen der Öffentlichkeit in eine gesetzestreue Gemeindearbeit beschädigt ist, kann dies zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis führen (vorliegend angenommen bei einem Schaden von über EUR 50.000 und einer Verurteilung wegen Untreue zu 11 Monaten auf Bewährung ( vergabeblog.de vom 30/11/2020, Nr. 45776: Vergabewidriges Verhalten führt (mitunter) zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis! (VG Regensburg, Urteil vom 19.10.2020, Az. RB 10A DK 19.32).
  • Schließt der Vorstand einer Stiftung des öffentlichen Rechts ohne die erforderliche europaweite Ausschreibungen Projektsteuerungsverträge mit einem Architekturbüro ab, obwohl er über die Vergaberechtswidrigkeit seines Verhaltens informiert war und setzt sich damit über seine Kenntnisse bösgläubig hinweg, so rechtfertigt dies die Kündigung seines Anstellungsvertrags aus wichtigem Grund gemäß § 626 BGB ( LG Saarbrücken, Urteil vom 23.7.2015, Az. 4 O 346/11).
  • Unterlässt der Geschäftsführer einer GmbH eine öffentliche VOB/A-Ausschreibung, deren Notwendigkeit sich aus den einer Subventionsbewilligung zu Grunde liegenden Nebenbestimmungen (Ziffer 3 ANBest-P) ergibt, so haftet er der Gesellschaft für den aus seiner Obliegenheitsverletzung folgenden Schaden aus § 43 II GmbHG ( LG Münster, Urteil vom 18.05.2006, Az. 12 O 484/05). Darlegungs- und beweisbelastet dafür, dass der Geschäftsführer seinen Sorgfaltspflichten nachgekommen ist, ist der Geschäftsführer, (weil) der Geschäftsführer das Risiko der Unaufklärbarkeit trägt (vgl. BGHZ 152, 280 = NJW 2003, 358; OLG Hamm, NZG 1999, 1221). Er muss daher eine einwandfreie vergaberechtliche Dokumentation vorhalten, um dieser Obliegenheit nachzukommen. Das Verschulden des Geschäftsführers war auch nicht deswegen ausgeschlossen, weil er die Ausschreibung auf die Prokuristen delegiert hatte. Zum einen kann sich der Geschäftsführer zu seiner Entlastung nicht auf schuldhafte Mitverursachungsbeiträge unterstellter Mitarbeiter oder anderer Geschäftsführer berufen (vgl. OLG Köln, Urteil vom 11.07.2000, Az. 15 U 181/99). Zum anderen verbleiben dem Geschäftsführer auch nach einer erfolgten Delegation besondere Beobachtungs- und Überwachungspflichten. Derartige Kontroll- und Aufsichtspflichten bestehen im vorliegenden Fall erst recht deshalb, weil die Subventionsbewilligung für die Gesellschaft im entschiedenen Fall erkennbar von ganz besonderer wirtschaftlicher Bedeutung war. Insoweit musste der Geschäftsführer in seiner Funktion die Einhaltung der dem Bewilligungsbescheid zu Grunde liegenden Bestimmungen besonders gründlich überwachen und überprüfen. Er kann sich nicht darauf berufen, diesen Tätigkeitsbereich vollumfänglich auf die Prokuristen übertragen zu haben. Selbst auf eine Entlastung nach § 46 Nr. 5 GmbHG konnte sich der Geschäftsführer nicht erfolgreich berufen (vgl. Hommelhoff, GmbHG, § 43 Rdnr. 17; LG Münster: Schadensersatz wegen Subventionsentfall bei unterbliebener Ausschreibung).
  • Werden Führungskräfte ausdrücklich darauf hingewiesen, dass ein bestimmtes Vorgehen bei der öffentlichen Auftragsvergabe rechtswidrig ist, lehnen die unmittelbar mit der Durchführung betrauten Mitarbeiter die Verantwortungsübernahme ab und setzt sich die Führungskraft darüber hinweg, indem sie vergaberechtswidrig vorgeht und der Auftrag auf dieser Grundlage vergeben wird, dann dürfte sie sich in der Regel nicht mehr in dem für den entsprechenden Personenkreis durch die Business Judgement Rule gesetzten unternehmerischen Beurteilungsspielraum bewegen, haftbar gemacht haben bzw. dürfte zumindest ein Organisationsverschulden in Betracht kommen.

IV. Fazit

Vergabepflichten sind ernst zu nehmen und nicht als notwendiges Übel abzutun. Nicht nur unmittelbar, selbst und persönlich mit der Vorbereitung und Durchführung von Vergabeverfahren betraute Mitarbeiter bzw. Beschäftigte können Vergabefehler teuer zu stehen kommen, sondern ebenfalls im Wesentlichen nur mittelbar für die Vergabekonformität verantwortliche Führungskräfte; zuvörderst Organe bzw. Organmitglieder von juristischen Personen. Daher sind durch den öffentlichen Auftraggeber entsprechende Maßnahmen zur Sicherstellung und Gewährleistung der Rechtskonformität von Vergabeverfahren im eigenen Hause zu treffen. Sie haben qualifiziertes „Vergabe-Personal“ vorzuhalten, interne Vergabeprozesse samt Leitfäden, Arbeitsanweisungen und Checklisten zu implementieren. Das Personal ist vergaberechtlich zu sensibilisieren, zu schulen, fortzubilden und eine Vergabekultur ist im Haus zu fördern bzw. zu schaffen, die über die „bloße“ Einhaltung des Vergaberechts und die Vermeidung von Vergabefehler eine „ehrliche“ Akzeptanz begründet, dass öffentliche Vergabeverfahren eine Vielzahl von Vorteilen für Wettbewerb, Gleichberechtigung, Transparenz, Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit bringen.

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Über Michael Pilarski

Der Autor Michael Pilarski ist als Volljurist bei der Investitions- und Förderbank des Landes Niedersachsen – NBank – in Hannover tätig. Als Prüfer, insbesondere der Vergaberechtsstelle, lag sein Schwerpunkt mehrere Jahre in den Bereichen Zuwendungs- und Vergaberecht. Er hat die Einhaltung des Zuwendungs- und Vergaberechts durch private und öffentliche Auftraggeber, die Förderungen aus öffentlichen Mitteln erhalten, geprüft und Zuwendungsempfänger bei zuwendungs- und vergaberechtlichen Fragestellungen begleitet. Nunmehr ist er in der Rechtsabteilung der NBank in den Bereichen Vergabe-, Vertrags- sowie Auslagerungsmanagement beschäftigt. Darüber hinaus sitzt er der Vergabekammer Niedersachsen beim Niedersächsischen Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr in Lüneburg bei, ist zugelassener Rechtsanwalt und übernimmt Referententätigkeiten sowie Schulungen im Zuwendungs- und Vergaberecht.

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4 Kommentare

  1. Anonymous

    Das Hauptproblem des Vergaberechts ist mE nicht die systematische Missachtung des Vergaberechts, sondern Angsthasenrecht aus Angst vor Kritik. Das dürfte die Hauptursache für das vollkommen zu recht kritisierte Beschaffungswesen der Bundeswehr sein, wo das oberste Ziel wohl „rechtskonforme Vergabe“ und nicht „Deckung des Bedarfs“ ist. Das erste wird erreicht, zum zweiten gibt es hinlängliche Berichterstattung und Rechnungshofberichte…

    Reply

  2. Anonymous

    Interessanter Beitrag. Hier ein Zitat aus dem Fazit, mit meinen Fragen:
    „Daher sind durch den öffentlichen Auftraggeber entsprechende Maßnahmen zur Sicherstellung und Gewährleistung der Rechtskonformität von Vergabeverfahren im eigenen Hause zu treffen. Sie haben qualifiziertes „Vergabe-Personal“ vorzuhalten, interne Vergabeprozesse samt Leitfäden, Arbeitsanweisungen und Checklisten zu implementieren. Das Personal ist vergaberechtlich zu sensibilisieren, zu schulen, fortzubilden und eine Vergabekultur ist im Haus zu fördern bzw. zu schaffen, die über die „bloße“ Einhaltung des Vergaberechts und die Vermeidung von Vergabefehler eine „ehrliche“ Akzeptanz begründet, dass öffentliche Vergabeverfahren eine Vielzahl von Vorteilen für Wettbewerb, Gleichberechtigung, Transparenz, Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit bringen.“
    Wann gelten die hier von Ihnen zitierten Vorgaben als erfüllt – insbesondere dort, wo Vergaben komplett dezentral organisiert sind, es weder eine Vergabestelle noch eine Vergabe-Beratungsstelle in der Organisation gibt? Also wann gilt dort das Personal als „Vergabe-Personal“, das zur Verantwortung herangezogen werden kann? Was muss gegeben sein, um von interne Vergabeprozessen samt Leitfäden, Arbeitsanweisungen und Checklisten sprechen zu können, hinter denen sich Verantwortliche „verstecken“ können, etc.? Wenn diese nicht hinreichend existieren oder inhaltlich mit der Entwicklung des Vergaberechts schritthalten konnten, kann das „Vergabe-Personal“ dann überhaupt für irgendeinen Vergabefehler zur Rechenschaft herangezogen werden?

    Reply

  3. Harald Vollmer

    An Anonymus
    Die Vergabekonformität geht der „wirtschaftlichen“ Bedarfsdeckung vor. Die dazu erforderlichen Transaktions- u. Organisationskosten sind unabdingbar zur Exculpation der Verantwortlichen. Außerdem unterliegen die Vergabe-verantwortlichen (hierarchiemäßig letztverantwortlich der Oberbürger-meister bzw. Vorstand/Geschäftsführer städtischer Tochterfirmen) dienst- und haftungsrechtlichen Konsequenzen aus der evtl. Missachtung vergaberechtl. Vorgaben (EU-Vergaberegime bzw. haushalts-/-kommunalrechtlicher Vorschriften).
    https://blog.cosinex.de/2020/02/26/bgh-wann-erfuellen-vergabeverstoesse-den-straftatbestand-der-haushaltsuntreue/

    Reply

  4. Michael Pilarski

    Sehr geehrte Fragestellerin bzw. geehrter Fragesteller,

    das sind einige sehr interessante Fragen, die Sie aufwerfen.

    Das ist leider mit der zuweilen unbefriedigenden Antwort, „es kommt auf den konkreten Einzelfall an“, zu beantworten.

    Es gibt zu diesem Thema gar nicht so viele gerichtliche Entscheidung. Letztlich würde ein Gericht konkret und individuell in solchen Haftungsfragen maßgeblich auf die einzelne Einrichtung und die überhaupt vorhandenen Führungsebenen abstellen, die sich natürlich aber auch wegen der Vielzahl bzw. Vielfalt der Strukturen und Rechtsformen erheblich unterscheiden können, und prüfen, ob im Kern eben der im Beitrag genannte erforderliche Sorgfaltsmaßstab erfüllt wurde oder dagegen verstoßen wurde.

    Hierbei kommt es neben den Besonderheiten der jeweiligen Einrichtung und der Struktur der Führungsebenen auf die vorhandenen internen Prozesse und Abläufe an, insbesondere auch die diesbezüglichen Vorgänge und Gegebenheiten aus der Vergangenheit. Sind bereits vergabewidrige Vorgänge in der Vergangenheit zu verzeichnen gewesen, so wird der Sorgfaltsmaßstab für die Gegenwart und Zukunft strenger angelegt werden müssen, weil man aus den Fehlern hätte als Führungskraft bzw. leitender Angestellter lernen müssen und entsprechende Maßnahmen zur Abhilfe einführen müssen.

    Wenn des Öfteren oder gar systematisch Vergabewidrigkeiten geschehen, dann müsste in dem von Ihnen angesprochenen Fall hinterfragt und geprüft werden, warum diese so passieren wie sie passieren. Das heißt, es würde wohl darauf hinauslaufen, dass einer Führungskraft hätte einleuchten müssen, dass die reine dezentrale Organisation ohne zentrale Vergabestelle und ohne Vergabeberatung und ohne geschultes ausgebildetes bzw. fortgebildetes Personal wohl eher nicht funktioniert und hätte optimiert werden müssen.

    Die Frage, wann von „Vergabe-Personal“ gesprochen werden kann ist auch sehr interessant, zumal es diese Ausbildung klassisch bzw. geschützt gar nicht in der Art gibt. Insoweit wird nicht gefordert werden können, dass man etwa einen „Vergabe-Bachelor“, „Vergabe-Master“ oder irgendein anderes „Vergabe-Examen“ als „Vergabe-Mitarbeiter“ vorhält. Man wird aber für den in Rede stehenden Sorgfaltsmaßstab sicherlich fordern können, dass ein Mitarbeiter für eine „Vergabe-Position“ ausreichend qualifiziert ist und die entsprechenden Erfahrungen mitbringt. Natürlich soll dies nicht bedeuten, dass Berufseinsteigern die Türen verschlossen sind. In diesem Fall wäre einem Berufseinsteiger vor dem Hintergrund des Sorgfaltsmaßstab meiner Ansicht nach aber zumindest ein anderer erfahrener und qualifizierter Vergabe-Mitarbeiter zur Einarbeitung zur Seite zu stellen. Der Führung zurechenbar ist es meines Erachtens aber sicherlich, wenn Vergabewidrigkeiten passieren, weil ein Berufseinsteiger und kompletter Neuling im Rechtsgebiet zum Beispiel ohne weitere Unterstützung und Einarbeitung als alleinige „Vergabe-Kraft“ auf eine verantwortungsvolle Position bei einem großen öffentlichen Auftraggeber gesetzt wird, dort komplexe europaweite Vergabeverfahren durchführen soll und diese unter Umständen „reihenweise in den Sand“ setzt, weil er damit „alleine gelassen“ wird.

    Insoweit hängt die konkrete Beurteilung von so vielen individuellen Umständen und Gegebenheiten in einer Einrichtung ab, dass eine pauschale Antwort nur schwer möglich ist. Insoweit dürfte gelten:

    Je mehr für Mitarbeiter transparente interne Prozesse und Abläufe effizient gestaltet und entsprechend dokumentiert sind, desto eher erfüllt man den eigenen Sorgfaltsmaßstab als Führung.

    Dazu würde gehören, zu allen einzelnen Schritten im Vergabeverfahren zumindest von der Bedarfsmeldung, der Budgetfreigabe bis zum Nachtragsmanagement und der Beendigung des Vertragsverhältnisses entsprechende Arbeitsanweisungen und Leitfäden transparent für alle Mitarbeiter vorzuhalten, um eine entsprechende „Vergabekultur“ zu schaffen.

    Insoweit ist die Formulierung „…hinter denen sich Verantwortliche verstecken können…“ , gerade das, was nicht passieren sollte. Sie sollen sich nicht verstecken, sie sollen durch entsprechende Gestaltung der Vergabeprozesse darauf hinwirken, dass die Einhaltung zur Selbstverständlichkeit wird und Vorteile bringt, statt nur die Versuche zu unternehmen, Vergabeverfahren als unbequemes und unangenehmes Übel zu betrachten, dass möglichst umgangen werden sollte.

    Das Vergabe-Personal, das nicht der Führungsebene angehört, kann letztlich unternehmerisch nicht selbstständig die Entscheidungen der Gestaltung der Vergabeprozesse treffen. Diese Entscheidung liegen grundsätzlich bei der Führungsebene. Es kann nur immer wieder darauf hinweisen und bei der Führung anklopfen, um sich insoweit „freizuzeichnen“ und auf zweifelhafte und rechtswidrige Vorgänge hinzuweisen. Wenn die Führung dann nicht reagiert, dann kommt es unter Umständen zur Haftung dieser Führung. Aber natürlich könnte sich auch das Vergabe-Personal unmittelbar verantwortlich machen, wenn es sich die Sache zu einfach macht, sehenden Auges Vergaben „vor die Wand fährt“ und den Vorgesetzten gegenüber nur bestätigt, wie gut alle laufen würde. Da sind sicherlich beide Seiten mitwirkungspflichtig und müssen zu dieser Vergabekultur in gegenseitiger Abstimmung und Kooperation beitragen.

    Besten Gruß

    Reply

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