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Hessen: Diskussion über erhöhte Wertgrenzen weitet sich aus

In keinem Bundesland wurde die Diskussion um die Verlängerung der im Rahmen der Konjunkturpakete erhöhten vergaberechtlichen Wertgrenzen so kontrovers geführt. Nach der Ankündigung des hessischen Ministerpräsidenten Bouffier, man wolle aufgrund der gemachten “guten Erfahrungen” die Regelungen beibehalten, brachten die GRÜNEN das Thema in einer aktuellen Stunde in den Landtag ein. Offenbar mit Erfolg: Ohne gründliche Evaluation und Diskussion in den Landtagsgremien nun doch keine Verlängerung. Zustimmung kommt von der Antikorruptionsorganisation Transparency International, während die Handwerkskammer Rhein-Main in entgegengesetzter Richtung Position bezieht: Künftig solle “noch stärker die Möglichkeit der beschränkten Ausschreibung” genutzt werden, “damit mehr Aufträge an heimische Betriebe vergeben werden”. Dies hätten der Frankfurter Stadtkämmerer Uwe Becker und Planungsdezernent Edwin Schwarz mit dem Handwerkskammerpräsident Bernd Ehinger – so wörtlich – „vereinbart“.

Vereinbarung für regionale Vergabepraxis

So die Handwerkskammer in einer Pressemitteilung vom 9. März. Demnach hätten die Frankfurter Stadträte Becker und Schwarz “zugesichert, die rechtlichen Möglichkeiten auszuschöpfen”. Kritisch wird bemerkt, dass einer aktuellen Studie der Hessen Agentur zufolge nur rund 61 Prozent der Aufträge im Regierungsbezirk Darmstadt verblieben, im Regierungsbezirk Gießen dagegen rund 80 Prozent (Hessen ist seit 1981 verwaltungsmäßig unterteilt in die drei Regierungsbezirke Darmstadt, Gießen und Kassel).

Im Hinblick auf die Vergabepraxis der Kommunen fordert die Kammer “klare Signale” von der Politik. “Die Handwerkskammer Rhein-Main befürwortet deshalb, die überaus erfolgreiche Regelung der höheren Vergabegrenzen auch nach dem Ende des Jahres weiterzuführen“, so Handwerkskammerpräsident Bernd Ehinger.

Diskussion im Landtag

Diese von der Landesregierung bereits angekündigte Verlängerung wurde nun von den GRÜNEN zum Thema einer Aktuellen Stunde im Hessischen Landtag gemacht: “Wir begrüßen, dass Wirtschaftsminister Dieter Posch heute die Gelegenheit wahrgenommen hat, das vor zwei Jahren bei der Verabschiedung des Konjunkturprogramms gegebene Versprechen der Landesregierung zu bekräftigen“, stellte im Anschluss deren wirtschaftspolitischer Sprecher Kai Klose fest (Interview im Vergabeblog hier) – ohne gründliche Evaluation und Diskussion darüber in den Landtagsgremien sollen die erhöhten Vergabegrenzen nun doch nicht verlängert werden.

Klose bekräftigte nach der Debatte auch noch einmal die Forderung der GRÜNEN, die Veröffentlichungspflichten nach der Vergabe eines Auftrags in Hessen nicht „zur Anwendung freizustellen“, wie es die Landesregierung Ende Oktober in einem Runderlass getan hat. Die GRÜNEN befürchten, dass die neuen Regelungen zur Vergabe öffentlicher Aufträge der Korruption die Tür öffnen könnten: “Öffentliche Aufträge brauchen öffentliche Kontrolle“, so Klose.

Rückendeckung von Transparency International

Auch die Antikorruptionsorganisation Transparency International (TI) Deutschland meldet sich zu Wort und fordert ein Ende der Anhebung der Wertegrenzen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge. “Die Anhebung erfolgte ausschließlich zur Überbrückung der Wirtschaftskrise”, erinnert TI. Jetzt müsse zu den ursprünglichen Regelungen zurückgekehrt werden. Hessen sollte nach Ansicht von TI dabei eine Vorreiterrolle einnehmen. Christian Lantermann, Leiter der Arbeitsgruppe Vergabe bei Transparency Deutschland: „Die kommunale Wirtschaft wird nicht dadurch gefördert, dass sie vor Wettbewerb von außen geschützt wird, sie damit aber anfälliger für Korruption wird. Es sollte das Unternehmen einen öffentlichen Auftrag erhalten, welches das überzeugendste Produkt zum besten Preis in einem offenen und fairen Wettbewerb anbietet.“

Auch TI bewertet die hessischen Regelungen, welche die Transparenzvorschriften der VOL/A (§ 19 Abs. 2) und der VOB/A (§ 20 Abs. 3) in Bezug auf beschränkte und freihändige Vergaben zur Anwendung freizustellen, als “besonders kritisch”. Die Vergangenheit habe gezeigt, dass diese Transparenzvorschriften besonders gut geeignet seien, der Korruption im Bereich des Vergabewesens wirksam zu begegnen und Missstände offenzulegen. Sie dürfen daher nicht zur Disposition gestellt werden.

Fazit

Es bleibt also spannend, ob sich Hessen am Ende der Verlängerung der erhöhten Freigrenzen anschließen wird. Tatsächlich hat dies inzwischen die weit überwiegende Mehrheit der Bundesländer – alle bis auf Bremen, Hessen und Sachsen – getan (Überblick hier). Die hessische Diskussion um das Für und Wider kann gleichwohl stellvertretend für alle Bundesländer stehen, auch, wenn sie andernorts offenbar nicht geführt wurde.

Dabei sollte die Auseinandersetzung darüber aber mit den Argumenten geführt werden, um die es wirklich geht. So ist es der Handwerkskammer – ob man deren Ansicht nun teilen mag oder nicht – anzurechnen, zur Begründung ihrer Forderung nicht wie vielerorts üblich auf das komplizierte Vergaberecht abzustellen, sondern auf den Erhalt der öffentlichen Nachfragemacht für die Betriebe vor Ort.

Das Hessische Wirtschaftsministerium wies unterdessen die Vorwürfe der GRÜNEN zur mangelnden Transparenz zurück, wie in der Frankfurter Rundschau zu lesen war: “Hessen hat sich für den strengeren Weg der Transparenz nach innen durch die Dokumentationspflicht der Vergabestellen und deren Überwachung durch Innenrevision und Rechnungsprüfungsämter entschieden“, teilte das Ministerium mit. Bei einer ex-post Veröffentlichung der freihändigen Vergaben bestehe hingegen „die Gefahr, dass Kartelle diese Information nutzen, um festzustellen, ob sie erfolgreich waren – oder wenn nicht, wie sie künftig besser funktionieren“.

Dieses Argument ist zumindest eines: Gänzlich neu.

(Quelle: Handwerkskammer Rhein-Main, Frankfurter Rundschau, Hessischer Landtag, Transparency International)

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Über Marco Junk

Der Jurist Marco Junk gründete im Jahr 2007 den Vergabeblog und 2010 gemeinsam mit Dipl.-Betriebsw. Martin Mündlein das Deutsche Vergabenetzwerk (DVNW). Er begann seine berufliche Laufbahn im Jahr 2004 als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer und war danach als Bereichsleiter Vergaberecht beim Digitalverband bitkom tätig. Im Jahr 2011 leitete er die Online-Redaktion des Verlags C.H. Beck. Von 2012 bis 10/2014 war er Mitglied der Geschäftsleitung des bitkom und danach bis 10/2021 Geschäftsführer des Bundesverbands Digitale Wirtschaft (BVDW) e.V. Seit 2022 ist Marco Junk als Leiter Regierungsbeziehungen für das IT-Dienstleistungsunternehmen Atos tätig. Seine Beiträge geben ausschließlich seine persönliche Meinung wieder.

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