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„Zentrale Fragen nach dem Warum unbeantwortet.“ – Interview mit Kai Klose, wirtschaftspolitischer Sprecher der GRÜNEN im Hessischen Landtag, zu den umstrittenen Vergaben des Landes

Klose In Hessen wurde in den letzten Jahren eine Reihe von IT-Großaufträgen des Landes nicht öffentlich ausgeschrieben. Inzwischen hat die Landesregierung erhebliche Verstöße gegen das Vergaberecht eingeräumt, die streitigen Aufträge müssen neu ausgeschrieben werden. Offen bleibt die Frage nach dem Warum und der politischen Verantwortung. Vergabeblog Sprach mit Kai Klose, wirtschaftspolitischer Sprecher der GRÜNEN im Hessischen Landtag und Politischer Geschäftsführer der hessischen GRÜNEN.

Herr Klose, das Land Hessen hat in den vergangenen Wochen Schlagzeilen gemacht, weil IT-Großaufträge des Landes offenbar vergaberechtswidrig vergeben wurden. Inzwischen hat Finanzminister Dr. Schäfer auch Fehler eingeräumt und einen 5-Punkte Plan aufgestellt. Ende gut, alles gut?

Aus meiner Sicht ist das Ende keinesfalls erreicht. Hessens IT-Staatssekretär Westerfeld hat ja noch vor wenigen Wochen behauptet, alle Vergaben noch einmal geprüft zu haben, sie seien samt und sonders rechtskonform. Erst durch unser hartnäckiges Nachhaken sah sich der Finanzminister gezwungen, eine externe Prüfung zu veranlassen. Deren Ergebnis war dann, dass alle von uns beanstanden Auftragsvergaben rechtsfehlerhaft waren und daher schnellstmöglich neu ausgeschrieben werden müssen. Schäfers 5-Punkte-Plan ergreift einige richtige Maßnahmen für die Zukunft – umso wichtiger ist es aber, die Gründe, die zu diesen fehlerhaften Vergaben führten, rückhaltlos aufzuklären.

Das von der Landesregierung zu den streitigen Vergaben in Auftrag gegebene Gutachten ist nicht öffentlich. Deshalb, weil die streitigen Vergaben sicherheitsrelevante Projekte (z.B. im Zusammenhang mit dem digitalen Behördenfunk) betreffen?

Die Landesregierung will das Gutachten nicht veröffentlichen, weil darin auch die Namen von MitbewerberInnen und Landesbediensteten enthalten sind. Die Frage der Sicherheitsrelevanz hatte ja zuvor nie eine Rolle gespielt. Bei allen Aufträgen außer einem gab es ja auch gar keine MitbewerberInnen, das war ja Teil unserer Kritik.

Den Fraktionen im Hessischen Landtag ist es aber zugestellt worden. Ausgehend davon: Wäre es bei Ihnen ein 5 + x Punkte Plan geworden?

Nein, es ist uns lediglich die Kurzzusammenfassung übergeben und die Einsicht in das vollständige Gutachten angeboten worden. Dieses Angebot haben wir wahrgenommen. Dazu gehört aber zwangsläufig auch die Einsichtnahme in die Original-Vergabevermerke, ohne die eine echte Bewertung der Vorgänge unmöglich ist. Der Finanzminister hatte dem nach einer deutlichen Intervention unsererseits auch zugestimmt. Unser Plan hätte in der Tat mehr als fünf Punkte umfasst, weil der Minister die Aufklärung der Gründe, die zu diesen Vergaben geführt haben, komplett ausblendet. Die Frage, warum auffällig viele Unternehmen, die eine Nähe zur hessischen CDU haben, in den Genuss dieser nichtoffenen Auftragsvergaben kommen, bliebe so nicht unbeantwortet.

Es gab ja auch zwei Anhörungen im Hessischen Landtag – mit welchem Ergebnis?

In zwei Ausschusssitzungen wurden umfangreiche Fragenkataloge beantwortet, die wir GRÜNE eingebracht hatten. In die erste Runde am 22. September ging die Landesregierung mit der Haltung „Alles korrekt, GRÜNE (und z.B. auch Experten, die auf www.vergabeblog.de veröffentlichen) haben keine Ahnung“ – und erlebte eine Bauchlandung, weil sie zentrale Fragen nicht beantworten konnte. Das nahm der Minister offenbar zum Anlass, ein externes Gutachten zu beauftragen. Dessen Ergebnis in der zweiten Runde am 4. November war dann, dass alle von uns beanstandeten Aufträge rechtswidrig vergeben wurden und deshalb so bald als möglich neu ausgeschrieben werden müssen. Da die zentralen Fragen nach dem „Warum“ blieben auch nach der Beantwortung des Dritten Berichtsantrags durch die Landesregierung am 2. Dezember offen.

Minister Schäfer ist in der Tat redlich bemüht, nun für Transparenz zu sorgen. Sein Amtskollege Dieter Posch, Minister für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung, hat just am 26. Oktober einen Runderlass herausgegeben, der ausgerechnet jene Vorschriften des neuen Vergaberechts (VOL/A und VOB/A) für Hessen zur Anwendung frei stellt, die für mehr Transparenz sorgen sollten. Wie passt das nun zusammen?

Einspruch: Auch der Finanzminister hat diesen Runderlass unterzeichnet. Das steht im Widerspruch zu seinen Äußerungen, für mehr Transparenz sorgen zu wollen. Wir haben die Landesregierung deshalb bereits aufgefordert, diesen Runderlass zurückzunehmen. Dass ausgerechnet Hessen in dieser Situation als erstes Bundesland die Vergabevorschriften zur Anwendung frei stellt, die für mehr Transparenz sorgen, ist doch absurd: Der Minister muss sich entscheiden, auf welcher Seite er steht – beides ist nicht miteinander vereinbar.

Werden Sie das auf der politischen Bühne zum Thema machen?

Das haben wir bereits mit unserer Aufforderung zur Rücknahme des Erlasses getan – bisher leider ohne jede Reaktion seitens der Landesregierung.

Hand auf Herz – ob Stuttgart21 oder IT-Vergabe in Hessen: Die Grünen profitieren jedenfalls auch davon, dass Sie mangels Regierungsverantwortung daran nicht beteiligt gewesen sein konnten. Sehen Sie Handlungsbedarf bei der Vergabe öffentlicher Aufträge – auch über Hessen hinaus?

Die hessische Landesregierung selbst sagt ja, Hauptproblem sei gewesen, dass in der Vergabestelle – der Hessischen Zentrale für Datenverarbeitung (HZD) – die jeweils aktuelle Rechtslage nicht bekannt gewesen sei. Das ist ein unhaltbarer Zustand, hier muss gerade die öffentliche Hand, die ja auch Recht setzt, in der Anwendung mit bestem Beispiel vorangehen.

Nur durch unser Handeln wurde ja aufgedeckt, dass das Land in mehreren Fällen auf Wettbewerbsdruck verzichtet hat, der erwiesenermaßen zu erheblichen Einsparungen für den Landeshaushalt geführt hätte – vermutlich würde doch alles weiterhin so falsch laufen, hätten wir nicht den Finger in die Wunde gelegt. Sie können also gerade am Beispiel der Auftragsvergaben sehen, dass wir GRÜNE auch dann Verantwortung für das die Bürgerinnen und Bürger des Landes übernehmen, wenn wir selbst nicht regieren.

Vielen Dank für das Interview!

Kai Klose ist wirtschaftspolitischer Sprecher der GRÜNEN im Hessischen Landtag und Politischer Geschäftsführer der hessischen GRÜNEN. Er brachte die inzwischen von der Landesregierung eingeräumten erheblichen Vergabefehler bei Aufträgen des Landes im IT-Bereich ans Licht (Dossier: http://www.gruene-hessen.de/dossiers/dubiose-auftragsvergaben-der-landesregierung). Sie erreichen Herrn Klose unter k.klose@ltg.hessen.de.

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4 Kommentare

  1. anonymous

    Wie so oft ist es das ach so komplizierte Vergaberecht schuld. Hessen-CIO Horst Westerfeld wurde von der Computerwoche zu einem der besten IT-Beauftragten Deutschlands gewählt: „Mit einem Finanzrahmen von 250 Mio. Euro repräsentierte Westerfeld das mit Abstand größte IT-Budget im Teilnehmerfeld der 10 besten CIOs Deutschlands.“, so die Pressemitteilung des Landes vom 29.11.2010.

    Das man sich nun auf lückenhafte Kenntnisse im Vergaberecht beruft, ist schon reichlich peinlich. Angesichts der Wahl zwischen „korrupt“ und „inkompetent“ aber die bessere Entscheidung.

    Reply

  2. anonymous

    … und als ob ausgerechnet er einen Finger gerührt hätte, die bei dem Preis genannte Einsparung (30 Mio. Euro!!!)zu erzielen. (http://www.computerwoche.de/cio-des-jahres-2010/grossunternehmen/2358125/)
    Bekommt man jetzt auch schon fürs nichts tun einen Preis???

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  3. Wolfgang Wagner, M.A.

    Dieser Fall zeigt doch allzu deutlich, dass nur das Schaffen von Öffentlichkeit entstehendes Fehlverhalten unterbinden kann. Diese Plattform ist ja schon ein wichtiger erster Schritt.

    Begleitend wäre es wichtig auch ein Bewußtsein in der Wähleröffentlichkeit zu schaffen, denn aus meiner Sicht ist nicht klar, um welche immensen Beträge es hier geht, die letztendlich von jedem Steuerzahler aufgebracht werden.

    Problematisch ist das Ganze auch deshalb, weil die Bewerber um Aufträge in einer Art Schweigespirale verharren. Denn es scheint der Irrglaube vorzuherrschen, wer sich wehrt und Mißstände aufzeigt, muß befürchten, abgestraft zu werden. Wer das so sieht, dem muß man sagen:“ Schweigen erhält das System der Schattenwirtschaft!“

    Natürlich muß man auch vermeiden, dass Vergabestellen, die sich redlich um eine saubere Vergabeabwicklung mühen, mit den schwarzen Schafen über einen Kamm geschert werden.

    Die letztendendliche Lösung wäre daher aus meiner Sicht eine Art „Vergabe-TÜV“, der die Güte der Vergaben prüft und die Vergabestellen in einer Art Entlastungsverfahren zertifiziert – und das regelmäßig.

    Das müsste natürlich parlamentarisch durchgesetzt werden.

    Ein Zwischenschritt auf dem Weg zu diesem Ziel könnte die Einrichtung eines sogen. freiorganiserbaren „Vergabe-Watch“ sein, bei dem sich Betroffene/Geschädigte melden ,auf Mißstände hinweisen oder qualifizierte Fragen stellen können, weil die Hürden des Rechtsschutzes außerdordenrtlixch hoch sind. Vorbilder für eine derartige Einrichtung können sein abgebordnetenwatch.de und foodwatch.de.

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  4. Jörg Junker

    Ich teile die Meinung von Herrn Wagner uneingeschränkt. Mir sind (neben mir!) einige weitere kleine und mittelständisch Unternehmer bekannt, die bisher in Hessen nicht/schwer zum Zuge gekommen sind, da sie sich weder in relevanten CDU-nahen Institutionen wie bspw. Lemkes und Westerfelds ISPRAT oder Götzfrieds Dalai Lama-Fanclub http://www.freunde-fuer-einen-freund.de/de/bilder2010/ engagiert haben.

    Auch ich werde mich hier deshalb nur anonym äußern, da das neue System in Hessen im Wesentlichen das Alte ist. Im Gegensatz zu irgendwelchen Bekundungen sprechen die Vorgänge um den genannten Runderlass eine deutliche Sprache: Am „Backend“ geht es weiter wie bisher.

    Um das Thema „Vergabe“ in Hessen halbwegs glaubhaft zu lösen, ist es kurzfristig zwingend notwendig, den Runderlass mit sofortiger Wirkung zurück zu nehmen. Dann kann Herr Westerfeld weiterhin seine 30 Millionen sparen (durch die Zulassung von echtem Wettbewerb) und sein prestigeträchtiges (kameralistische Logik!), aus Steuergeldern finanziertes Budget fällt mglw. von 250 Millionen auf 180 Millionen! Ein paar Euro davon sollten allerdings in die „Grundausbildung Vergaberecht“ bei der HZD investiert werden- oder gleich in fähige Vergabe-Beratung.

    Sämtliche kommenden Vergaben in Hessen seitens der HZD müssen in 2011 und 2012 durch ein renommiertes Prüfungsunternehmen (bspw. PWC) statt der eigenen, offensichtlich ahnungslosen Vergabestelle durchgeführt werden. Und das unter den wachen Augen der Presse sowie zunehmend aufgeklärten, ihrer Möglichkeiten bewussten Unternehmern.

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