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Abstrakte Zuschlagskriterien sind grundsätzlich zulässig (EuGH, Urt. v. 12.03.2015, C-538/13)

Entscheidung EUQualitative Zuschlagskriterien erscheinen Bietern oft als Blackbox. Das gilt vor allem dann, wenn Auftraggeber Konzepte zur Erreichung von bestimmten Zielen oder Anforderungen an die Leistung bewerten. Vielen stellt sich hier die Frage nach der vergaberechtlichen Zulässigkeit.

Art. 2, Art. 53 Abs. 1 a RL 2004/18/EG

Leitsatz

Art. 2 und 53 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2004/18 sind dahin auszulegen, dass ein öffentlicher Auftraggeber als Kriterium für die Bewertung der von den Bietern für einen öffentlichen Auftrag vorgelegten Angebote grundsätzlich den Grad ihrer Übereinstimmung mit den Anforderungen in den Ausschreibungsunterlagen heranziehen darf.

Sachverhalt

Der EuGH musste über den Fall eines litauischen Auftraggebers entscheiden, der den Kauf eines Warnsystems europaweit ausgeschrieben hatte. Das System zur Warnung und Information der Öffentlichkeit sollte die Netzinfrastruktur der öffentlichen Mobiltelefonbetreiber verwenden. Eines der Zuschlagskriterien bezog sich auf allgemeine und funktionelle Anforderungen des Systems. Bewertet wurde hier unter anderem die Darstellung und Begründung des angebotenen Systems und seiner Bestandteile sowie die Vereinbarkeit mit der vom öffentlichen Auftraggeber genutzten Informatik /und Technikinfrastruktur.

Ein nicht berücksichtigter Bieter bemängelte die sehr abstrakten Kriterien zur Bewertung des wirtschaftlich günstigsten Angebots. Insbesondere das Kriterium der Vereinbarkeit mit dem Bedarf des öffentlichen Auftraggebers“ habe er erst im Nachhinein nachvollziehen können, als ihm die Gründe für die Nichtberücksichtigung seines Angebots mitgeteilt wurden. Deswegen sei er mit diesem nachträglich erhobenen Einwand auch nicht präkludiert.

Die Entscheidung

Der EuGH sah das anders. Für ihn stand das Zuschlagskriterium der Übereinstimmung des Angebots mit den Anforderungen der Ausschreibungsunterlagen vorbehaltlich der sachlichen Prüfung durch das nationale Gericht – im Zusammenhang mit dem konkreten Auftragsgegenstand. Er konnte keine Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen vergaberechtliche Grundsätze oder die Vorgaben für Zuschlagskriterien gemäß der Vergaberichtlinie erkennen.

Präklusion bei möglicher Angebotsabgabe!

Zur Frage der Präklusion stellte der EuGH fest, dass das nationale Gericht am Maßstab des durchschnittlich fachkundigen und sorgfältigen Bieters prüfen müsse, ob der betroffene Bieter die in Rede stehenden Zuschlagskriterien tatsächlich nicht nachvollziehen konnte oder ob er sie zumindest hätte nachvollziehen können müssen. Dabei sei aber die Tatsache zu berücksichtigen, dass der betreffende Bieter (und auch alle anderen Bieter) offenbar tatsächlich ein Angebot abgeben konnten, ohne zuvor eine Klarstellung der Zuschlagskriterien zu verlangen.

Rechtliche Würdigung

In Bezug auf die Ausgestaltung funktionaler Zuschlagskriterien bestätigt die Entscheidung des EuGH die differenzierende – deutsche Rechtsprechung. Eine offene Formulierung von Zuschlagskriterien kann demnach insbesondere bei Beschaffungsvorhaben mit funktionalen Elementen ihre Berechtigung haben. Dort sind geringere Anforderungen an die Bestimmtheit der Zuschlagskriterien zu stellen als bei einem konkret umrissenen Leistungsprofil. Der Auftraggeber kann zudem ein wertungsrelevantes Anforderungsprofil durch ausformulierte Anforderungen an die Angebote in den Vergabeunterlagen und im Rahmen von Vertragsentwürfen hinreichend transparent und diskriminierungsfrei konkretisieren (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 4.02.2013 – VII-Verg 31/12).

In Bezug auf die Rügepräklusion scheint der EuGH indes strengere Maßstäbe anzulegen. Die deutsche Rechtsprechung hat jedenfalls in Bezug auf Zuschlagskriterien, die unzulässig mit Eignungskriterien vermischt wurden, eine Präklusion mangels Erkennbarkeit verneint und eine diesbezügliche Rüge auch erst nach Angebotsabgabe zugelassen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 03.08.2011 – VII-Verg 16/11; VK Bund, Beschl. v. 17.03.2014 – VK 1-12/14).

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Praxistipp

Festzuhalten ist, dass auch abstrakt ausgestaltete Zuschlagskriterien grundsätzlich zulässig sein können. Nicht zu verwechseln ist dies jedoch mit der unzulässigen – Bewertung von zwingenden Mindestanforderungen (wie z.B. die Einhaltung vertraglich geregelter Reaktionsfristen). Bietern ist mit Blick auf die strenge Rechtsprechung zur Präklusion zu empfehlen, Unklarheiten in Bezug auf die Zuschlagskriterien so früh wie möglich durch Bieterfragen aufzuklären und nicht bis zur negativen Zuschlagsentscheidung abzuwarten.

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Über Dr. Valeska Pfarr, MLE

Die Autorin Dr. Valeska Pfarr, MLE, ist Rechtsanwältin bei Menold Bezler Rechtsanwälte, Stuttgart. Sie ist auf das Vergaberecht spezialisiert, ein Schwerpunkt liegt hierbei auf der Beratung der öffentlichen Hand.

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