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HOAI auf dem europarechtlichen Prüfstand? (IP/15/5199) – EU-Vertragsverletzungsverfahren

Einer Pressemitteilung vom 18. Juni 2015 (IP/15/ 5199) zufolge bereitet die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen mehrere Mitgliedsstaaten, u. a. auch Deutschland, wegen Verstößen gegen die Dienstleistungsrichtlinie vor.

Betroffen sind demnach insbesondere die in Deutschland für Architekten und Ingenieure zwingenden preisrechtlichen Bestimmungen der HOAI. Die EU-Kommission hat Deutschland offenbar zur europarechtskonformen Anpassung der aus ihrer Sicht gemeinschaftsrechtswidrigen Vorschriften über Mindestpreise aufgefordert.

Auf den ersten Blick mag der Vorstoß der EU-Kommission erstaunen, da die Entgeltbestimmungen der HOAI sich nur auf Architekten und Ingenieure mit Sitz im Inland und vom Inland aus erbrachte Grundleistungen beziehen. Sie erfassen insoweit nicht den grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehr. Gerade aus diesem Grund problematisiert die vergaberechtliche Rechtsprechung teils auch die zwingende Vorgabe von Honorarzonen nach HOAI in europaweiten Vergabeverfahren (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 29.01.2014, AZ: 1 Verg 14/13). Denkbarer Anknüpfungspunkt des Verfahrens wäre allerdings auch die – ebenfalls durch die Dienstleistungsrichtlinie geschützte – Wahrnehmung der Niederlassungsfreiheit (vgl. Art. 1 Abs. 1 RL 2006/123/EG).

Zu den Details des Vertragsverletzungsverfahrens liegen derzeit jedoch keine weiteren offiziellen Informationen vor, so dass hier nur spekuliert werden kann. Aus der Pressemitteilung ergibt sich nur, dass die Bundesrepublik nun zwei Monate Zeit zur Stellungnahme hat. Über die Erhebung einer Klage gemäß Art. 258 AEUV wird die EU-Kommission noch entscheiden müssen.

Vergaberechtliche Relevanz

Sollte sich im Ergebnis herausstellen, dass die preisrechtlichen Bestimmungen der HOAI gemeinschaftsrechtswidrig sind, hätte dies auch vergaberechtliche Relevanz.

Der Dauerstreit darum, ob und inwieweit es zulässig oder gar geboten ist, die nach HOAI anzusetzenden anrechenbaren Kosten bzw. Honorarzonen auftraggeberseitig (verbindlich) vorzugeben, könnte sich dadurch erübrigen. Die Befürworter einer zwingenden Angabe verweisen zur Begründung auf das Erfordernis der klaren und eindeutigen Aufgabenbeschreibung gemäß § 6 VOF und den Gleichbehandlungsgrundsatz (vgl. beispielsweise OLG Frankfurt, Beschl. v. 28.11.2006, 11 Verg 4/06; VK Nordbayern, Beschl. v. 22.01.2015, 21.VK-3194-37/14; VK Sachsen, Beschl. v. 20.10.2011, 1/SVK/03-11).

Vertreter der Gegenansicht verweisen hingegen unter Berufung auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 11. November 2004 (Az: I ZR 156/02) darauf hin, dass die Verantwortung für die richtige Anwendung der HOAI primär dem Planer zugewiesen sei. Die unterschiedliche Bewertung des Schwierigkeitsgrads der angebotenen Leistung stelle die Vergleichbarkeit der Angebote dabei nicht in Frage. Eine verbindliche Vorgabe seitens des Auftraggebers wird insoweit eher als kritisch mit Blick auf den bestehenden Verhandlungsspielraum gesehen (vgl. OLG Koblenz, Beschl. v. 29.01.2014, 1 Verg 14/13, ebenso: VK Baden-Württemberg, Beschl. v. 11.04.2014, 1 VK 10/14). Das OLG Koblenz erachtete es zudem als hochproblematisch, die Bestimmungen der HOAI über den Anwendungsbereich hinaus auch für Bieter aus dem Ausland vorzugeben.

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Praxistipp

Ob und inwieweit die preisrechtlichen Bestimmungen der HOAI Bestand haben oder möglicherweise tatsächlich gemeinschaftsrechtskonform geändert werden (müssen), bleibt abzuwarten. Auftraggebern ist bis dahin zu empfehlen, sich in der Frage der verbindlichen Vorgabe von Honorarzonen oder anrechenbaren Kosten an der Rechtsauffassung der im Einzelfall zuständigen Vergabekammer (bzw. des zuständigen Vergabesenats) zu orientieren. Im Übrigen sprechen zumindest gute Argumente dafür, in europaweiten Vergabeverfahren die Vorgaben der HOAI nur auf Inlandssachverhalte gemäß § 1 HOAI zu begrenzen.

Anmerkung der Redaktion
Die Pressemitteilung steht in deutscher Sprache in der Bibliothek des Mitgliederbereichs des Deutschen Vergabenetzwerks (DVNW) zum Download bereit.  Noch kein Mitglied? Hier geht es zur Mitgliedschaft.

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Über Dr. Valeska Pfarr, MLE

Die Autorin Dr. Valeska Pfarr, MLE, ist Rechtsanwältin bei Menold Bezler Rechtsanwälte, Stuttgart. Sie ist auf das Vergaberecht spezialisiert, ein Schwerpunkt liegt hierbei auf der Beratung der öffentlichen Hand.

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