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Auftraggeber müssen Bekanntmachungstexte auf Basis des Informationsweiterverwendungsgesetzes auch anderen Ausschreibungsdiensten überlassen (BVerwG, Urt. v. 14.04.2016 – 7 C 12.14)

EntscheidungIn der jüngeren Vergangenheit waren zahlreiche kommunale Auftraggeber mit Anfragen von Ausschreibungsdiensten konfrontiert, die eine Überlassung von zu veröffentlichenden oder bereits veröffentlichten Bekanntmachungstexten forderten. Die anfragenden Ausschreibungsdienste stützten sich dabei regelmäßig auf das Gesetz über die Weiterverwendung von Informationen öffentlicher Stellen (Informationsweiterverwendungsgesetz IWG). Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hat nunmehr entschieden, dass öffentliche Auftraggeber ausschreibungsbezogene Informationen auch anderen Anbietern als dem zur Veröffentlichung vorgesehenen Publikationsorgan zeitnah zur Verfügung stellen müssen (Urt. v. 14.04.2016 – 7 C 12.14).

IWG § 1 Abs. 2 Nr. 1, § 2 Nr. 2 und Nr. 3, § 3 Abs. 2 Satz 1; VOB/A § 12 Abs. 1; VOL/A § 12 Abs. 1

Leitsatz

1. Das Informationsweiterverwendungsgesetz begründet nach § 1 Abs. 2 a) IWG keinen Anspruch auf Zugang zu angefragten Informationen. Das IWG gilt nicht für Informationen, an denen gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 1 IWG kein oder nur ein eingeschränktes Zugangsrecht besteht. Ein Zugangsrecht an Informationen im Sinne dieser Vorschrift besteht auch dann, wenn eine öffentliche Stelle Informationen von sich aus veröffentlicht hat. (nicht amtlicher Leitsatz)

2. Öffentliche Auftraggeber sind verpflichtet, ausschreibungsbezogene Bekanntmachungen auf Anfrage nach Maßgabe des § 3 Abs. 2 Satz 1 IWG unverzüglich nach Veröffentlichung im vorgesehenen Publikationsorgan zur Verfügung zu stellen. (nicht amtlicher Leitsatz)

3. Öffentliche Auftraggeber müssen den jeweiligen Zeitpunkt der Veröffentlichung ausschreibungsbezogener Bekanntmachungen so verlässlich ermitteln, dass die Informationen im Anschluss unverzüglich zur Verfügung gestellt werden können. (nicht amtlicher Leitsatz)

Sachverhalt

Die Klägerin betreibt ein Internetportal und veröffentlicht dort Bekanntmachungen über die Vergabe öffentlicher Aufträge. Unter Bezugnahme auf das IWG bat sie die beklagte Gemeinde, ausschreibungsbezogene Bekanntmachungen zu übermitteln. Dies lehnte die Beklagte ab. Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (VGH BW) entschied im Berufungsverfahren, dass an den Informationen kein Zugangsrecht gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 1 IWG bestehe (Urt. v. 24.09.2013 10 S 1695/12; vgl. den Beitrag des Autors, vergabeblog.de vom 21.10.2013, Nr. 17370). Gegen diese Entscheidung wendete sich die Klägerin mit dem Argument, das IWG erfasse auch solche Informationen, die eine öffentliche Stelle von sich aus veröffentlicht und damit allgemein zugänglich gemacht hat.

Die Entscheidung

Das Bundesverwaltungsgericht stellte fest, dass die beklagte Gemeinde ausschreibungsbezogene Bekanntmachungen gemäß § 3 Abs. 2 Satz 1 IWG unverzüglich nach Veröffentlichung im vorgesehenen Publikationsorgan auch der Klägerin zur Verfügung stellen muss. Zwar treffe es zu, dass das IWG einen Anspruch auf Zugang zu Informationen nach § 1 Abs. 2 a) IWG nicht begründet. Entgegen der Rechtsauffassung des VGH BW erfordere das IWG jedoch keinen Anspruch auf voraussetzungslosen Zugang zu den begehrten Informationen. Das IWG umfasse vielmehr auch solche Informationen, die eine öffentliche Stelle von sich aus veröffentlicht und damit allgemein zugänglich gemacht hat.

Rechtliche Würdigung

Der Gesetzgeber hatte das IWG seit der Entscheidung des VGH BW novelliert. Der Anwendungsbereich des IWG wurde zum einen im Hinblick auf Einschränkungen von Zugangsrechten präzisiert. Zum anderen soll sich das IWG auch auf Informationen erstrecken, die von Behörden proaktiv veröffentlicht werden. Damit reagierte das Änderungsgesetz zum IWG auf den tatsächlichen Befund, dass amtliche Informationen von öffentlichen Stellen bereitgestellt und verbreitet werden (vgl. BT-Drs. 18/4614, Seite 9). Hinzu kommt, dass einer unzureichenden Nutzung von Informationen, die durch öffentliche Stellen erzeugt werden, entgegengewirkt werden soll. Dieses Förderungsziel des IWG kann aber auch und gerade durch die Weiterverwendung solcher Daten erreicht werden, welche die öffentliche Stelle von sich aus veröffentlicht. Denn auch hierdurch wird die wirtschaftliche Nutzung der Informationen angestoßen und ermöglicht.

Praxistipp

Das Urteil hat massive Auswirkungen auf die Praxis. Kommunale Auftraggeber sind nach der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts verpflichtet, ausschreibungsbezogene Bekanntmachungen anfragenden Ausschreibungsdiensten unverzüglich nach Veröffentlichung im eigentlich vorgesehenen Publikationsorgan zur Verfügung zu stellen. Problematisch ist in dieser Hinsicht insbesondere, dass öffentliche Auftraggeber nach der Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichts sogar gehalten sind, den jeweiligen Zeitpunkt der Veröffentlichung präzise zu ermitteln. Hierdurch soll nach Ansicht des BVerwG gewährleistet werden, dass die Informationen unmittelbar im Anschluss an die Veröffentlichung der Bekanntmachung unverzüglich auch den anfragenden Ausschreibungsdiensten zur Verfügung gestellt werden können.

Hinweis der Redaktion: Siehe zum Thema auch die Dikussion im Mitgliederbereich des Deutschen Vergabenetzwerks (DVNW) hier. Noch kein Mitglied? Zur Mitgliedschaft geht es hier.

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Über Dr. Martin Ott

Der Autor Dr. Martin Ott ist Rechtsanwalt und Partner der Sozietät Menold Bezler Rechtsanwälte, Stuttgart. Herr Dr. Ott berät und vertritt bundesweit in erster Linie öffentliche Auftraggeber umfassend bei der Konzeption und Abwicklung von Beschaffungsvorhaben. Auf der Basis weit gefächerter Branchenkenntnis liegt ein zentraler Schwerpunkt in der Gestaltung effizienter und flexibler Vergabeverfahren. Daneben vertritt Herr Dr. Ott die Interessen der öffentlichen Hand in Nachprüfungsverfahren. Er unterrichtet das Vergaberecht an der DHBW und der VWA in Stuttgart, tritt als Referent in Seminaren auf und ist Autor zahlreicher Fachveröffentlichen. Er ist einer der Vorsitzenden der Regionalgruppe Stuttgart des Deutschen Vergabenetzwerks (DVNW).

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