Auftraggeber dürfen auch in Verhandlungsverfahren nicht zu viel offen lassen.
Nicht immer sind sich Auftraggeber sicher, ob sie ihre Wunschbedingungen zu einem vernünftigen Preis am Markt durchsetzen können. Auch ist ihnen öfter nicht ganz klar, in welchem Umfang sie selbst eine Leistung zukünftig in Anspruch nehmen werden. Wer die Auftragsbedingungen allerdings zu offen hält, geht vergaberechtliche Risiken ein! Das gilt selbst im Verhandlungsverfahren, wie eine Entscheidung der Vergabekammer Südbayern zeigt. Die gute Nachricht: für viele Probleme gibt es im Einzelfall vergaberechtlich zulässige Lösungen.
§ 17 Abs. 10 Satz 2, § 52 Abs. 2 Nr. 5 VgV
Leitsatz
Sachverhalt
Im entschiedenen Fall schrieb ein Auftraggeber Versicherungsleistungen im Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb aus.
Die Vergabebestimmungen stellten dabei unter anderem klar, dass die als solches gekennzeichneten, zwingend einzuhaltenden Mindestbedingungen im Laufe des Verfahrens auch noch zu bloßen Soll-Anforderungen geändert werden könnten, soweit sie für die Bieter nicht akzeptabel seien. Der Auftraggeber behielt sich bei entsprechendem Bieterhinweis eine Prüfung und eventuelle Änderung vor.
Die Einhaltung von Soll-Anforderungen durch das angebotene Versicherungskonzept war zwar nicht zwingend, sollte aber in der Angebotswertung berücksichtigt werden. Für die schon bislang vorgesehenen Soll-Anforderungen war ein Gewicht von 30% vorgesehen. Die Vergabebestimmungen erläuterten, dass im Fall einer nachträglichen Änderung der Soll-Anforderungen auch eine dementsprechende Änderung der Zuschlagskriterien möglich sei.
Erst nach Abschluss der Verhandlungen sollten die Bieter die entsprechend den Verhandlungsergebnissen finalisierten und endgültig geltenden Bestimmungen zu Mindestanforderungen und Zuschlagskriterien erhalten.
Der Auftraggeber behielt sich überdies vor, bis zur finalen Angebotsrunde weitere Versicherungsnehmer, Mitversicherte, sowie versicherte Risiken und Objekte zu benennen. Nach Vertragsschluss war insoweit zudem auch eine dem Auftraggeber mögliche, jährliche Anpassung vorgesehen.
Ein Bieter sah sich durch die Unbestimmtheit der Vergabebedingungen an der Angebotserstellung gehindert und reichte Nachprüfungsantrag ein.
Die Entscheidung
Letztlich mit Erfolg!
Die Vergabekammer Südbayern entschied, dass weder das erforderliche Mindestmaß an Konkretisierung des Auftrags, noch die Wahrung der Identität der zu beschaffenden Leistung gewährleistet seien. Der Auftraggeber habe de facto die gesamten Vergabeunterlagen zur Disposition gestellt. Auch aus dem Gebot der vollständigen Bereitstellung der Vergabeunterlagen gemäß § 41 Abs.1 VgV leitete die Vergabekammer das Gebot ab, den Bietern bereits bei der Bekanntmachung in inhaltlicher Hinsicht das Grundgerüst der zu beschaffenden Leistung und insbesondere entsprechende Mindestanforderungen mitzuteilen, die dann auch nicht verhandelbar sein dürften. Dass die geltenden Mindestanforderungen zum Zeitpunkt der Angebotsaufforderung noch nicht feststanden und auch die Versicherungsnehmer, Mitversicherte, Risiken und Objekte auftraggeberseitig noch geändert werden konnten, sei daher vergaberechtswidrig.
Gegen das Verbot, über Mindestanforderungen und Zuschlagskriterien zu verhandeln, habe der Auftraggeber indes nicht verstoßen. Er habe nämlich noch gar keine Mindestanforderungen aufgestellt und die Zuschlagskriterien auch noch nicht geändert.
Ebenso wenig verstoße der Verzicht auf die Bekanntgabe von Mindestanforderungen gegen das Gebot der eindeutigen und erschöpfenden Leistungsbeschreibung. Bei Verhandlungsverfahren müsse die Leistungsbeschreibung nämlich erst bei der Aufforderung zur Abgabe des finalen Angebots eindeutig und erschöpfend sein.
Nur die nach Vertragsschluss vorgesehene, jährliche Aktualisierung der Liste der Versicherungsnehmer und objekte verstoße zusätzlich auch gegen das Gebot der eindeutigen und erschöpfenden Leistungsbeschreibung.
Rechtliche Würdigung
Die rechtliche Begründung der Vergabekammer Südbayern mag zwar fragwürdig sein. Denn es wird bis zuletzt nicht so recht deutlich, auf welche Norm sich die Vergabekammer eigentlich stützt. Der Verweis auf ein fehlendes Mindestmaß an Konkretisierung hört sich zwar nach einem Hinweis auf das Gebot einer eindeutigen und erschöpfenden Leistungsbeschreibung an. Dieses Gebot sieht die Vergabekammer indes ausdrücklich nicht als tangiert an. Eine Anknüpfung an § 41 Abs. 1 VgV scheint jedenfalls eher fern liegend, denn diese Norm regelt die Form der bereit zu stellenden Vergabeunterlagen, nicht deren Inhalt.
Im Ergebnis trifft es aber natürlich zu, dass ein Auftraggeber keine Verhandlungen über Mindestanforderungen aufnehmen darf, indem er diese den Bietern für deren Erstangebote zur Disposition stellt. Das regelt § 17 Abs. 10 VgV für Verhandlungsverfahren sehr klar. Insoweit überrascht die konstruierte Argumentation der Vergabekammer doch etwas. Nicht zu verwechseln ist übrigens der Aufruf zum unzulässigen Verhandeln über Mindestanforderungen mit einer ggf. erforderlichen, nachträglichen Korrektur der Vergabeunterlagen unter Rückversetzung des Verfahrens. Solche Korrekturen können auch Mindestanforderungen betreffen und unter bestimmten Voraussetzungen durchaus zulässig sein.
Praxistipp
Auftraggeber sollten sich in erster Linie im Vorfeld einer Ausschreibung Klarheit darüber verschaffen, in welchem Umfang sie wirklich zwingende Mindestanforderungen festlegen wollen und können. Dabei kann insbesondere eine gut aufgesetzte Markterkundung sehr hilfreich sein, die ggf. zugleich auch den Markt für eine anstehende Ausschreibung sensibilisieren kann. Eine spätere nachträgliche Korrektur der Vergabeunterlagen sollte indes nur im Notfall erfolgen sie kostet meist viel Zeit und Aufwand.
Bei Unsicherheiten über die beste Lösung für die konkreten Bedürfnisse des Auftraggebers kann zuweilen auch ein wettbewerblicher Dialog ein gutes Verfahren sein dies gilt zumindest dann, wenn die Bieter kein echtes Knowhow einbringen müssen.
Vorsicht ist indes bei allzu vagen Vertragsinhalten geboten! Selbst bei einer Ausgestaltung als Rahmenvertrag muss klar genug geregelt sein, welche Auftragnehmer und Leistungen unter welchen Voraussetzungen umfasst sind. Insbesondere gilt das für Erweiterungsoptionen. Denn wenn diese zu unbestimmt sind, können weitere Leistungen möglicherweise nicht ohne neues Vergabeverfahren abgerufen werden. Hier droht anderenfalls eine Einordnung als unzulässige de facto-Vergabe, welche die Unwirksamkeit des Vertrags zur Folge haben kann.
Die Autorin Dr. Valeska Pfarr, MLE, ist Rechtsanwältin bei Menold Bezler Rechtsanwälte, Stuttgart. Sie ist auf das Vergaberecht spezialisiert, ein Schwerpunkt liegt hierbei auf der Beratung der öffentlichen Hand.
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