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Von der Klarheit und Bestimmtheit der Zuschlagskriterien und was Auftraggeber so alles falsch machen können (VK Südbayern, Beschl. v. 21.01.2019 – Z3-3-3194-1-38-11/18)

EntscheidungDie Vergabekammer Südbayern hat sich intensiv mit der Frage befasst, wie transparent ein Auftraggeber die Zuschlags- und Unterkriterien festlegen muss. Bleibt unklar, was er bei einem normativen Kriterium erwartet, z.B. an Funktionalitäten oder Eigenschaften, was er positiv oder negativ bewertet, dann ist das Kriterium unzureichend und eine darauf beruhende Wertung ebenfalls.

GWB § 127; VgV § 58

Sachverhalt

Die Auftraggeberin, eine Stadt, wollte Teile ihrer mittelalterlichen Stadtmauer mit Bastion generalsanieren und lobte dazu einen Realisierungswettbewerb für Architektenleistungen aus. 17 (vermutlich) unbezahlte Wettbewerbsarbeiten wurden eingereicht. Als Kriterien für deren Bewertung gab die Stadt an: Städtebauliche Einbindung, Umgang mit dem Bestand, Gestaltung, Qualität der Innen- und Außenräume, innere und äußere Erschließung, Funktionalität, Wirtschaftlichkeit und Realisierbarkeit. Drei Bewerber gelangten in die engere Wahl, die Arbeiten wurden öffentlich ausgestellt und es wurden Workshops durchgeführt (vermutlich auch kostenlos). Die drei Bewerber reichten sodann Angebote ein. Die Zuschlagskriterien lauteten:

1. Ergebnis des Wettbewerbs, Rangfolge 40 % Gewichtung, max. 200 Wertungspunkte

2. Ergebnis der Überarbeitung des Wettbewerbs 40 % Gewichtung, max. 200 Wertungspunkte

3. Organisation, Qualifikation und Erfahrung des eingesetzten Personals 15 % Gewichtung, max. 0,75 Wertungspunkte

4. Honorar 5 % Gewichtung, max. 0,25 Wertungspunkte

Die Unterkriterien wurden jeweils mit einem Schulnotensystem von  0 bis 5 Punkten bewertet. Zum zweiten Zuschlagskriterium gab es z.B. das Unterkriterium architektonische Qualität und Umgang mit dem Bestand mit einem Schulnotensystem. Letzteres Kriterium wurde dem Auftraggeber letztlich zum Verhängnis.

Ein Bewertungsgremium prüfte die Angebote und auf Platz 1 landete das Architekturbüro, das bereits mit der Vorplanung befasst war Der Zweitplatzierte rügte daraufhin die Besetzung des Gremiums, den fehlenden Ausschluss des Projektanten, die fehlende Vergabereife aufgrund der ungelösten Urheberrechtsthematik und dass die Bewertung des Angebots aufgrund nicht bekannter Kriterien erfolgte. Den Rügen wurde nicht abgeholfen und der enttäuschte Bieter stelle einen Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer Südbayern.

Die Entscheidung

Und diese gab ihm in einem Punkt Recht. Sie stieß sich vor allem an der Angebotswertung. Diese beruhe nämlich, so die Vergabekammer, auf einem Zuschlagskriterium Umgang mit dem Bestand, das nicht hinreicht bestimmt gewesen sei. Der Auftraggeber habe seine Erwartungshaltung mitzuteilen, erforderlichenfalls durch geeignete Unterkriterien. Dies gelte insbesondere bei funktionalen Ausschreibungen. Die Bieter wiederum müssen klar erkennen können, was von ihnen verlangt werde und es müssten hinreichende Anhaltspunkte für eine günstige oder ungünstige Benotung gegeben werden. Diesen Anforderungen werde das Unterkriterium Umgang mit dem Bestand nicht gerecht. Es bleibe völlig offen, welche Anforderungen, Eigenschaften oder Funktionalitäten im Einzelnen in diesem Unterkriterium gewertet würden; was hier im Einzelnen in welcher Form positiv oder negativ bewertet werde und auf welche Weise eine vergleichende Beurteilung der Bieter im Wettbewerb erfolgen sollen. In der Konsequenz sei auch die Bewertung intransparent und im Quervergleich inkonsistent.

Zudem sei die individuelle Angebotswertung fehlerhaft, da diese aufgrund der fehlenden separaten Bepunktung der Unterkriterien nicht nachvollziehbar sei und im Bereich der Unterkriterien Umgang mit dem Bestand und Funktionalität Diskrepanzen im Vergleich zur Bewertung der Beigeladenen bestünden. Werden für die Beurteilung eines weit gefassten, unbestimmten Bewertungskriteriums wie dem Ergebnis der Überarbeitung des Wettbewerbs zu seiner Konkretisierung und weiteren Präzisierung Unterkriterien gebildet und deren Gewichtung festgelegt, so ist der Auftraggeber an diese gebunden und verpflichtet diese anzuwenden. Zwar habe die Stadt zu jedem Unterkriterium stichwortartig dokumentiert, welche negativen Aspekte dabei zu einem Punktabzug führen würden, wie sich diese jedoch bei welchem Unterkriterium auswirken, lässt sich der Dokumentation trotz dieser Ausführungen nicht entnehmen.

Rechtliche Würdigung

Die Entscheidung liest sich überzeugend; allerdings ist Vorsicht geboten, wie zukünftig mit solchen Themen umzugehen sein wird. Die Vergabekammer befindet sich zunächst auf der Linie der jüngsten Entscheidungspraxis der Vergabekammer des Bundes und des Oberlandesgerichts Düsseldorf: Die Konkretisierung der Zuschlagskriterien und der Erwartungshaltung des Auftraggebers werden dort wieder besonders betont. Meines Erachtens ist diese Betonung Folge der jüngeren Entscheidungen des EuGH und BGH in Sachen Schulnoten und Transparenz der Bewertungsmethode. Zur Erinnerung: Nach dem EuGH besteht keine Pflicht des Auftraggebers den Bietern die Bewertungsmethode zur Kenntnis zu bringen (EuGH v. 14.07.2016 – C-6/15 Dimarso). Und nach BGH steht es einer transparenten und wettbewerbskonformen Auftragsvergabe (§ 97 Abs. 1 Satz 1 GWB) nicht entgegen, dass die von den Bietern vorgelegten Konzepte () im Rahmen der Angebotswertung benotet werden und einen der jeweiligen Note zugeordneten Punktwert erhalten, ohne dass die Vergabeunterlagen weitere konkretisierende Angaben dazu enthalten, wovon die jeweils zu erreichende Punktzahl für das Konzept konkret abhängen soll. Schulnotensysteme sind also erlaubt. Allerdings hat der BGH im selben Atemzug die Auftraggeber daran erinnert, dass die Bewertung darauf hin überprüfbar sein muss, ob diese nachvollziehbar und plausibel erfolgten (BGH v. 04.04.2017 X ZB 3/17). Hierin lesen die Nachprüfungsinstanzen offenbar einen eigenen Prüfauftrag der Bewertung. Hierin besteht meines Erachtens nun die eigentliche Gefahr: Nämlich dass sich eine Vergabekammer an Stelle des Auftraggebers stellt und dessen Bewertung für unwirksam erklärt. Folge ist dann die (Teil-) Aufhebung des Verfahrens. Und genau hier ist Vorsicht geboten: Bewertungen gerade im konzeptionellen Bereich sind, ähnlich der Situation in einer Prüfung, oft subjektiv geprägt und erfolgen vor dem Erfahrungshorizont des oder der konkreten Prüfer. Den Kern dieser Prüfung sollte weder eine Vergabekammer noch ein Gericht angreifen können, sie können es mangels Fachkompetenz in aller Regel auch nicht. Solche Entscheidungen dürfen und sollten nur auf offensichtliche Fehler geprüft werden können, d.h., es muss eine Grenze gezogen werden, innerhalb derer die Vergabekammer nichts zu suchen hat. Ob die Vergabekammer Südbayern nun diese Grenze überschritten hat, lässt sich mangels Detailkenntnisse des Verfahrens nicht beantworten; es ist aber durchaus bewundernswert (oder halt sogar schon bedenklich?), welche detaillierte Prüfung die Vergabekammer vorgenommen hat, hier eine Kostprobe aus dem umfangreichen Beschluss:

Im Unterkriterium Umgang mit dem Bestand bewertet die Antragsgegnerin negativ, dass die Antragstellerin bestehende Treppenhäuser im Foyer der ### abbricht und in den Türmen neu aufbaut. Hingegen wird der Entwurf der Beigeladenen hinsichtlich des Unterkriteriums Umgang mit dem Bestand somit keine Abweichungen von den Beurteilungskriterien bewertet, obwohl im Protokoll des Bewertungsgremiums durchaus ein Kritikpunkt aufgeführt ist. Daneben wurde vom Bewertungsgremium als positiver Punkt vermerkt, dass die bestehenden Treppenhäuser überwiegend erhalten bleiben. Dies bedeutet, dass auch die Beigeladene nicht alle Treppenhäuser erhält, was aber keinen Niederschlag in der Bewertung findet. Die Antragsgegnerin hat keinen Grund dafür dokumentiert, dass sie den Abbruch von Treppenhäusern bei der Beigeladenen nicht negativ bewertet, obwohl sie den Abbruch der Treppenhäuser bei der Antragstellerin als Kritikpunkt aufgeführt hat.

Die Vergabekammer befasst sich mit dem Umgang der Treppenhäuser und dass die Stadt dazu bestimmte Erwägungen nicht dokumentiert hat, die sich auf die Punktebewertung auswirkten. Geht das vielleicht schon zu weit? Dies erinnert mich jedenfalls ein wenig an die damaligen Argumente gegen die Rechtsprechung des OLG Düsseldorf, das bekanntlich sog. Schulnotensysteme verbrämt hatte. Das OLG Düsseldorf verlangte in seiner zwischenzeitlich aufgegebenen Rechtsprechung, dass der Auftraggeber zu jedem bestimmten Punktwert im Vorfeld mitteilt, was der Bieter leisten muss, um diesen Punkt zu erhalten. Aber sollte dem Auftraggeber auf der letzten Stufe nicht wieder ein eigener Bewertungsspielraum verbleiben? Wenn dies negiert und eine Vergabe aufgehoben wird, dann schwingt stets der Vorwurf mit, der Auftraggeber habe mit Absicht manipuliert. Auch beim Lesen der vorliegenden Entscheidung strahlt stets dieser Vorwurf durch die Zeilen.

Der EuGH hat in der grundlegenden Entscheidung in Sachen Dimarso indes eine Grenze aufgezeigt:

Ein Bewertungsausschuss muss bei der Erfüllung seiner Aufgabe über einen gewissen Freiraum verfügen und darf somit, ohne die in den Verdingungsunterlagen oder in der Bekanntmachung festgelegten Zuschlagskriterien zu verändern, seine Tätigkeit der Prüfung und Bewertung der eingereichten Angebote strukturieren. Dieser Freiraum ist auch aus praktischen Erwägungen gerechtfertigt. Der öffentliche Auftraggeber muss in der Lage sein, die Bewertungsmethode, die er zur Bewertung und Einstufung der Angebote anwenden wird, an die Umstände des Einzelfalls anzupassen.

Was lernen wir daraus? Die Rechtsprechung muss meines Erachtens aufpassen, dass auch diese Freiräume des Auftraggebers verbleiben und dass durch die neuere Betonung der Konkretisierung der Unterkriterien und Erwartungshaltung die Möglichkeit der Vergabe von Schulnoten nicht wieder ausgehöhlt wird. Denn sonst wird sich kein Auftraggeber mehr trauen, Bewertungen von Konzepten durchzuführen. Für Kreativität und Innovation bleibt dann leider kein Raum mehr. Natürlich darf auch nicht manipuliert werden und es ist zugegeben ein schmaler Grat und ein entsprechend anspruchsvoller Balanceakt, den Vergabekammer vollziehen müssen.

Praxistipp

Wenn Sie Auftraggeber sind, sich möglichst wenig Arbeit und möglichst nicht angreifbar machen wollen, dann verzichten sie gänzlich auf normative Zuschlagskriterien. Bewertet wird dann nur noch der Preis. Dies ist freilich eine traurige Botschaft, wie schon damals bei den Schulnoten. Wenn Sie es anders machen wollen, dann drücke ich die Daumen, dass die Vergabe beanstandungsfrei durchgeht. Oder vielleicht denken Sie einmal darüber nach, für einen hohen Aufwand, den Sie Bewerben abfordern, eine Entschädigung zu bezahlen. Dann dürfte der Schmerz zu verlieren geringer sein und ebenso die Motivation einer Rüge.

Wenn Sie Bieter sind und sich ungerecht bewertet fühlen, dann dürften Ihre Chancen, dass sich eine Vergabekammer die Bewertung sehr genau anschaut, gar nicht so schlecht sein. Eine Rüge ist dann meist auch gar nicht unbedingt zu spät, selbst wenn Sie die Bewertungskriterien vor Ablauf der Angebotsfrist gar nicht beanstandet haben. Die Vergabekammer Südbayern sah sich etwa nach dem Amtsermittlungsgrundsatz sogar verpflichtet, die Bestimmtheit der Beurteilungskriterien unabhängig von Rüge und Vortrag des Bieters miteinzubeziehen, um eine sachgerechte Überprüfung der beanstandeten individuellen Wertung überhaupt durchführen zu können.

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Über Dr. Roderic Ortner

Roderic Ortner ist Rechtsanwalt, Fachanwalt für Vergaberecht sowie Fachanwalt für IT-Recht. Er ist Partner in der Sozietät BHO Legal in Köln und München. Roderic Ortner ist spezialisiert auf das Vergabe-, IT und Beihilferecht und berät hierin die Auftraggeber- und Bieterseite. Er ist Autor zahlreicher Fachbeiträge zum Vergabe- und IT-Recht und hat bereits eine Vielzahl von Schulungen durchgeführt.

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