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Inwieweit darf die HOAI bei der Vergabe von Planungsleistungen noch eine Rolle spielen? (VK Bund, Beschl. v. 30.08.2019 – VK 2-60/19)

EntscheidungDer EuGH hat die preisrechtlichen Regelungen der HOAI in seinem Urteil vom 04.07.2019 als europarechtswidrig eingestuft. Die Vergabekammer des Bundes hatte sich – soweit ersichtlich als erste Nachprüfungsinstanz – mit den Auswirkungen dieses Urteils auf eine Ausschreibung von Planungsleistungen zu befassen. Die VK Bund vertritt dabei eine sehr restriktive Auffassung: Öffentliche Auftraggeber dürfen kein Vergütungssystem vorgeben, dass zur (teilweisen) Beachtung der Mindestsätzen gemäß HOAI zwingt.

§ 127 Abs. 2 GWB; § 76 VgV

Leitsatz

  1. Nach der Entscheidung des EuGH vom 04.07.2019 ergibt sich für einen öffentlichen Auftraggeber das Verbot, die EU-rechtswidrigen Vorschriften der HOAI bei der Vergabe von Planungsleistungen als Zuschlagskriterium anzuwenden.
  2. Es steht nicht zur Disposition des Auftraggebers und der Bieter, die Entscheidung des EuGH als nicht relevant zu qualifizieren. Auch wenn alle Beteiligten einer Vergabe „nach Mindestsätzen“ zustimmen, leidet die Vergabe unter einem Rechtsverstoß, den die Nachprüfungsinstanzen unabhängig von einer Rüge verfolgen müssen.

Sachverhalt

Ein öffentlicher Auftraggeber schrieb Planungsleistungen in einem Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb aus. Das  Verfahren war noch vor dem 4. Juli 2019 – und damit vor dem EuGH-Urteil zur teilweisen EU-Rechtswidrigkeit der HOAI – weitestgehend abgeschlossen. Lediglich die finale Wertung und die Information der nichtberücksichtigten Bieter stand noch aus.

Soweit die ausgeschriebenen Leistungen der HOAI unterfielen, gab der öffentliche Auftraggeber in den Vergabeunterlagen vor, dass die Preiskalkulation der Bieter nach den Regelungen der HOAI zu erfolgen hatte. Dies betraf im konkreten Fall rund 35% des Leistungsumfangs.  Nachdem der Auftraggeber die nichtberücksichtigten Bieter über die vorgesehene Zuschlagserteilung informierte, rügte der Zweitplatzierte die Angebotswertung. Er griff dabei jedoch ausschließlich die Wertung in den qualitativen Zuschlagskriterien an. Die preisliche Wertung hingegen wurde nicht thematisiert. Diese griff erst die Vergabekammer im Rahmen des anschließenden Nachprüfungsverfahrens auf. Die VK Bund sah in den Vorgaben zur Kalkulation (teilweise) auf Basis der HOAI einen von Amts wegen aufzugreifenden Umstand.

Die Entscheidung

Die Vergabekammer des Bundes hielt die Vorgabe, wonach Teile der zu erbringenden Leistung auf Grundlage der HOAI und damit auch unter Beachtung der Regelungen zum Mindestsatz zu kalkulieren waren, für vergaberechtswidrig. Dies sahen im konkreten Fall nicht nur die Antragsgegnerin und die Beigeladene sondern selbst die Antragstellerin anders.

Dass der auf Basis der HOAI zu kalkulierende Anteil nur 35% der Gesamtleistung betraf und mithin der überwiegende Teil der Leistungen – und damit letztlich auch der Gesamtpreis – nach freiem Ermessen der Bieter kalkuliert werden konnte, sah die VK Bund als irrelevant an. Dass ein gewisser Anteil des Gesamthonorars nicht „frei“ kalkuliert werden konnte, hätte sich nach Auffassung der Vergabekammer auf das Gesamthonorar auswirken können, was für einen Verstoß genüge.

Die Vergabekammer führt in ihrer Begründung aus, dass sich seit dem EuGH-Urteil vom 4. Juli 2019 für öffentliche Auftraggeber ein Verbot ergebe, die EU-rechtswidrigen Regelungen der HOAI weiter anzuwenden. Dies folge aus Art. 260 Abs. 1 AEUV in Verbindung mit den Grundsätzen über den Anwendungsvorrang des EU-Rechts. Aus demselben Grund sei dieser Umstand auch dann von Nachprüfungsinstanzen aufzugreifen, wenn dies seitens der Antragstellerin weder gerügt noch im Nachprüfungsverfahren vorgetragen wurde.

Rechtliche Würdigung

Nach Auffassung der VK Bund hat das EuGH-Urteil auf künftige und sogar noch laufende Planervergaben unmittelbare Auswirkungen. Gibt ein Auftraggeber vor, dass die Preiskalkulation (auch nur teilweise) auf Basis des § 7 HOAI zu erfolgen hat, sind die Zuschlagskriterien nach Auffassung der Vergabekammer des Bundes insoweit vergaberechtswidrig. Diese Vorgabe erscheint zunächst sehr restriktiv, ist aber letztlich mit Blick auf die Pflicht zur Durchsetzung des EuGH-Urteils konsequent.Ein öffentlicher Auftraggeber muss folglich Bietern durch entsprechende Ausgestaltung der Vergabeunterlagen ermöglichen, ein Honorar abzubieten, dass die EU-rechtswidrigen Regelungen der HOAI vollständig unberücksichtigt lässt.Sofern Vergabeverfahren bereits begonnen wurden, ohne dass dieser Umstand Berücksichtigung fand, ist die Preisabfrage entsprechend anzupassen. Sollten bereits finale Angebote vorliegen, muss nach Auffassung der VK Bund zumindest die finale Preisabfrage ohne Bindung an die HOAI-Regelungen zu Mindest- und Höchstsätzen wiederholt werden.  Eine vollständige Zurückversetzung des Verfahrens wird hingegen in der Regel nicht erforderlich sein.

Praxistipp

Die Entscheidung der Vergabekammer des Bundes zeigt, dass öffentliche Auftraggeber künftig hinsichtlich des Honorarangebots den Bietern ermöglichen müssen, den von der HOAI gesetzten Preisrahmen zu verlassen. Dies bedeutet nicht, dass die HOAI damit keine Rolle mehr spielen darf. Im Gegenteil: Der EuGH sieht lediglich die zwingenden Preisvorgaben der HOAI als EU-rechtswidrig an. Analog hierzu dürfen diese Regelungen nicht mehr zwingend in einem Vergabeverfahren verankert werden. Die übrigen Regelungen der HOAI dürfen hingegen ohne Weiteres angewendet werden.

Welche Möglichkeiten haben öffentliche Auftraggeber künftig bei der Preisabfrage?

Öffentliche Auftraggeber haben weiterhin die Möglichkeit, das Verfahren so zu gestalten, dass sich auch die Vergütung weitestgehend an den bekannten Regelungen der HOAI orientiert und die Bieter dennoch frei kalkulieren können. Dies kann insbesondere dadurch umgesetzt werden, dass das Preisblatt einen prozentualen Zu-/Abschlag auf das angebotene Honorar vorsieht. Dieses Vorgehen wird auch im entsprechenden Erlass des BMI sowie im Vertragsmuster der RBBau empfohlen (vgl. „Hinweise zur Anwendung der HOAI – Angepasste Vertragsmuster RBBau“, /).

Alternativ ist auch die Abfrage einer Gesamtpauschale bzw. von Teilpauschalen für Einzelleistungen möglich. Der Vertrag müsste in diesem Fall entsprechend ausgestaltet sein, da die Vergütung dann gerade nicht mehr nach den Regelungen der HOAI erfolgt. Inwieweit dies sinnvoll ist, kommt jedoch auf den Einzelfall an. In jedem Fall sollte dann das Vergabeverfahren so gestaltet sein, dass eine qualitativ hochwertige Leistungserbringung sichergestellt ist. Anderenfalls könnte den Auftraggeber ein vermeintlich „billiges“ Angebot teuer zu stehen kommen.

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Über Dr. Alexander Dörr

Dr. Alexander Dörr ist Fachanwalt für Vergaberecht und Partner bei Menold Bezler Rechtsanwälte, Stuttgart. Er berät bundesweit in erster Linie die öffentliche Hand bei der Konzeption und Abwicklung von Beschaffungsprojekten sowie bei komplexen vergaberechtlichen Fragestellungen. Ein Schwerpunkt bildet dabei die rechtliche und strategische Begleitung von großvolumigen Ausschreibungsvorhaben öffentlicher Auftraggeber, überwiegend im Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb. Daneben vertritt Herr Dörr regelmäßig öffentliche Auftraggeber in Nachprüfungsverfahren. Zudem hält er zu unterschiedlichen vergaberechtlichen Themen Schulungen und Seminare. Dr. Dörr ist unter anderem Dozent am Bildungszentrum der Bundeswehr. Er publiziert darüber hinaus zahlreiche Beiträge in Fachzeitschriften und ist regelmäßiger Autor auf vergabeblog.de.

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