Vergabeblog

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Das halbe Dutzend – Sechs der häufigsten Missverständnisse zum Preisrecht bei öffentlichen Aufträgen, einfach erklärt und eine Schlussbemerkung.

Das Preisrecht bei öffentlichen Aufträgen und die hierzu maßgebliche Verordnung PR Nr. 30/53 über die Preise bei öffentlichen Aufträgen (VO PR Nr. 30/53) hat mittlerweile seinen Platz im Kanon des Rechts des öffentlichen Auftragswesens gefunden, dennoch bestehen nach wie vor bei den Betroffenen nicht ganz korrekte Vorstellungen zu Regelungszweck und -systematik. Die sechs der häufigsten Missverständnisse sollen nachfolgend für Theorie und vor allem Praxis geklärt werden:

1. Die Geltung der VO PR Nr. 30/53 muss vertraglich vereinbart werden

Das Preisrecht bei öffentlichen Aufträgen soll die Beschaffung des öffentlichen Auftraggebers vorrangig zu Marktpreisen gewährleisten. Das hierzu geschaffene Regularium der VO PR Nr. 30/53 knüpft dazu unmittelbar an einer wettbewerblichen Preisbildung an. Der vom Anbieter geforderte Preis soll sich im freien Spiel von Angebot und Nachfrage im Wettbewerb auf funktionierenden Märkten gebildet und durchgesetzt haben.

Innerhalb des Rechts des öffentlichen Auftragswesens stellt die VO PR Nr. 30/53 eine eigenständige Teilregelung dar. Sie ist hoheitliches Recht und bindet öffentliche Auftraggeber und Auftragnehmer gleichermaßen. Sie gehört zum Wirtschaftsordnungsrecht. Ihre Regelungen dienen folglich nicht der Festsetzung von Markt- oder Selbstkostenpreisen, sondern der Prüfung, wie ein Preis zustande gekommen ist (Thüringer OVG, Beschl. v. 13.04.1999 – 2 ZEO 18/99).

Aus dem hoheitlichen Charakter folgt, dass die Regularien für alle öffentlichen Aufträge i.S.d. VO PR Nr. 30/53 automatisch Geltung beanspruchen. Dabei ist zu beachten, dass der Begriff des öffentlichen Auftrages der VO PR Nr. 30/53 weiter gefasst ist als derjenige des Vergaberechts!

Erfasst sind alle Verträge, die synallagmatische Austauschverträge (Leistung und Gegenleistung stehen sich gleichwertig gegenüber) darstellen. Demnach sind auch Verträge erfasst, für deren Abschluss ein vergaberechtlicher Wettbewerb entbehrlich ist, entweder, weil der Anwendungsbereich des Vergaberechts erst gar nicht erfasst ist (z.B. Zulassungssysteme in Form von open-house-Verträgen), oder weil das Vergaberecht selbst eine Ausnahme bestimmt (z.B. im Fall von Inhouse-Verträgen).

Die Erwähnung der Geltung der VO PR Nr. 30/53 im Vertrag hat folglich nur deklaratorischen Charakter.

2. Der Preistyp (Markt- oder Selbstkostenpreis) wird durch die Parteien selbst im Vertrag festgelegt

Diese bei öffentlichen Auftraggebern und Auftragnehmern weit verbreitet Auffassung ist schlicht falsch. Preisrecht ist kein Wunschkonzert.

Aufgrund der Nachweisführung des Anbieters über das Zustandekommens seines Preises wird durch die zuständige Preisbehörde gemäß § 9 VO PR Nr. 30/53 der preisrechtlich zulässige Preis ermittelt. Der preisrechtlich zulässige Preis ergibt sich folglich aus den Regeln der VO PR Nr. 30/53 unmittelbar.

Gelingt dem Anbieter der Nachweis, dass die Voraussetzungen eines Marktpreises (§ 4 VO PR Nr. 30/53) vorliegen, so hat die Preisbehörde diesen festzustellen. Gelingt der Nachweis nicht, so ist anhand der weiteren Prüfung entsprechend der sogenannten „Preistreppe“ durch die Preisbehörde der entsprechende Selbstkostenpreistyp zu ermitteln. Auch dieser ergibt sich wiederum bei Vorliegen der jeweiligen Voraussetzungen aus den Vorschriften der VO PR Nr. 30/53 unmittelbar.

Die Erwähnung eines Preistyps im Vertragswerk lässt lediglich darauf schließen, von welcher Annahme die Vertragsparteien ausgegangen sind. Ob die Annahme richtig oder falsch war, stellt sich erst im Rahmen der hoheitlichen Prüfung durch die Preisbehörde heraus.

Einzige Ausnahme stellt § 5 Absatz 1 Nr. 2 VO PR Nr. 30/53 dar. Dies setzt jedoch eine Mangellage oder eine Wettbewerbsbeschränkung auf Anbieterseite voraus und dadurch muss die Marktpreisbildung nicht nur unerheblich beeinflusst werden.

Es handelt sich dabei um eine Möglichkeit, in den beschriebenen Fällen Selbstkostenpreise zu vereinbaren. Wird von dieser Möglichkeit (der öffentliche Auftraggeber hat hier eine besondere haushaltsrechtliche Verantwortung!) nicht Gebrauch gemacht, kommt der im Rahmen der Preisprüfung ermittelte preisrechtlich zulässige Preistyp ohnehin kraft der Verordnung zur Geltung (Pauka, in: Michaelis/Rhösa/Pauka, 2018, § 5, B.1.2c.).

3. Eine Ausschreibung nach vergaberechtlichen Regeln führt automatisch zu einem Marktpreis

Auch hierbei handelt es sich um eine verbreitete Fehlvorstellung. Das Preisrecht bei öffentlichen Aufträgen sowie das öffentliche Vergaberecht sind zwei voneinander unabhängige Regelwerke, die lediglich einen identischen Regelungsgegenstand haben, nämlich öffentliche Aufträge (vgl. Dörr, in: Dörr/Hoffjan, Die Bedeutung der VO PR Nr. 30/53 über die Preise bei öffentlichen Aufträgen, Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie, 2015.). Die preisrechtskonforme Preisbildung bei öffentlichen Aufträgen ist ausschließlich an den Voraussetzungen der VO PR Nr. 30/53 zu messen.

Die Veröffentlichung und Durchführung eines vergaberechtlichen Wettbewerbs (Vergabeverfahren) führt dazu, dass für die Beschaffung der ausgeschriebenen Leistungen ein besonderer Markt geschaffen wird, selbst wenn für die Leistung bereits ein allgemeiner Markt existiert. Zwar ist Gegenstand der preisrechtlichen Betrachtung das Zustandekommen des Preises auf dem besonderen Markt, allerdings muss sich der Anbieter an seinem – wenn vorhanden – bereits existierenden Marktpreis am allgemeinen Markt für die in Rede stehende Leistung festhalten lassen (S. Müller, in: Ebisch/Gottschalk/Hoffjan/Müller, 9. Auflage, § 4 Rn. 83).

Insbesondere führt im Rahmen der Ausschreibung das Fordern eines höheren Preises als eines vorhandenen Marktpreises dazu, dass die zu hohe Preisforderung preisrechtlich unzulässig ist und der unzulässige Preis durch den bereits existierenden zulässigen Marktpreis ersetzt wird (s.u. zu 4.).

Existiert ein Marktpreis am allgemeinen Markt nicht, gelten für das Zustandekommen eines Marktpreises im Rahmen eines Vergabeverfahrens (besonderer Markt) selbstverständlich die Voraussetzungen des § 4 VO PR Nr. 30/53: Es muss sich um eine marktgängige Leistung handeln, deren Preis sich als verkehrsüblich erweist.

Marktgängig ist eine Leistung, die auf dem Markt „geht“. Auf dem besonderen Markt ist dies der Fall, wenn das Angebot, mit dem sie angeboten wird, durch den öffentlichen Auftraggeber zum vergaberechtlichen Auswahlprozess zugelassen und nicht bereits vorher ausgeschlossen wird.

Die Tatsache, dass auf einem besonderen Markt nur ein Umsatzakt zustande kommt, steht der Verkehrsüblichkeit, wonach mehrere Umsatzakte zu fordern sind, zunächst entgegen. Aufgrund des Marktpreisvorrangs ist jedoch durch die Preisbehörde unter Inanspruchnahme des öffentlichen Auftraggebers wie des Auftragnehmers, eine Ermittlung anzustellen. Dabei kann auf Ausschreibungen zurückgegriffen werden, die zu mehreren konkurrierenden und zuschlagsfähigen Angeboten geführt haben. Selbstredend muss es sich bei diesen Ausschreibungen um die gleichen/mindestens aber sehr vergleichbaren Leistungen handeln. Die Umsätze müssen sachlich voneinander unabhängige Ausschreibungen betreffen (BVerwG, Urt. v. 13.04.2016 – 8 C 2.15.).

4. Die Preisprüfung dient der Durchsetzung von Rückforderungsansprüchen des öffentlichen Auftraggebers

Die Preisprüfung dient als hoheitliches Instrument der Preisaufsicht der unmittelbaren staatlichen Kontrolle auf Übereinstimmung der Preise für öffentliche Aufträge mit den Grundsätzen der VO PR Nr. 30/53 (v.a. Höchstpreisprinzip und Marktpreisvorrang). Daher ist die Aussage, sie diene der Durchsetzung von Ansprüchen v.a. des öffentlichen Auftraggebers falsch.

Rückforderungsansprüche können sich als Folge eines nicht verordnungskonform gebildeten Preises ergeben. Diese Ansprüche sind jedoch ausschließlich zivilrechtlicher Natur und resultieren aus der Tatsache, dass der Verstoß gegen den Höchstpreisgrundsatz des § 1 Absatz 3 VO PR Nr. 30/53 ein Verstoß gegen ein Verbotsgesetz darstellt, der nach § 134 BGB zur Nichtigkeit der Preisvereinbarung führt (S. Ellenberger, in: Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, § 134, Rn 26 f. m.w.N.).

Das Preisrecht selbst greift weder in die vertraglichen Beziehungen ein noch stellt es in irgendeiner Weise Anspruchsgrundlagen für die Vertragsparteien dar.

5. Das Preisrecht bei öffentlichen Aufträgen kennt keinen Rechtsschutz

Diese Aussage ist in ihrer Pauschalität nicht richtig. Richtig ist zunächst, dass der der Kontrolle und der Einhaltung preisrechtlicher Vorgaben dienende Preisprüfungsbericht keinen Regelungscharakter aufweist und damit nicht rechtsschutzbewehrt ist (Vgl. Müller, in: Ebisch/Gottschalk/Hoffjan/Müller, 9. Auflage, § 9, Rn. 114). Dies gilt aber nur für die Fälle, die ohnehin bezüglich des Prüfungsverfahrens zwischen der Preisbehörde und dem Unternehmen unstreitig sind.

In Bezug auf den im Preisprüfungsbericht ermittelten zulässigen Höchstpreis ist ein Verwaltungsrechtsschutz auch entbehrlich, da sich die Höchstpreisüberschreitung zivilrechtlich auswirkt (s.o. zu 4.). Im Zweifel stehen den Vertragsparteien somit alle zivilrechtlichen Möglichkeiten zur Verfügung.

Unternehmen haben das Recht, zunächst der Vereinbarung eines Preisprüfungstermins nicht zuzustimmen. In diesen Fällen wird die Preisbehörde ein förmliches Verwaltungsverfahren einleiten, indem sie eine Prüfung anordnet. Eine solche Anordnung hat den Charakter eines Verwaltungsaktes und kann daher mit dem Mittel des Widerspruchs und in der Folge der Anfechtungsklage begegnet werden.

Sollte es ausnahmsweise zur Einleitung eines Bußgeldverfahrens gemäß § 11 VO PR Nr. 30/53 wegen eines Preisverstoßes kommen, stehen dem Unternehmen auch hier die Möglichkeiten des Widerspruchs sowie der Klage vor dem zuständigen Gericht zur Verfügung.

Wie man sieht, haben die betroffenen Parteien ausreichende Möglichkeiten, ihre Rechte geltend zu machen. Insbesondere die Rechtsschutzgarantie des Artikel 19 Absatz 4 GG steht nicht in Frage.

6. Preisverstöße kann nur der Auftragnehmer begehen

Auch dies ist eine Fehlvorstellung. Die VO PR Nr. 30/53 verbietet, für Leistungen aufgrund öffentlicher Aufträge höhere Preise zu fordern, zu versprechen, zu vereinbaren, anzunehmen oder zu gewähren, als nach ihren Bestimmungen zulässig ist.

Diese im Wortlaut des § 1 Absatz 3 VO PR Nr. 30/53 enthaltenen Verbote sind eindeutig. Sie richten sich in ihrer Funktion als Wirtschaftsordnungsrecht (S. Müller, in: Ebisch/Gottschalk/Hoffjan/Müller, 9. Auflage, Einleitung, Rn. 1) an die Unternehmen und öffentlichen Auftraggeber gleichermaßen. Daraus kann nur gefolgert werden, dass die Regelungen der Verordnung beide Vertragsparteien in gleicher Weise hoheitlich binden. Damit begeht auch derjenige öffentliche Auftraggeber einen Preisverstoß, der sich auf unzulässige Preisvereinbarungen einlässt oder gar die Zahlung eines unzulässigen Preises verspricht.

Letzteres dürfte z.B. im Fall der Maskenbeschaffungen im Rahmen eines open-house-Modells jüngst durch das Bundesgesundheitsministerium nicht ohne Bedeutung sein. Hier hatte das Ministerium bekanntlich einen Preis von 4.50 Euro/Maske versprochen. Ob der versprochene Preis jedoch im Sinne des Höchstpreisgrundsatzes sowie des Marktpreisvorrangs preisrechtskonform ist, dürfte zumindest fraglich sein.

Eine Schlussbemerkung

Die VO PR Nr. 30/53 zeichnet sich durch einen heute kaum mehr auffindbaren hohen Abstraktionsgrad aus. Dies mag für manchen anspruchsvoll und herausfordernd sein, doch nur auf diese Weise war es möglich, im Laufe der Zeit nahezu alle preisrechtlichen Entwicklungen stets nach den Grundsätzen der Verordnung zu bewerten und vertretbaren Lösungen zuzuführen. So hat die VO PR Nr. 30/53 stets ihre Aktualität und Funktionalität gewahrt.

Der momentan diskutierte Änderungsentwurf der Verordnung (www.bmwi.de/Redaktion/DE/Downloads/) wird daran nichts ändern. Er bestätigt sowohl den Grundsatz des Marktpreisvorrangs als auch das Höchstpreisprinzip. Klargestellt wird nunmehr (was schon immer unstreitig – jedoch ungeschrieben – war), dass sich die verordnungskonforme Preisbildung im Rahmen des öffentlichen Einkaufs auf zwei Märkten vollzieht. Vorrang hat zunächst die Preisbildung auf dem allgemeinen Markt. Da der öffentliche Auftraggeber jedoch zu seiner Bedarfsdeckung an das Vergaberecht gebunden ist und ein Vergabeverfahren durchführen muss, wird hierdurch ein besonderer Markt geschaffen (Müller, in: Ebisch/Gottschalk/Hoffjan/Müller, 9. Auflage, § 4 Rn. 10).

Nur wenn das Vergaberecht von vorneherein nicht anwendbar oder eine Ausnahme geregelt ist, darf die öffentliche Beschaffung unmittelbar auf dem allgemeinen Markt stattfinden. Daher ist die preisrechtliche Betrachtung des besonderen Marktes die Regel. Existiert bereits ein „allgemeiner Marktpreis“ des Unternehmens für die zu beschaffende Leistung, ist dieser für die preisrechtliche Bewertung des besonderen Marktes heranzuziehen.

Für den Fall, dass ein solcher Preis nicht existiert, stellt der Entwurf klar, dass auch eine verordnungskonforme Preisbildung auf dem besonderen Markt an die Voraussetzungen des § 4 VO PR Nr. 30/53, Marktgängigkeit der Leistung und Verkehrsüblichkeit des Preises, gebunden ist. Hierzu werden Kriterien angegeben (s.o. zu 3.), die den Nachweis der Verkehrsüblichkeit des Preises im Rahmen von Vergabeverfahren erleichtern.

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Über Hans-Peter Müller

Der Autor Hans-Peter Müller war über 20 Jahre im für die VO PR Nr. 30/53 federführenden Bundesministerium für Wirtschaft und Energie für deren Inhalt und Anwendung zuständig. Zudem wirkte er maßgeblich im Gesetzgebungsverfahren zur Umsetzung der EU-Vergaberichtlinien 2004 und 2014 in nationales Recht mit. Er ist Mitherausgeber des Standardkommentars „Ebisch/Gottschalk/Hoffjan/Müller“ zum Preisrecht und er fungierte im April 2016 als Sachverständiger des Bundes vor dem zuständigen Senat des Bundesverwaltungsgerichts im Rahmen eines Verwaltungsstreitverfahrens zum Preisrecht bei öffentlichen Aufträgen. Mittlerweile ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Kunz Rechtsanwälte, Koblenz/Mainz.

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