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Grundsatzentscheidung des BGH engt fakultativen Ausschlussgrund ein (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 27.10.2021 – VII-Verg 4/21)  

EntscheidungEntgegen dem ausdrücklichen Wortlaut des § 124 Abs. 1 Nr. 9 c) GWB liegt keine fakultativ zum Ausschluss berechtigende, fahrlässig irreführende Information eines Bieters vor, wenn dieser im Rahmen einer Rüge, eines Nachprüfungs- oder Beschwerdeverfahrens unzutreffende Tatsachen vorträgt, soweit er diese für richtig erachtet hat. Insoweit stehe die Grundsatzentscheidung des Großen Senats für Zivilsachen des BGH aus dem Jahr 2005 (BGH, Beschluss vom 15.07.2005, GSZ 1/04) dem Ausschluss eines Angebots aufgrund solcher irreführenden Angaben, die der betreffende Bieter fahrlässig vorgetragen hat, entgegen, so das OLG Düsseldorf in seinem Beschluss vom 27.10.2021.

§ 124 Abs. 1 Nr. 9 a) bis c) GWB

Sachverhalt

Die öffentliche Auftraggeberin schrieb in einem offenen Verfahren einen Rahmenvertrag über die Lieferung von Büro- und Verbrauchsmaterialien für einen Zeitraum von vier Jahren aus.

Einziges Zuschlagskriterium war der Preis. Das Preisblatt enthielt eine Aufstellung von 63 Büroprodukten. Nur diese sollten in die Preiswertung einfließen. Darüber hinaus enthielt das Leistungsverzeichnis die Vorgabe, dass der Auftragnehmer mit Vertragsschluss das gesamte Sortiment aus dem Büro- und Verbrauchsmaterial gemäß im Einzelnen konkretisierter Warengruppenerläuterungen zur Verfügung zu stellen hat. Das Gesamtsortiment umfasste rd. 2.000 Artikel. Für diese nicht abgefragten Artikel mit geringem Umsatz wurden marktübliche Preise, analog den für die Wertung vorgesehenen Büroartikeln, erwartet.

Die Antragstellerin rügte daraufhin, dass mit einer Ausschreibung, bei der nur ein Bruchteil der ausgeschriebenen Artikel in die Preiswertung einfließt, sich das Ziel der Ausschreibung, eine möglichst kostengünstige Beschaffung sicherzustellen, nicht erreichen lasse. Dies gäbe dem Bieter die Möglichkeit, ungewöhnlich niedrige Preise bei den in die Preiswertung einfließenden Artikeln durch entsprechend hohe Preise im Randsortiment nicht nur zu kompensieren, sondern durch Abgabe spekulativer Angebote zu Lasten der Auftraggeberin einen Spekulationsgewinn zu erzielen. Diese Rüge wies die öffentliche Auftraggeberin zurück. Die Antragstellerin ließ die Frist zur Erhebung eines Nachprüfungsverfahren innerhalb von 15 Kalendertagen nach der Zurückweisung verstreichen.

Nachdem der Antragstellerin von der öffentlichen Auftraggeberin mitgeteilt wurde, dass diese beabsichtige, den Auftrag an die Beigeladene zu vergeben, rügte die Antragstellerin die beabsichtigte Zuschlagserteilung. Die Beigeladene habe u.a. ein unzulässiges Spekulationsangebot abgegeben. Nach Zurückweisung der Rüge durch die öffentliche Auftraggeberin beantragte die Antragstellerin die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens, welches die Vergabekammer mit Beschluss vom 19.01.2021 teils verwarf, teils zurückwies. Hieraufhin erhob die Antragstellerin sofortige Beschwerde.

In den Verfahren machte die Antragstellerin u.a. geltend, dass die Ausschreibung von Anfang an ungeeignet gewesen sei, eine geordnete Beschaffung zu ermöglichen. Die 63 Artikel des Preisblattes machten nur zehn Prozent des Gesamtvolumens aus, während 90 Prozent auf das Randsortiment entfielen. Diese Schwäche habe sich die Beigeladene zunutze gemacht und ein Spekulationsangebot abgegeben, bei der ein Unterangebot im Kernsortiment durch höhere Preise im Randsortiment überkompensiert worden sei. Die Beigeladene decke sich ausschließlich bei einem dritten Unternehmen ein, deren für alle Mitglieder geltenden Listenpreise ein solches Angebot nicht erlaubten. Dies zumal die Beigeladene über keine eigene Warenlogistik verfüge und deshalb sämtliche Produkte bei Bedarf über dieses dritte Unternehmen beziehen müsse.

Die öffentliche Auftraggeberin schloss die Antragstellerin am 13.04.2021 nach § 124 Abs. 1 Nr. 9 GWB vom Vergabeverfahren aus. Dies begründete sie mit der Kontaktaufnahme der Antragstellerin mit dem dritten Unternehmen zwecks Informationsbeschaffung über die Beigeladene nach Unterrichtung über die beabsichtigte Zuschlagserteilung. Hierin und in einem unschlüssigen Vorbringen im Nachprüfungs- und Beschwerdeverfahren liege eine unzulässige Beeinflussung ihrer Entscheidungsfindung im Sinne von Buchstabe a) der Vorschrift. Die von dem dritten Unternehmen erfragten Informationen über die Beigeladene seien zudem vertraulich im Sinne von Buchstabe b). Auch begründe dieses Handeln eine fahrlässig oder vorsätzlich irreführende Information im Sinne von Buchstabe c).

Die Entscheidung

Das OLG Düsseldorf wies die sofortige Beschwerde der Antragstellerin zurück.

Soweit die Antragstellerin Rüge gegen die Bepreisung von lediglich 10 Prozent des Kernsortiment erhoben hat, sei sie bereits präkludiert.

Darüber hinaus sei die Beigeladene auch nicht wegen Verlagerung von Preisbestandteilen vom Kern- in das Randsortiment als Spekulationsangebot wegen fehlender Preisangaben gemäß § 57 Abs. 1 Nr. 5 VgV von der Wertung auszuschließen. Die von der Antragstellerin gerügte Verlagerung von Preisbestandteilen vom Kern- zum Randsortiment sei nicht festzustellen.

Soweit sich die Antragstellerin gegen ihren Ausschluss vom Vergabeverfahren wandte, wies das OLG ihr Begehren zwar mangels Antragsbefugnis zurück. Da das Nachprüfungsverfahren aus anderen Gründen abgelehnt wurde, sei der Ausschluss nicht kausal. Ihre Chance auf Auftragserteilung sei damit nicht beeinträchtigt.

Dennoch bemerkt das OLG Düsseldorf in seinem Beschluss ergänzend, dass der Ausschluss der Antragstellerin bei vorläufiger Bewertung Bedenken begegne:

Ein Verstoß gegen § 124 Abs. 1 Nr. 9 b) GWB liege nicht vor, da die Norm die in § 5 VgV geregelte Verpflichtung zur Wahrung der Vertraulichkeit schütze. Der in Buchstabe b) geregelte fakultative Ausschlussgrund ermögliche die Sanktionierung des Versuchs, an die dem öffentlichen Auftraggeber übermittelten Informationen heranzukommen. Der Versuch, bei einem nicht am Vergabeverfahren beteiligten dritten Unternehmen an Informationen über die Beigeladene zu kommen sei damit nicht tatbestandsmäßig.

Ein Verstoß gegen § 124 Abs. 1 Nr. 9 a) und c) GWB liege nicht vor, da die Beschaffung von Informationen über die Beigeladene bei dem dritten Unternehmen und die Übermittlung dieser Informationen nach der Mitteilung über die beabsichtigte Zuschlagserteilung weder einen Ausschluss wegen unzulässiger Beeinflussung der Entscheidungsfindung (§ 124 Abs. 1 Nr. 9 a) GWB) noch wegen irreführender Informationen (§ 124 Abs. 1 Nr. 9 c) GWB) rechtfertige. Nach der Grundsatzentscheidung des Großen Senats für Zivilsachen des Bundesgerichtshofs vom 15. Juli 2005 (BGH, Beschluss vom 15.07.2005, GSZ 1/04) dürfe die Einleitung eines staatlichen, gesetzlich eingerichteten und geregelten Verfahrens bei subjektiver Redlichkeit nur die im Verfahrensrecht vorgesehenen Sanktionen zeitigen. Für eine lediglich fahrlässige Fehleinschätzung hafte ein Rechtssuchender gerade nicht. Folglich dürften die im Rahmen von Nachforschungen erlangten Erkenntnisse vorgetragen werden, soweit diese subjektiv für richtig erachtet werden. Das OLG Düsseldorf kommt daher zu dem Ergebnis, dass die zitierte Entscheidung des BGH der Berücksichtigung lediglich fahrlässig irreführender Angaben im Rahmen des § 124 Abs. 1 Nr. 9 c) GWB nach Abschluss eines Vergabeverfahrens sowie bei Vortrag im Rahmen von Rügen, Nachprüfungsanträgen und Beschwerdebegründungen entgegenstehen dürfte. Vorliegend sei nicht dargelegt worden, dass die Antragstellerin bewusst falsch vorgetragen habe.

Rechtliche Würdigung

Die Anmerkung des OLG Düsseldorf hinsichtlich der fakultativen Ausschlussgründe ist im Hinblick auf die Übermittlung von berechtigt subjektiv als richtig erachtete Informationen im Rahmen von staatlichen, gesetzlich eingerichteten und geregelten Verfahren zu begrüßen. Soweit sie über subjektiv für richtig erachtete Informationen hinaus auch übermittelte fahrlässig irreführende Tatsachen erfasst, stellt sich aber die Frage, ob dies notwendig und mit dem EU-Recht vereinbar ist.

Die Sichtweise des OLG Düsseldorf gewährleistet eine effiziente Wahrnehmung eines der Grundpfeiler unseres Rechtssystems. Müssten Bieter beim Vortrag von Informationen, die sie im Rahmen von Nachforschungen erlangt haben und die sie (nach hier, vorbehaltlich einer EuGH-Entscheidung, vertretener Auffassung: nach Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt) subjektiv als richtig erachten, fürchten, bei der Geltendmachung von Rechtsmitteln mit ihrem Angebot ausgeschlossen zu werden, kann dies eine Inanspruchnahme der Rechtsmittel faktisch erheblich einschränken. Dies gilt, wie der vorliegende Fall zeigt, umso mehr, wenn es sich um Informationen außerhalb der Wissenssphäre des Antragstellers handelt. Das gilt umso mehr, wenn die Anforderungen an die Darlegungen des Antragstellers ohnehin bereits besonders hoch sind, um nicht wegen unzulässiger Behauptungen ins Blaue hinein mit der Rüge oder dem Nachprüfungsantrag abgewiesen zu werden.

§ 124 Abs. 1 Nr. 9 b) GWB

Kritisch kann die Auslegung des fakultativen Ausschlussgrundes wegen des Versuchs, vertrauliche Informationen zu erlangen, gesehen werden. Diese findet im Wortlaut des § 124 Abs. 1 Nr. 9 b) GWB wohl keinen Rückhalt.

Zwar lässt sich § 5 VGV entnehmen, dass unter vertraulichen Informationen die an den öffentlichen Auftraggeber übermittelten Informationen zu verstehen sind. Auch wird zum Teil in der Literatur vertreten, dass § 124 Abs. 1 Nr. 9 b) GWB ausschließlich Informationen gemäß § 5 VgV meint. Das GWB und die VgV geben aber weder dies eindeutig her. Noch geben sie eindeutig her, dass sich der Versuch, vertrauliche Informationen zu erhalten, ausschließlich gegen den öffentlichen Auftraggeber und nicht gegen Dritte richten darf. Entsprechend wird – anders als das OLG Düsseldorf hier – in der Literatur teilweise vertreten, dass auch der Versuch zum Erhalt der vertraulichen Informationen bei Dritten tatbestandsmäßig sein könne.

Insofern wäre statt einer bloßen Feststellung eine weitergehende Begründung des Ergebnisses des OLG Düsseldorf erfreulich gewesen.

Letztlich scheint in dem der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt der Tatbestand des § 124 Abs. 1 Nr. 9 b) GWB jedoch ohnehin wegen eines ganz anderen Tatbestandsmerkmal nicht erfüllt zu sein. Auf diesen geht das OLG Düsseldorf leider nicht ein. Neben dem Erlangen vertraulicher Informationen verlangt § 124 Abs. 1 Nr. 9 b) GWB für das Bestehen des fakultativen Ausschlussgrundes nämlich auch, dass das Unternehmen durch die vertraulichen Informationen einen unzulässigen Vorteil beim Vergabeverfahren erlangt. Das mag bspw. gegeben sein, wenn ein Bieter (bei einem Dritten oder dem öffentlichen Auftraggeber) vertrauliche Informationen über das Angebot eines anderen Bieters versucht hat zu erhalten, um sein eigenes Angebot daraufhin so zu gestalten, dass es den Zuschlag (und damit einen Vorteil) erhält. Versucht ein Bieter jedoch vertrauliche Informationen zu erhalten, um darzulegen, dass ein anderer Bieter sein Angebot in vergaberechtswidriger Weise abgegeben hat, ist es nicht der nachforschende Bieter, der durch die vertraulichen Informationen einen unzulässigen Vorteil erlangtVielmehr wird ein unzulässiger Vorteil, den der andere Bieter erlangt hatte, beendet. Wenn der nachforschende Bieter durch die vertraulichen Informationen erreicht, dass der andere Bieter ausgeschlossen wird, ist darin allenfalls ein (mittelbarer) zulässiger Vorteil zu sehen.

§ 124 Abs. 1 Nr. 9 c) GWB

Ebenfalls kritisch kann die Anmerkung im Hinblick auf die Erstreckung der Einschränkung auf die Übermittlung fahrlässig irreführender Informationen im Rahmen von staatlichen, gesetzlich eingerichteten und geregelten Verfahren gesehen werden, sowie auf die Erstreckung auf Rügen.

Die Ausführungen schränken den ausdrücklichen Wortlaut des § 124 Abs. 1 Nr. 9 c) GWB ein. Gemäß diesem können öffentliche Auftraggeber unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ein Unternehmen zu jedem Zeitpunkt des Vergabeverfahrens von der Teilnahme am Vergabeverfahren ausschließen, wenn das Unternehmen fahrlässig oder vorsätzlich irreführende Informationen übermittelt hat, die die Vergabeentscheidung des öffentlichen Auftraggebers erheblich beeinflussen könnten, oder versucht hat, solche Informationen zu übermitteln.

Da die Norm ausdrücklich eine fahrlässig irreführende Übermittlung zu jedem Zeitpunkt des Vergabeverfahrens als fakultativen Ausschlussgrund regelt, spricht der Wortlaut zunächst klar für das Bestehen eines solchen Ausschlussgrundes in Fällen wie dem, der hier Gegenstand der Entscheidung war. Die Entscheidung des OLG Düsseldorf korrigiert diesen weitreichenden Anwendungsbereich durch die Übertragung der Grundsatzentscheidung des BGH. Hierdurch wird der Anwendungsbereich entgegen dem Wortlaut in all jenen Fällen eingeschränkt, in denen ein Antragsteller

a) die von ihm erforschten Informationen im Rahmen eines staatlichen, gesetzlich eingerichteten und geregelten Verfahrens übermittelt,

b) soweit der Antragsteller diese Informationen subjektiv für richtig erachtet.

Zu a) führt das OLG selbst an, dass diese Verfahren im Vergaberecht Rügen, Nachprüfungsanträge und Beschwerdebegründungen betreffen. Dem folgend könnten auch Verfahren vor den ordentlichen Gerichten (z.B. im Falle unterschwelliger Vergabeverfahren oder bei Schadensersatzansprüchen wegen eines unzulässigen Ausschlusses) von der einschränkenden Auslegung des fakultativen Ausschlussgrundes erfasst sein. Dies bleibt unter Berücksichtigung des Schutzgedankens, welches der BGH in seinem Grundsatzurteil anführt (siehe dazu weiter unten) jedoch zweifelhaft. Denn das rechtliche Gehör des Unternehmens, dessen Angebot bezuschlagt werden soll, wäre mangels Beiladung in ordentlichen Gerichtsverfahren anders als in Nachprüfungsverfahren nicht gewährleistet.

Zu b) sei hinsichtlich der subjektiven Komponente dieser Einschränkung angemerkt, dass diese möglicherweise zu weitgehend ist: Das OLG scheint ausdrücklich lediglich fahrlässig irreführende Informationen bei Vortrag im Rahmen von Rüge, Nachprüfungsantrag und Beschwerdebegründung für zulässig zu erachten. Zu beachten ist dabei, dass es zwischen einem subjektiv-für-richtig-Erachten und Fahrlässigkeit noch einen gewissen Spielraum geben kann. Insoweit könnte wohl die Legaldefinition des § 276 Abs. 2 BGB zur Fahrlässigkeit weiterhin heranzuziehen sein. Danach handelt fahrlässig, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Betracht lässt. Damit wird nicht jedes subjektiv-für-richtig-Erachten ausreichen, sondern in jedem Einzelfall danach zu fragen sein, ob der Antragsteller die Information auch unter Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt für richtig (oder genauer: für nicht irreführend) erachten durfte. Darf danach ein Unternehmen die Informationen für berechtigt erachten, liegt noch keine Fahrlässigkeit vor. Dies mag umso mehr gelten, als auch der Wortlaut der Richtlinie 2014/24/EU ausdrücklich eine fakultative Ausschlussmöglichkeit bei fahrlässig irreführenden Informationen vorsieht. Es wäre interessant zu erfahren, ob der EuGH als Hüter der Auslegung europäischen Rechts die einschränkende Auslegung des OLG Düsseldorf im Hinblick auf die Fahrlässigkeit als mit dem EU-Recht vereinbar ansieht.

Und was genau steht nun eigentlich in der Grundsatzentscheidung des BGH?

Der Grundsatzentscheidung lag – stark zusammengefasst – ein Sachverhalt zugrunde, in dem ein Unternehmen aus dem Sanitärbereich, welches Inhaber von drei Marken war, ein konkurrierendes Unternehmen zur Unterlassung aufforderte. Das Sanitär-Unternehmen verfolgte seinen Anspruch auf Unterlassung gerichtlich weiter. Das konkurrierende Unternehmen, dass das Unterlassungsbegehren für unberechtigt hielt, konnte beim zuständigen Deutschen Marken- und Patentamt die Löschung der Marken erreichen, da diese keine Unterscheidungskraft besaßen. Aufgrund der grundsätzlichen Bedeutung hatte letztlich der Große Senat für Zivilsachen in einem Vorlagebeschluss zu entscheiden, ob das konkurrierende Unternehmen Schadensersatzansprüche wegen unberechtigter Aufforderung zur Unterlassung geltend machen kann.

Der Große Senat betonte zum einen die gefestigte Rechtsprechung, dass ein Gewerbebetrieb nicht nur die Vorteile genießen könne, die mit einem ausschließlichen Patent- und Musterrecht verbunden seien, sondern auch die Gefahren tragen müsse, welche mit der Behauptung des Bestehens eines solchen Rechts verbunden seien. Daher sei in Fällen unberechtigter Schutzrechtsverwarnungen bei schuldhaftem Verstoß Schadensersatz zu leisten. Zutreffend sei jedoch auch, dass bei subjektiver Redlichkeit nicht rechtswidrig in ein geschütztes Rechtsgut seines Verfahrensgegners eingreift, wer ein staatliches, gesetzlich eingerichtetes und geregeltes Verfahren einleitet und betreibt, auch wenn sein Begehren sachlich nicht gerechtfertigt ist und dem anderen Teil aus dem Verfahren über dieses hinaus Nachteile erwachsen.

Interessant ist neben diesem, vom OLG Düsseldorf aufgegriffenen und auf den fakultativen Ausschlussgrund einer irreführend fahrlässigen Übermittlung von Informationen übertragenen Rechtsgedanken, die vom BGH hierzu ausgeführte Begründung:

Für die Folgen einer nur fahrlässigen Fehleinschätzung der Rechtslage haftet der ein solches Verfahren betreibende Schutzrechtsinhaber (…) nicht nach dem Recht der unerlaubten Handlung, da der Schutz des Prozessgegners regelmäßig durch das gerichtliche Verfahren nach Maßgabe seiner gesetzlichen Ausgestaltung gewährleistet wird.

Diese Gewährleistung des Schutzes kommt jedenfalls in allen Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer und einem sich anschließenden Beschwerdeverfahren auch demjenigen zugute, der von der fahrlässig irreführend übermittelten Information betroffen ist.

Ob sich dieser Rechtsgedanke jedoch auch, wie das OLG Düsseldorf anmerkt, auf das Verfahren bei Rügen übertragen lässt, mag bezweifelt werden. Bei einer Rüge prüft lediglich der öffentliche Auftraggeber selbst die ihm übermittelten Informationen. Insoweit dient der Schutz des § 124 Abs. 1 Nr. 9 c) GWB auch der unbeeinflussten Entscheidungsfindung des betroffenen öffentlichen Auftraggebers.

Allerdings ist zu berücksichtigen, dass eine Rüge einem Nachprüfungsverfahren grundsätzlich zwingend vorgeschaltet ist (Prozessvoraussetzung). Würde die Einschränkung des fakultativen Ausschlussgrundes bei subjektiven-für-richtig-Erachtens nicht auch bereits im Rahmen einer Rüge greifen, wäre der effektive Rechtsschutz des Antragstellers aufgrund des Risikos eines Ausschlusses erneut faktisch erheblich eingeschränkt. Die gerichtliche Prüfung eines auch nur vermeintlich bestehenden Anspruchs wäre damit in gewisser Weise faktisch unterbunden. Im Ergebnis wird dem OLG Düsseldorf daher im Hinblick auf die umfassten Rechtsmittel auch in Bezug auf eine Rüge zuzustimmen sein.

§ 124 Abs. 1 Nr. 9 a) GWB

Schließlich fällt auf, dass das OLG Düsseldorf in seiner Anmerkung zwar zunächst ausführt, dass der vorliegende Sachverhalt einen Ausschluss wegen unzulässiger Beeinflussung der Entscheidungsfindung gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 9 a) GWB nicht rechtfertigen dürfte. In seiner Begründung geht es jedoch nicht mehr darauf ein, warum auch der Anwendungsbereich des § 124 Abs. 1 a) GWB nicht eröffnet sein soll. Lediglich § 124 Abs. 1 Nr. 9 c) GWB wird inhaltlich thematisiert. Vermutlich verneint das OLG im Falle subjektiv für richtig erachteter Informationen die Voraussetzung der Unzulässigkeit der Weise der Beeinflussung im Rahmen des § 124 Abs. 1 Nr. 9 a) GWB. Ausdrücklich teilt uns das OLG dies jedoch nicht mit.

Praxistipp

Auch wenn Bieter oftmals das formale Mittel der Rüge scheuen, ist ihnen in Fällen, in denen sie subjektiv gewichtige Anhaltspunkte dafür, dass ein Mitbieter den Zuschlag zu Unrecht erhalten soll, für richtig erachten, zu raten, diese Anhaltspunkte nur im Rahmen einer Rüge, eines Nachprüfungsverfahrens oder einer Beschwerdebegründung vorzutragen. Sie sollten es grundsätzlich vermeiden, öffentliche Auftraggeber in Form einer bloßen Mitteilung, die nicht als Rüge ausgelegt werden kann oder im Rahmen eines Nachprüfungsverfahrens vorgebracht wird, auf die Anhaltspunkte aufmerksam zu machen. Denn in letzterem Fall kann ihnen nach der Entscheidung des OLG Düsseldorf aufgrund der von diesem wohl vorgenommenen Gleichsetzung von Fahrlässigkeit und subjektiv-für-richtig-Erachtens während des laufenden Vergabeverfahrens  ein Ausschluss drohen.

Darüber hinaus sollten sich Bieter trotz der Hinweise des OLG Düsseldorf nicht damit begnügen, dass sie Informationen auf den ersten Anschein subjektiv für richtig erachten. Bietern kann nur empfohlen werden, entsprechend der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt zumindest einmal zu hinterfragen, ob die Informationen, die sie dem öffentlichen Auftraggeber übermitteln wollen, sich tatsächlich als richtig darstellen.

Keinesfalls sollten Bieter vorsätzlich irreführende Informationen übermitteln. Insoweit hat sich an der Reichweite der Norm (zurecht) nichts geändert.

Öffentliche Auftraggeber sollten bei der Entscheidung, von den fakultativen Ausschlussgründen nach § 124 Abs. 1 Nr. 9 a) und c) GWB Gebrauch zu machen, Vorsicht walten lassen. Sie befinden sich nach der Entscheidung des OLG Düsseldorf in der schwierigen Lage, beurteilen zu müssen, ob ein Bieter bei Übermittlung der Information diese subjektiv für richtig erachtet hat oder nicht. Dies dürfte für den Auftraggeber in vielen Fällen kaum feststellbar sein.

Kontribution

Der Beitrag wurde gemeinsam mit Herrn Rechtsanwalt Gerrit Schümann verfasst.

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Über Gerrit Schümann

Herr Schümann ist Rechtsanwalt und Partner der Sozietät Schellenberg Unternehmeranwälte, Berlin. Er berät Unternehmen bundesweit bei der Beteiligung an Ausschreibungen und übernimmt deren Vertretung in Nachprüfungsverfahren.

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Über Constanze Hildebrandt

Die Autorin Constanze Hildebrandt ist Rechtsanwältin und Fachanwältin für Vergaberecht in Berlin und verfügt über langjährige Praxiserfahrung durch ihre vorangehende Tätigkeit als Unternehmensjuristin und zuletzt Leiterin eines Rechtsbereichs nebst Vergabestelle. Sie ist spezialisiert auf vergabe- und zuwendungsrechtliche Fragestellungen. Frau Hildebrandt berät schwerpunktmäßig öffentliche Auftraggeber und Zuwendungsempfänger bei der Vorbereitung und Durchführung von komplexen Vergabeverfahren einschließlich der Vertragsgestaltung.

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