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Widersprüchliche Angaben im Angebot? Aufklärungspflicht des Auftraggebers! (VK Bund, Beschl. v. 23.07.2021 – VK 2-75/21)

EntscheidungWie müssen Auftraggeber bei widersprüchlichen Angaben in einem Angebot vorgehen? Diese Frage stellt Auftraggeber seit jeher vor Herausforderungen. Dies gilt umso mehr, nachdem der BGH im Jahr 2019 entschieden hat, dass Angebote, die wegen widersprüchlicher Angaben an formalen Mängeln leiden, nicht unmittelbar ausgeschlossen werden dürfen. Vielmehr besteht nach Auffassung des BGH eine Aufklärungspflicht des Auftraggebers. Nunmehr hat sich auch die Vergabekammer des Bundes umfassend mit dem vergaberechtskonformen Vorgehen bei widersprüchlichen Angaben in einem Angebot befasst.

BGB §§ 133, 157; VSVgV § 22 Abs. 6, § 31 Abs. 2

Leitsatz

  1. Lässt sich ein Widerspruch im Angebot des Bieters nicht durch Auslegung beseitigen, stellt dies nicht unmittelbar und direkt einen Ausschlussgrund dar. Das Angebot bedarf vielmehr der Aufklärung.
  2. Bei einem infolge der Widersprüchlichkeit wahrscheinlichen Eintragungsfehler reduziert sich das Aufklärungsermessen des Auftraggebers auf eine Aufklärungspflicht. Dem Bieter muss die Gelegenheit eingeräumt werden, die Widersprüchlichkeit auszuräumen.
  3. Der Pflicht zur Aufklärung widersprüchlicher Angebote kann sich der Auftraggeber auch nicht durch einen entsprechenden Ausschluss in den Vergabeunterlagen entziehen.

Sachverhalt

Der Auftraggeber schrieb in einem europaweiten, nichtoffenen Verfahren mit Teilnahmewettbewerb Bewachungsleistungen aus.

In den Vergabeunterlagen wurde für jede Schicht eine personelle Besetzung von insgesamt 5 Wachpersonen gefordert.

Die Bieter mussten mit dem Angebot unter anderem einen auftragsbezogenen Monats-Musterdienstplan als Bestandteil der konzeptionellen Unterlagen einreichen. Zudem mussten die Bieter ein Personalkonzept einreichen.

Die Vergabeunterlagen enthielten darüber hinaus unter anderem folgende Erläuterungen zu den konzeptionellen Angebotsbestandteilen.

„Die Ausführungen im konzeptionellen Teil werden durch die Bewertungskommission Qualität einer Schlüssigkeitsprüfung unterzogen. (…). Die Nichtabgabe eines Konzepts, bzw. unschlüssige Ausführungen führen zum Ausschluss des Angebots.“

Die spätere Antragstellerin reichte mit ihrem Angebot einen Musterdienstplan ein. Aus diesem ergab sich eine personelle Besetzung von insgesamt 4 Wachpersonen pro Schicht. In dem ebenfalls mit dem Angebot eingereichten Personalkonzept kalkulierte die spätere Antragstellerin hingegen mit 5 Wachpersonen pro Schicht.

Der Auftraggeber schloss das Angebot der späteren Antragstellerin von der Wertung aus. Er bewertete die Angaben zu dem vorgesehenen Wachpersonal in dem eingereichten Musterdienstplan als unschlüssig und verwies darauf, dass nach den Vergabeunterlagen 5 Wachpersonen pro Schicht gefordert waren.

Nach erfolgloser Rüge stellte die Antragstellerin einen Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer des Bundes.  Zur Begründung trug sie unter anderem vor, dass der Auftraggeber die widersprüchlichen Angaben in dem Musterdienstplan und dem Personalkonzept hätte aufklären müssen.

Die Entscheidung

Die Vergabekammer des Bundes hält den Nachprüfungsantrag für zulässig und begründet. Der Auftraggeber hätte das Angebot der Antragstellerin nach Auffassung der Vergabekammer nicht ohne vorherige Aufklärung ausschließen dürfen.

1. Die Widersprüchlichkeit der Angaben lässt sich nicht durch Auslegung beseitigen

Zunächst stellt die Vergabekammer fest, dass das Angebot der Antragstellerin bezüglich des vorgesehenen Wachpersonals widersprüchlich war.

Diese Widersprüchlichkeit lässt sich nach Ansicht der Vergabekammer nicht durch eine Auslegung beseitigen, da sowohl der Musterdienstplan, als auch das Personalkonzept Bestandteil des Angebots seien.

2. Aufklärungspflicht des Auftraggebers

Daraufhin erläutert die Vergabekammer, dass widersprüchliche Angaben in einem Angebot keinen unmittelbaren und direkten Ausschlussgrund darstellen.

Nach der neueren Rechtsprechung dürfe der Auftraggeber Angebote, die wegen widersprüchlicher Angaben an formalen Mängeln leiden, nicht vom Vergabeverfahren ausschließen, ohne vorher den Bieter zur Aufklärung über den Inhalt des Angebots aufgefordert zu haben.

Bei dem vorliegend wahrscheinlich erscheinenden Versehen der Antragstellerin bei der Erstellung des Musterdienstplans reduziere sich das Aufklärungsermessen auf eine Aufklärungspflicht. Dem Bieter müsse die Gelegenheit eingeräumt werden, die Widersprüchlichkeit auszuräumen (vgl. BGH, Urt. v. 18.06.2019 – X ZR 86/17).

3. Die Aufklärungspflicht entfällt nicht aufgrund eines entsprechenden Ausschlusses in den Vergabeunterlagen

Die Aufklärungspflicht entfällt nach Ansicht der Vergabekammer auch nicht durch die entsprechende Regelung in den Vergabeunterlagen, wonach unschlüssige Angaben zu einem Angebotsausschluss führen sollten. Aus Sicht der Vergabekammer ergibt sich die Aufklärungspflicht aus dem für das Vergabeverfahren zentralen Wettbewerbsgrundsatz. Wirtschaftlich gute Angebote sollen nicht aus formalen Gründen ausgeschlossen werden, wenn sich ein Ausschluss in einer Weise vermeiden lässt, die vergaberechtskonform ist.

4. Kein Verstoß gegen das Nachverhandlungsverbot durch eine Aufklärung

Die widersprüchlichen Angaben hätten aus Sicht der Vergabekammer vergaberechtskonform aufgeklärt werden können. Ein Verstoß gegen das Nachverhandlungsverbot kommt nach Auffassung der Vergabekammer nicht in Betracht. Die Antragstellerin habe im Personalkonzept nämlich die nach den Vorgaben der Vergabeunterlagen geforderte Mitarbeiteranzahl dargelegt und kalkuliert. Daher hätte die Grenze zu einer Angebotsänderung nicht durch eine Aufklärung überschritten werden können.

Rechtliche Würdigung

Die Entscheidung knüpft insbesondere an das Urteil des BGH zur Aufklärungsplicht des Auftraggebers an, das im Jahr 2019 für Aufsehen gesorgt hat. Der BGH entschied in Bezug auf widersprüchliche Erklärungen eines Bieters, dass insoweit eine Aufklärungspflicht des Auftraggebers bestand. Das Angebot sollte nicht wegen formaler Mängel ausgeschlossen werden, falls nach bloßer Streichung des vom Bieter Hinzugefügten ein den Vorgaben der Vergabeunterlagen vollständig entsprechendes Angebot vorlag (BGH, Urt. v. 18.06.2019 – X ZR 86/17). In der Vergangenheit hat zudem etwa bereits das OLG Düsseldorf eine Aufklärungspflicht des Auftraggebers angenommen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 21.10.2015 – VII-Verg 35/15).

Die Vielzahl der Entscheidungen zu dieser Thematik in den letzten Jahren verdeutlicht die Herausforderungen für die Vergabepraxis.

1. Beispiele für eine Aufklärungspflicht

Das OLG Schleswig hatte beispielsweise im Jahr 2020 über einen Fall zu entscheiden, in dem ein Bieter in ein Kalkulationsschema eine Angabe von 0,00 % eingetragen hatte. Der Auftraggeber hatte dies aufgeklärt, was ein anderer Bieter angegriffen hatte. Das OLG Schleswig entschied unter Verweis auf den Beschluss des BGH, dass unklare Angaben aufgeklärt werden müssen und dass es sich nicht um einen manipulativen Eingriff gehandelt habe (OLG Schleswig, Beschl. v. 12.11.2020 – 54 Verg 2/20).

Auch das OVG Sachsen hatte sich jüngst mit einem widersprüchlichen Angebot auseinanderzusetzen. In dem der Entscheidung zugrundeliegenden Vergabeverfahren hatte ein Bieter in seinem Angebot widersprüchliche Angaben zum Einsatz von Nachunternehmern geleistet. Nach erfolgreicher Aufklärung erteilte der Auftraggeber den Zuschlag auf das Angebot. Der Fördermittelgeber hielt dies für vergaberechtswidrig. Das OVG Sachsen entschied, dass der Auftraggeber vergaberechtskonform gehandelt habe, da er zur Aufklärung verpflichtet gewesen sei (OVG Sachsen, Urt. v. 21.10.2020 – 6 A 954/17).

2. Beachtung des Nachverhandlungsverbots

Im Einzelfall ist allerdings stets sicherzustellen, dass nicht gegen das Nachverhandlungsverbot verstoßen wird. Im Gegensatz zu einer bloßen Klarstellung von Angaben im Rahmen einer Aufklärung, ist eine nachträgliche Änderung des Angebotsinhalts vergaberechtswidrig.

Wenn beispielsweise eine Auslegung der Angaben des Bieters zu dem Ergebnis führt, dass das Angebot vorgegebene technische Mindestanforderungen nicht erfüllt, würde eine nachträgliche Änderung des Angebots gegen das Nachverhandlungsverbot verstoßen (VK Lüneburg, Beschl. v. 12.09.2019 – VgK 32/2019).

Besondere Vorsicht ist zudem bei Preisangaben geboten. So hatte beispielsweise in einem jüngst von der Vergabekammer des Bundes entschiedenen Fall ein Bieter in einem Leistungsverzeichnis und in einem Preisblatt voneinander abweichende Preisangaben geleistet. Die Vergabekammer entschied, dass dieser Widerspruch im Gegensatz zu dem vom BGH entschiedenen Sachverhalt nicht aufgeklärt werden durfte, da es der Bieter ansonsten in der Hand gehabt hätte, den angebotenen Preis nachträglich zu verändern (VK Bund, Beschl. v. 12.03.2021 – VK 1 20-21).

Praxistipp

Auftraggeber müssen die Entwicklung in der Rechtsprechung zu einer Aufklärungspflicht bei widersprüchlichen Angebotsinhalten unbedingt beachten. Enthält ein Angebot widersprüchliche Angaben, empfiehlt sich folgendes Vorgehen.

Zunächst sollte nochmals nachvollzogen werden, was in den Vergabeunterlagen gefordert wurde. Daraufhin muss eindeutig festgestellt werden, worin genau der Widerspruch in dem Angebot besteht.

Anschließend ist zu prüfen, ob die Widersprüchlichkeit der Angaben durch eine Auslegung ausgeräumt werden kann. Maßstab hierfür ist der objektive Empfängerhorizont. Hierbei dürfen auch weitere Umstände außerhalb der widersprüchlichen Erklärungen berücksichtigt werden.

Falls der Widerspruch nicht durch eine Auslegung aufgelöst werden kann, sind die widersprüchlichen Angaben aufklärungsbedürftig. Eine Aufklärungspflicht besteht, wenn beispielsweise ein Eintragungsfehler wahrscheinlich erscheint. Stets zu beachten ist allerdings, dass lediglich Klarstellungen des Angebotsinhalts herbeigeführt werden dürfen. Nachträgliche Angebotsänderungen sind demgegenüber unzulässig.

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Über Lars Lange, LL.M. (Kopenhagen)

Der Autor Lars Lange ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Vergaberecht.

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