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Vergabe innovativer Leistungen: Wie kann man KMU und Start-ups im Vergabeverfahren besser berücksichtigen? (Zudem Anm. zum BMWK-Entwurf der Start-up-Strategie der BReg)

Öffentliche Auftraggeber, und dort die Vergabestellen, haben es nicht leicht in deutschen Landen: Die Bau-, Dienst, oder Lieferleistung muss möglichst schnell und passgenau beschafft werden, aber natürlich rechtssicher. Die größte Hauptsorge eines öffentlichen Beschaffers ist, dass er keinen Fehler bei der Durchführung eines Vergabeverfahrens macht und nicht, dass er die qualitativ beste Leistung zu einem angemessenen Preis erhält. Es wundert daher nicht, dass im Vergleich mit anderen Mitgliedstaaten die Bedeutung des Zuschlagskriteriums Preis statistisch deutlich zunimmt. Denn bei dem Preis als einziges Zuschlagskriterium verringert sich das Risiko, einen Fehler zu machen. Leider heißt das auch, dass eine Vergabestelle keinen Anreiz hat, KMU oder Start-ups besonders zu berücksichtigen. Es ist zu begrüßen, dass das Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) am 01.06.2022 einen ersten Entwurf für eine Start-up-Strategie vorgelegt hat und darin auch das Vergaberecht als Mittel der Start-up-Förderung erkennt.

Leitfaden der Europäischen Kommission für eine innovationsfördernde öffentliche Auftragsvergabe vom 18.06.2021 (C(2021) 4320 final)

Als erstes möchte ich mit einer Erinnerung beginnen, nämlich an den 95 Seiten starken Leitfaden der Europäischen Kommission für eine innovationsfördernde öffentliche Auftragsvergabe vom 18.06.2021. Laut Kommission handelt es sich um einen praktischen Leitfaden für eine innovationsfördernde öffentliche Auftragsvergabe. Die Kommission verarbeitet darin vor allem Antworten, die aus den Mitgliedstaaten nach öffentlicher Konsultation eingegangen waren. Der Leitfaden enthält Hinweise zur Schaffung der politischen, markt- und verwaltungstechnischen und rechtlichen Rahmenbedingungen. Nur letztere interessieren in diesem Beitrag. Genannt werden

  • Nutzung von Losen
  • Nutzung von Standards, offenen Daten, offenen Schnittstellen und Open-Source-Software
  • Entwicklung KMU-freundlicher Zahlungssysteme
  • Varianten (bei uns: Nebenangebote)
  • Zuschlagskriterien
  • Ausführungsbedingungen (sog. Value-Engineering-Klauseln, d.h. Anreiz- Bonussysteme)
  • Bestimmte Verfahrensarten (Verhandlungsverfahren, wettbewerblicher Dialog, Innovationspartnerschaft)

Entwurf des BMWK vom 01.06.2022 für eine Start-up-Strategie

Neben zahlreichen angekündigten Maßnahmen und Ideen finden sich in dem Entwurf des BMWK auch angedachte Maßnahmen für öffentliche Aufträge. Kurz zusammengefasst sind diese:

  • Einrichtung eines E-Marktplatzes bei KOINNO, um den Marktüberblick zu verbessern
  • Installation einer zentralen Vergabeplattform, auf der möglichst alle deutschen Vergaben auffindbar sind
  • Stärkung der rechtlichen Verbindlichkeit innovativer und weiterer strategischer Aspekte
  • Werbung für lösungsoffene Ausschreibungen mit funktionalen Leistungsbeschreibungen sowie für den Einsatz von Rahmenvereinbarungen, die projektbezogen den kombinierten Einsatz verschiedener Auftragnehmerinnen und Auftragnehmer ermöglichen
  • Systematische Evaluierung

Der Entwurf enthält neben Maßnahmen der technischen Vereinfachung auch rechtliche Aspekte, die aber noch recht oberflächlich bleiben („und weitere strategischer Aspekte“). An dieser Stelle möchte dieser Beitrag anknüpfen und dazu einige Stellschrauben im Vergabeverfahren herausheben, durch welche innovative Leistungen sowie damit oft einhergehend KMU und Start-ups in der Vergabe gefördert werden können.

Nebenangebote

Wer Nebenangebote zulässt, lässt Alternativen zu der eigenen Leistungsbeschreibung oder auch zu dem Vertrag zu – er lässt zu, dass ein Unternehmen vom „Amtsvorschlag“ abweicht, solange das Ergebnis identisch ist. Der Weg zur Lösung ist ein anderer, vielleicht sogar ein innovativerer als der, den der Auftraggeber vor Augen hat. Nebenangebote erhöhen den Wettbewerb und vor allem lassen sie neue Idee und Wege zu. In der Vergabepraxis scheut der Auftraggeber indes Nebenangebote wie der Teufel das Weihwasser. Zu kompliziert, der Prüfaufwand zu hoch, zu anfällig für Rügen. Nebenangebote werden in der Praxis der Vergabe von Dienstleistungen daher äußerst selten angetroffen.

Losaufteilung (Mittelstandsklausel)

Der Grundsatz der Losaufteilung, den der Gesetzgeber vorschreibt, wird in der Praxis gerade bei komplexeren Leistungen oft zur Ausnahme. Doch durch Lose erhalten innovative KMU respektive Start-ups die Möglichkeit, sich an einem Vergabeverfahren zu beteiligen und von den öffentlichen Mitteln zu profitieren. Der Staat fördert wiederum solche Unternehmen, was sich volkswirtschaftlich bezahlt machen kann. Der obsiegende KMU / Newcomer erhält eine Gegenleistung und kann sich durch seine Leistung beweisen. In der Regel ist die Motivation solcher Unternehmen sehr hoch. Jeder öffentliche Auftrag bringt einem solchen Unternehmen wertvolle Referenzen, was sich letztlich zum Vorteil des Innovationsstandorts Deutschland bezahlt machen kann. Aber: Pusteblume! Losaufteilung? Nein Danke! Zu hoher Aufwand, zu viel Koordinierung, „und wenn man nur an die Schnittstellen denkt!“, und dann das Mängelgewährleistungschaos. Dann lieber doch einen Generalunternehmer.

Pflicht, KMU bei Unterauftragsvergabe zu berücksichtigen.

Öffentliche Auftraggeber könnten in ihrer Verfahrensbeschreibung oder in dem Vertrag bestimmen, dass KMU zu einem gewissen Anteil berücksichtigt werden müssen. Zumindest dann, wenn man von einer Losaufteilung absieht. Solche Mechanismen kennt das Vergaberecht in der VSVgV. Nur macht das kein öffentlicher Auftraggeber, zumindest nicht außerhalb der VSVgV. Zu kompliziert. Ist das überhaupt rechtssicher? Nie von dieser Möglichkeit gehört …

Eignungskriterien

Die wichtigste Stellschraube aus Unternehmenssicht für die Entscheidung, sich an einem Vergabeverfahren zu beteiligen, sind meines Erachtens die Eignungskriterien. Diese lassen „auf einem Blick“ in der Bekanntmachung erkennen, ob der Auftraggeber gewillt ist, KMU und/oder auch Start-ups zu begrüßen. Bezüglich der KMU besteht dazu sogar eine Pflicht, die gern übersehen wird. So heißt es in § 97 Abs. 4 Satz 1 GWB, dass mittelständische Interessen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge „vornehmlich“ zu berücksichtigen sind. „Vornehmlich“ bedeutet laut Duden als Adjektiv „hauptsächlich, vorrangig.“ Hört, hört. Das gilt selbstverständlich auch bei der Aufstellung der Eignungskriterien! Aber bei Letzteren reibt man sich doch manchmal die Augen, welche Hürden der öffentliche Auftraggeber einzieht. Über solche Hürden kann dann nur einer mit ganz langen Beinen und starken Muskeln springen.

Wenig hilfreich erscheint in diesem Kontext für den Innovationsstandort Deutschland, wenn ein Vergabesenat meint, dass nur Referenzen zulässig seien, die mit dem ausgeschriebenen Auftragsgegenstand vergleichbar sind (siehe . In § 46 Abs. 3 Nr. 1 VgV steht bewußt nicht, dass Referenzen „vergleichbar“, sondern dass sie „geeignet“ sein müssen. Was geeignet ist, entscheidet der Auftraggeber. Geht es nach dem Oberlandesgericht Frankfurt muss ein Bieter anscheinend ungefähr genau das Gleiche schon einmal gemacht haben, wenn er als geeignet angesehen werden möchte. Wo bleibt dabei der Beurteilungsspielraum bei der Aufstellung von Eignungskriterien? Und darf ich Newcomer etwa nicht berücksichtigen, indem ich die Eignungshürde absenke? (Siehe dazu auch die Debatte im DVNW). Es wäre zu begrüßen, wenn sich das BMWK in den im o.g. Entwurf auf Seite 21 f. angekündigten Maßnahmen zu diesem Thema äußert.

Zuschlagskriterien

Der Preis allein ist innovationsschädlich, das dürfte gesichert sein. Die Bewertung der Qualität kann hingegen innovationsfördernd sein. Die Kommission kommt zurecht in ihrem Leitfaden zu der Aussage, dass eine intelligente Beschreibung der Zuschlagskriterien „erhebliche Möglichkeiten für eine innovationsfördernde Auftragsvergabe beinhaltet.“

Es hat sich mittlerweile herumgesprochen, dass eine Bewertung von Konzepten anhand eines sog. Schulnotensystems zulässig ist. Das ist absolut begrüßenswert, denn auf diese Weise können innovative Umsetzungsvorschläge, der „Innovationsgrad“ und Ideen positiv in einer Wertung einfließen (Stichwort: „Konzept“). Innovation als Zuschlagskriterium findet sich sogar ausdrücklich im Gesetz (§ 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VgV). Aber aus Sicht eines öffentlichen Auftraggebers leider oft zu aufwändig, keine Zeit und – zu anfällig für Rügen. Bei der Vergabe innovativer Leistungen spielt das Personal, das letztlich die Leistungen erbringt, eine herausragende Rolle. Auch hier könnte ein Fokus auf die Prüfung gelegt werden, anstatt auf die Referenzen des Unternehmens selbst. Es sind letztlich die Menschen hinter den Referenzen eines Unternehmens, die die Leistung erbracht haben und nun erbringen sollen. Aber, Sie können es sich bereits denken: Zu kompliziert, aufwändig – und fehleranfällig.

Die Kommission hebt in ihrem Leitfaden hervor, dass auch durch die Wertung der Kosten (nicht des Preises!) innovative Leistungen berücksichtigt werden können:

„Die Verwendung von Kosten als Zuschlagskriterium kann Innovationen anregen. Ein innovatives Fahrzeug bietet vielleicht bessere Ergebnisse im Hinblick auf das Verbrauchsverhalten, die Nutzung umweltfreundlicher Energiequellen oder eine Verlängerung der Wartungsintervalle, selbst wenn der Beschaffungspreis den Preis eines Standardprodukts überschreitet. Gleichzeitig werden jedoch die Lebenszykluskosten des öffentlichen Auftraggebers reduziert: Möglicherweise amortisiert sich bei der innovativen Lösung nicht nur der Anschaffungspreis. Vielleicht sind auch die Gesamtkosten im Laufe des Lebenszyklus geringer. Dank der günstigeren Kostenbilanz ihrer Produkte können Wirtschaftsteilnehmer inzwischen innovative Produkte verkaufen, die sich ansonsten nicht auf dem Markt behaupten würden.“

Rahmenvereinbarungen

Rahmenvereinbarungen ermöglichen, dass mehrere Unternehmen einen Vertrag erhalten und auf Abruf eines, oder im Fall einer Einkaufsgemeinschaft, mehrerer öffentlicher Auftraggeber die erwünschte Leistung erbringen. Dadurch können Leistungspakete gebildet werden, die auch kleinere Unternehmen erbringen können. Das Ergebnis ist ähnlich der Losaufteilung, beide Instrumente werden auch mal kombiniert.

Vertragsbedingungen

Auch bei den Vertragsbedingungen kann drauf geachtet werden, dass diese KMU bzw. Start-up freundlich sind. So führen Vorausleistungspflichten häufig dazu, dass KMU von der Abgabe eines Angebots absehen. Solche Pflichten sind aus meiner Erfahrung nicht nur bei Werkleistungen anzutreffen, sondern auch bei Dienstleistungen. So werden Zahlungen erst fällig, wenn ein bestimmtes „Arbeitspaket“ erbracht ist. Bis dahin hat der Auftragnehmer bereits etliche Personenstunden aufgewendet. Das sind aber in der Regel Angestellte, die monatlich ihren Lohn haben wollen. Gegenstand der Vertragsbedingungen sind auch Regelungen des geistigen Eigentums, vor allem der Nutzungsrechte. Auch solche Regelungen können Start-ups / KMU abhalten. Die Europäische Kommission gibt in ihren Leitfaden ein Beispiel:

„Da der Auftraggeber zu 100 % für die anfallenden Kosten aufkommt, geht er häufig davon aus, dass er Anspruch auf alle Ergebnisse hat. Die Übertragung der Rechte des geistigen Eigentums, die mit diesen Ergebnissen verbunden sind, an die öffentlichen Auftraggeber kann jedoch die Innovation beeinträchtigen. Die Auftragnehmer können daran gehindert werden, die Innovation in einem anderen Zusammenhang oder für einen anderen Kunden erneut zu verwenden oder sogar anzupassen/weiterzuentwickeln, was auch zu Qualitätseinbußen und höheren Kosten für den öffentlichen Auftraggeber führen kann (…). Öffentliche Auftraggeber sollten daher in Erwägung ziehen, die Rechte des geistigen Eigentums bei den Anbietern zu belassen, wenn nicht ein überwiegendes öffentliches Interesse gegeben ist (…).“

Vergabearten

Innovative Lösungen können vornehmlich durch das Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb, den wettbewerblichen Dialog und die Innovationspartnerschaft berücksichtigt werden, da diese Verfahren Flexibilität hinsichtlich einer lösungsoffenen und im Laufe des Verfahrens weiter zu konkretisierenden Leistungsbeschreibung bieten. Logisch, daran anknüpfend können auch die Zuschlagskriterien zwar nicht geändert, aber im Laufe des Verfahrens konkretisiert werden, da sich erst dann für den Auftraggeber herauskristallisiert, welche Lösung für ihn am besten geeignet ist. Dass das Verhandlungsverfahren bei der Beschaffung innovativer Lösungen zulässig ist, ergibt sich ausdrücklich aus § 14 Abs. 3 Nr. 2 VgV bzw. § 3a Abs. 2 Nr. 1 b) EU VOB/A und bei den anderen beiden Verfahrensarten in der Regel aus der Natur der Leistung.

Ergebnis und Empfehlung

Der öffentliche Beschaffer sollte davon abrücken, dass ein rechtssicheres Verfahren die höchste Priorität hat. Denn ein rechtssicheres Vergabeverfahren gibt es nicht. Das Problem ist, dass die Beschaffungsstellen zu Recht den sichersten Weg gehen, da dies von ihnen verlangt wird. Um jeden Preis gilt es in der Praxis, ein Nachprüfungsverfahren zu verhindern. Dazu kommt – für viele zumindest das Gefühl -, dass ihnen der Haushalt und die Rechnungsprüfung im Nacken sitzen. Deutschland verfügt mit einem milliardenschweren Investitionsvolumen mit der öffentlichen Beschaffung über ein Instrument zur Förderung von KMU, Start-ups und innovative Leistungen – und nutzt es weitestgehend nicht. Weil der Mut fehlt. Und die Anweisung „von oben“. Und mehr Personal. Ein strategischer Beschaffer muss heutzutage über fachliches Wissen, vergaberechtliches Wissen, betriebswirtschaftliches Wissen und vieles mehr verfügen, bei einer Bezahlung, die diesem Anforderungsniveau oft nicht gerecht wird.

Den Mut zur Änderung müssen nicht die Vergabestellen aufbringen, sondern die Führungs- und Ministerialebenen. Der Entwurf des BMWK vom 01.06.2022 ist daher zu begrüßen. Es bleibt zu hoffen, dass darauf konkrete Leitfäden oder gar Verwaltungsvorschriften folgen, welche die Beschaffungsstellen klar dazu anweisen, Start-ups und KMU, zumindest bei innovativen Leistungen, durch die vorhandenen vergaberechtlichen Instrumente „vornehmlich“ zu berücksichtigen.

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Über Dr. Roderic Ortner

Roderic Ortner ist Rechtsanwalt, Fachanwalt für Vergaberecht sowie Fachanwalt für IT-Recht. Er ist Partner in der Sozietät BHO Legal in Köln und München. Roderic Ortner ist spezialisiert auf das Vergabe-, IT und Beihilferecht und berät hierin die Auftraggeber- und Bieterseite. Er ist Autor zahlreicher Fachbeiträge zum Vergabe- und IT-Recht und hat bereits eine Vielzahl von Schulungen durchgeführt.

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