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Bauleistungen

Mindestanforderungen an Nebenangebote müssen ausdrücklich vorgegeben werden! (OLG Frankfurt a.M., Beschl. v. 15.03.2022 – 11 Verg 10/21)

EntscheidungBei der Festlegung von Mindestanforderungen an Nebenangebote bestehen Herausforderungen, die des Öfteren zu Nachprüfungsverfahren führen. Jüngst hat sich der Vergabesenat des OLG Frankfurt a.M. intensiv mit den Anforderungen an das wirksame Aufstellen von Mindestanforderungen an Nebenangebote auseinandergesetzt. In seinem Beschluss bestätigt der Vergabesenat zudem die Unzulässigkeit einer allgemeinen Gleichwertigkeitsprüfung zwischen Haupt- und Nebenangeboten.

§ 160 Abs 3 Satz 1 Nr 1 GWB, § 16 EU Nr. 5 VOB/A

Leitsatz

1. Auch von einem fachkundigen und erfahrenen Bieter darf nicht ohne Weiteres erwartet werden, dass er im Sinne von § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB weiß, dass eine bestimmte Vorgabe im Leistungsverzeichnis, die für das Hauptangebot gilt, als konkludent aufgestellte Mindestanforderung für Nebenangebote auszulegen ist.

2. Eine bestimmte Vorgabe im Leistungsverzeichnis, die für das Hauptangebot gilt, ist nicht ohne Weiteres als Mindestanforderung für Nebenangebote auszulegen. Gegen eine Auslegung der Vorgabe als Mindestanforderung für Nebenangebote kann sprechen, dass eine Mehrzahl von Bietern, die sich am Vergabeverfahren beteiligten, Nebenangebote abgaben, die diesen Vorgaben nicht entsprachen.

3. Lässt der öffentliche Auftraggeber nach § 8 EU Abs. 2 Nr. 3 VOB/A Nebenangebote zu, hat er nach § 8 EU Abs. 2 Nr. 3 lit. b) VOB/A Mindestanforderungen festzulegen, denen die Nebenangebote genügen müssen. Diese Bestimmung schützt die Bieter, die Nebenangebote abgeben möchten, davor, dass ihre Nebenangebote mit der Begründung zurückgewiesen werden, sie seien gegenüber dem Hauptangebot minderwertig und wichen davon unannehmbar ab. Für eine unbenannte, nicht näher determinierte und damit intransparente Gleichwertigkeitsprüfung zwischen Haupt- und Nebenangeboten lässt § 8 EU Abs. 2 Nr. 3 lit. b) VOB/A zum Schutz der Bieter keinen Raum.

Sachverhalt

Der Auftraggeber schrieb die Errichtung einer vollständig neuen Infrastruktur und öffentlichen Erschließung in einem künftig zu schaffenden Wohnviertel in einem Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb europaweit aus.

Er ließ Nebenangebote zu. Die Teilnahmebedingungen enthielten folgende Vorgaben zu den Nebenangeboten:

„Nebenangebote müssen die geforderten Mindestanforderungen erfüllen. Dies ist mit der Angebotsabgabe nachzuweisen.“

Konkrete Mindestanforderungen an die Nebenangebote enthielten die Vergabeunterlagen jedoch nicht.

Der spätere Antragsteller reichte unter anderem ein Nebenangebot ein, mit dem er ein nicht im Leistungsverzeichnis vorgesehenes Recycling-Material anbot.

Der Auftraggeber schloss das Nebenangebot des späteren Antragstellers von der Wertung aus, da es aus seiner Sicht die Mindestanforderungen nicht erfüllte und keine Gleichwertigkeit zum im Leistungsverzeichnis vorgesehenen Material vorlag. Nach erfolglosem Rüge- und Nachprüfungsverfahren legte der Antragsteller sofortige Beschwerde beim Vergabesenat des OLG Frankfurt a.M. ein.

Die Entscheidung

Mit Erfolg!

Der Vergabesenat entschied, dass der Auftraggeber nicht berechtigt war, das Nebenangebot des Antragstellers auszuschließen.

1. Keine wirksam aufgestellten Mindestanforderungen an die Nebenangebote

Aus Sicht des Vergabesenats fehlt es an wirksam festgelegten Mindestanforderungen an die Nebenangebote.

Er führt zunächst aus, dass die Vergabeunterlagen keine ausdrücklich als solche benannten Mindestanforderungen an die zugelassenen Nebenangebote enthielten.

Zwar müssten Mindestanforderungen für Nebenangebote nicht ausdrücklich als solche bezeichnet werden. Es sei jedoch erforderlich, dass die Bieter erkennen können, dass es sich um eine Mindestanforderung handelt.

Eine solche Mindestanforderung auch für Nebenangebote könne sich beispielsweise aus der Baubeschreibung ergeben, wenn eine dortige Regelung durch eine Auslegung nach dem objektiven Empfängerhorizont eines durchschnittlichen Bieters des angesprochenen Bieterkreises nur im Sinne einer Mindestanforderung an Nebenangebote verstanden werden könne.

Bei einer Auslegung der Vorgaben des Auftraggebers im Leistungsverzeichnis ergebe sich hier jedoch nicht, dass diese Vorgaben von einem Bieter im Sinne einer Mindestanforderung auch für Nebenangebote zu verstehen waren.

Das Leistungsverzeichnis befasse sich als sachlich-technischer Orientierungsmaßstab grundsätzlich lediglich mit den Anforderungen, die an das Hauptangebot gestellt werden. Sinn eines Nebenangebots sei es jedoch, eine davon abweichende Leistung vorzuschlagen. Würde man demnach die Mindestanforderungen an Nebenangebote mit den Anforderungen an Hauptangebote gleichstellen, könne es keine Nebenangebote mehr geben, weil diese dem Leistungsverzeichnis gerade nicht entsprächen. Daher sei grundsätzlich eine Vorgabe des Leistungsverzeichnisses nicht als Mindestanforderung für die Nebenangebote zu verstehen.

Gegen solch eine Auslegung spreche zudem der Umstand, dass in dem Verfahren weitere Bieter ebenfalls Nebenangebote abgegeben hatten, die die Verwendung von nicht im Leistungsverzeichnis aufgeführten Recycling-Materialien vorsahen.

2. Keine allgemeine Gleichwertigkeitsprüfung zwischen Haupt- und Nebenangeboten

Der Vergabesenat bestätigt zudem, dass eine allgemeine Gleichwertigkeitsprüfung zwischen Haupt- und Nebenangeboten unzulässig ist.

Der Ausschluss des Nebenangebots ist aus Sicht des Vergabesenats daher nicht dadurch gerechtfertigt, dass dem Auftraggeber ohne weitere Nachweise oder Erläuterungen zum angebotenen Recycling-Material die erforderliche Prüfung der Gleichwertigkeit in Bezug zu den Anforderungen an das Hauptangebot nicht möglich gewesen sei.

Wenn Auftraggeber Nebenangebote zulassen, müssen sie nach Auffassung des Vergabesenats gem. § 8 EU Abs. 2 Nr. 3 lit. b) VOB/A Mindestanforderungen festlegen, denen die Nebenangebote genügen müssen. Diese Bestimmung schütze die Bieter, die Nebenangebote abgeben möchten, davor, dass ihre Nebenangebote mit der Begründung zurückgewiesen werden, sie seien gegenüber dem Hauptangebot minderwertig und wichen davon unannehmbar ab.

Für eine unbenannte, nicht näher determinierte und damit intransparente Gleichwertigkeitsprüfung zwischen Haupt- und Nebenangeboten lasse § 8 EU Abs. 2 Nr. 3 lit. b) zum Schutz der Bieter keinen Raum.

Rechtliche Würdigung

Die Entscheidung überzeugt.

Falls der Auftraggeber Nebenangebote zulässt und für diese Mindestanforderungen gelten sollen, müssen diese explizit vorgegeben werden.

Anders kann es nur liegen, wenn sich im Einzelfall beispielsweise eine Vorgabe im Leistungsverzeichnis auf eine bestimmte Technik oder Ausführung bezieht, die nicht Gegenstand des Hauptangebots sein kann. In einem solchen Fall kann trotz fehlender ausdrücklicher Bezeichnung als Mindestanforderung die Vorgabe im Leistungsverzeichnis oder der Baubeschreibung als Mindestanforderung auszulegen sein (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 20.12.2019 – VIII Verg 35/19).

Auch die Ausführungen des Vergabesenats zur Unzulässigkeit einer allgemeinen Gleichwertigkeitsprüfung zur Beurteilung von Nebenangeboten im Verhältnis zum Hauptangebot überzeugen. Für solch eine Gleichwertigkeitsprüfung fehlt es mangels konkreter Bezugspunkte an transparenten Wertungskriterien, da für die Bieter bei Angebotsabgabe nicht vorhersehbar ist, welche Varianten die Vergabestelle bei der Wertung noch als gleichwertig anerkennen wird und welche nicht mehr (vgl. BT-Drs. 18/7318, 174; BGH, Beschl. v. 07.01.2014 – X ZB 15/13).

Zu beachten ist, dass Nebenangebote grundsätzlich nicht gewertet werden dürfen, sofern keine wirksamen Mindestanforderungen aufgestellt wurden (vgl. EuGH, Urt. v. 16.10.2003 C-421/01). Darauf stellte der Vergabesenat in dieser Entscheidung jedoch nicht ab, da das entsprechende Vorbringen präkludiert war.

Praxistipp

Die Entscheidung verdeutlicht einmal mehr, dass Mindestanforderungen so festgelegt werden müssen, dass durchschnittliche Bieter diese als solche erkennen können.

Bei Nebenangeboten bestehen zudem Besonderheiten bei der Festlegung von Mindestanforderungen. In qualitativer Hinsicht müssen die Mindestanforderungen bei Nebenangeboten im Allgemeinen nicht alle Details der Ausführung erfassen, sondern dürfen Spielraum für eine hinreichend große Variationsbreite in der Ausarbeitung von Alternativvorschlägen lassen. Die Mindestanforderungen dürfen sich daher darauf beschränken, den Bietern – abgesehen von technischen Spezifikationen – in allgemeinerer Form den Standard und die wesentlichen Merkmale zu vermitteln, die eine Alternativausführung aufweisen muss (vgl. BT-Drs. 18/7318, 174; BGH, Beschl. v. 07.01.2014 X ZB 15/13).

Mit Blick auf das Verfahren, das der hier diskutierten Entscheidung zugrunde lag, ist zudem darauf hinzuweisen, dass in Verhandlungsverfahren in der Regel keine Nebenangebote zugelassen werden sollten. Das Verhandlungsverfahren zeichnet sich gerade dadurch aus, dass die – oftmals – funktionale Leistungsbeschreibung im Laufe des Verfahrens modifiziert wird und die Bieter ihre Alternativvorschläge einbringen können. Für die Zulassung von Nebenangeboten besteht daher in Verhandlungsverfahren im Regelfall keine Veranlassung.

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Über Lars Lange, LL.M. (Kopenhagen)

Der Autor Lars Lange ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Vergaberecht.

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