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Die sogenannte Kammerproblematik – die Nachnutzung von EfA-Leistungen durch Kammern als vergaberechtliche Herausforderung?

Das 2017 beschlossene Onlinezugangsgesetz („OZG 2017“) hat Bund und Länder verpflichtet, ihre Verwaltungsleistungen bis spätestens Ende des Jahres 2022 auch elektronisch über Verwaltungsportale anzubieten (§ 1 Abs. 1 OZG 2017). Diese Verpflichtung richtet sich auch an die Wirtschafts- und Berufskammern als staatsorganisationsrechtliche Teile der Länder. Zur OZG-Umsetzung haben sich Bund und Länder im IT-Planungsrat darauf verständigt, die OZG-Leistungen arbeitsteilig zu entwickeln und sich wechselseitig nach dem sogenannten „Einer-für-Alle“(„EfA“)-Prinzip zur Nachnutzung zur Verfügung zu stellen. Dazu werden Online-Dienste zentral bei einem IT-Dienstleister betrieben und z.B. über den FIT-Store oder Marktplatz für EfA-Leistungen als Software-as-a-Service (SaaS) kostenpflichtig zur Nach- bzw. Mitnutzung angeboten. Aufgrund der dezentralen Staatstruktur der Bundesrepublik galt es dabei auch zu berücksichtigen, wie die Nachnutzung der EfA-Leistungen durch die Träger der mittelbaren Landesverwaltung gewährleistet werden kann. Als besondere vergaberechtliche Herausforderung wird in der Staatspraxis derzeit die Einbindung der Wirtschafts- und Berufskammern (wie etwa die Industrie- und Handelskammern) empfunden – unter etwas anderen Vorzeichnen stellen sich auch die rechtliche Gestaltung und zweckmäßige Organisation der EfA-Nachnutzung der ca. 10.000 Kommunen als Herausforderung dar (vgl. in diesem Zusammenhang Ahlers/Böhme, „Die kommunalfreundliche Auslegung des § 108 GWB“, KommJur 2023, 404 (Teil 1), 441 (Teil 2)).

Dieser Beitrag soll einen Überblick darüber geben, inwieweit die vergaberechtsfreie Nachnutzung durch die Kammern überhaupt ein vergaberechtliches Problem ist, und aufzeigen, welche Lösungsmöglichkeiten ggf. außerhalb und innerhalb des Vergaberechts bestehen.

I. Ausgangspunkt: Die Kammern aus staatsorganisationsrechtlicher und vergaberechtlicher Sicht – ein Widerspruch?

Die sogenannte Kammerproblematik hat nach meiner Einschätzung ihren Ursprung in der auf den ersten Blick widersprüchlich erscheindenden Stellung der Kammern in den Systemen des nationalen Staatsorganisationsrechts (einschließlich des Rechts der Verwaltungsdigitalisierung) einerseits (1.) und des unionsrechtlich geprägten (GWB-)Vergaberechts andererseits (2.).

1. Die Kammern als staatsorganisationsrechtliche Teile der Länder

Die Kammern sind staatsorganisationsrechtlich Teile der Länder und als solche unmittelbar Adressaten des OZG (a). Neben ihren originären Selbstverwaltungsaufgaben sind sie in einigen Ländern aufgrund entsprechender gesetzlicher Aufgabenübertragung durch das jeweilige Land daneben auch für die Wahrnehmung weiterer Aufgaben zuständig (b).

a) Die Kammern als Adressaten des OZG

Als staatsorganisationsrechtliche Teile der Länder sind die Kammern nach der in der Staatspraxis herrschenden Auffassung unmittelbare Adressaten des § 1 Abs. 1 OZG 2017. Dies will die Bundesregierung durch § 1 Abs. 1 Nr. 2 OZGÄndG-E (s. Art. 1 Ziff. 1 a des Kabinettsentwurfs der Bundesregierung zum OZGÄndG vom 23.05.2023, S. 4) ausdrücklich klarstellen. Danach umfasst der im Gesetz verwendete Begriff der „Länder“ sämtliche der Aufsicht des Landes unterstehenden juristischen Personen des öffentlichen Rechts. Ausweislich der Begründung des Kabinettsentwurfes will die Bundesregierung mit der Klarstellung des Anwendungsbereichs in der praktischen OZG-Umsetzung insbesondere hinsichtlich der mittelbaren Staatsverwaltung (ausdrücklich einschließlich der Kammern) bestehende Unsicherheiten beseitigen (s. Kabinettsentwurf, S. 37.). Der Bundesrat begrüßt in seiner Stellungnahme ausdrücklich die beabsichtigte Klarstellung (s. Ziff. 50 lit a des Beschlusses des Bundesrates zum OZGÄndG vom 07.07.2023, BR-Drs. 226/23; S. 49). Zugleich bittet er zu prüfen, ob im weiteren Gesetzgebungsverfahren eine Regelung aufgenommen werden kann, die sicherstellt, dass die Kammern EfA-Leistungen vergaberechtskonform beschaffen können (s. aaO Ziff. 50 lit c.).

b) Selbstverwaltungs- und Auftragsangelegenheiten der Kammern

Die Kammern haben zunächst ihre jeweiligen originären Selbstverwaltungsaufgaben. Sie können diese Aufgaben weisungsfrei wahrnehmen. Sie unterliegen insoweit lediglich der Rechtsaufsicht des jeweiligen Landes. Darüber hinaus nehmen einige Kammern in einigen Ländern auch Aufgaben wahr, die ihnen von den Ländern übertragen wurden. Sie unterliegen insoweit deren Fachaufsicht. Die sogenannte Kammerproblematik beschränkt sich daher nicht auf die Frage, ob (und ggf. über welchen Vertriebsweg) die Kammern diejenigen EfA-Leistungen vergaberechtsfrei nachnutzen können, die ihre originären Selbstverwaltungsaufgaben betreffen. Vielmehr umfasst sie auch die Frage der vergaberechtsfreien Nachnutzung solcher EfA-Leistungen, die einige Länder den Kammern zusätzlich übertragen haben, die aber in anderen Ländern vom Land oder den die Kommunen (im übertragenen Wirkungskreis) wahrgenommen werden. Aufgrund dieser uneinheitlichen Aufgabenzuweisung stellt sich die Kammerproblematik in den Ländern teilweise in unterschiedlicher Ausprägung.

2. Kammern (teilweise) keine öffentlichen Auftraggeber im Sinne des Vergaberechts

Aus der staatsorganisationsrechtlichen Stellung der Kammern folgt nicht ohne Weiteres ihre Stellung als öffentliche Auftraggeber im Sinne des Vergaberechts.

a) Kammern als öffentliche Auftraggeber im Sinne des GWB-Vergaberechts?

Anders als Bund, Länder und Kommunen sind Kammern nach der Rechtsprechung des EuGH und der nationalen vergaberechtlichen Nachprüfungsinstanzen jedenfalls teilweise keine öffentlichen Auftraggeber im Sinne des GWB-Vergaberechts (s. die Übersicht bei MüKoEuWettbR/Ganske GWB § 99 Rn. 114-120). Verneint hat der EuGH jedenfalls die Eigenschaft als öffentliche Auftraggeber im konkreten Fall der Ärztekammer Westfalen-Lippe (s. Urt. v. 12.9.2013, Rs C-526/11). Inwieweit die Anwendung der entwickelten Maßstäbe auch bei anderen Kammern zur Verneinung der Eigenschaft als öffentlicher Auftraggeber führt, hängt von ihrer gesetzlichen und satzungsmäßigen Ausgestaltung ab. Zwar sind sie als juristische Personen des öffentlichen Rechts gesetzlich dazu bestimmt, „im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nichtgewerblicher Art zu erfüllen“ (§ 99 Nr. 2 Hs. 1 GWB). Je nach gesetzlicher und satzungsrechtlicher Ausgestaltung fehlt die besondere Staatsverbundenheit (§ 99 Nr. 2 Hs. 1 a-c GWB).

b) Kammern als öffentliche Auftraggeber im Sinne des Unterschwellenvergaberechts?

Im Unterschwellenbereich hängt die gesetzliche Einordnung der Kammern als öffentliche Auftraggeber von den insoweit uneinheitlichen Regelungen in den Landesvergabegesetzen ab. Soweit die Länder hinsichtlich des persönlichen Anwendungsbereichs des Unterschwellenvergaberechts auf das GWB-Vergaberecht verweisen – wie z.B. Nordrhein-Westfalen durch § 1 Abs. 4 TVgNRW –, besteht insofern ein Gleichlauf zwischen Ober– und Unterschwellenvergaberecht. In einzelnen Ländern gelten im Unterschwellenbereich für den persönlichen Anwendungsbereich teilweise von § 99 Nr. 2 GWB abweichende Maßstäbe. So sind etwa in Hamburg nach § 2 Abs. 1 HmbVgG grundsätzlich alle juristischen Personen des öffentlichen Rechts an das Vergabegesetz gebunden (eine Ausnahme macht § 2 Abs. 3 HmbVgV für diejenigen juristischen Personen im Sinne des § 99 Nr. 2 GWB, die mindestens 80 % ihres Umsatzes im entwickelten Wettbewerb zu anderen Unternehmen stehen, soweit sie Aufträge in diesem Bereich vergeben). Eine besondere Staatsverbundenheit im Sinne des § 99 Nr. 2 a-c GWB ist nicht erforderlich.

c) Satzungsrechtliche Bindung der Kammern an das Vergaberecht

Jenseits der gesetzlichen Bindung an das Vergaberecht können sich die Kammern bei der Beschaffung auch freiwillig durch Satzung ganz oder teilweise an die für öffentliche Auftraggeber geltenden vergaberechtlichen Vorschriften binden.

II. Eingrenzung des vergaberechtlichen Problems und Lösungsbedarfs

1. Die drei Grundkonstellationen

Hinsichtlich der Vergaberechtsbindung der Kammern und deren Rechtsgrundlage lassen sich drei Grundkonstellationen unterscheiden. In der ersten Grundkonstellation sind die betreffenden Kammern weder öffentliche Auftraggeber im Sinne des § 99 Nr. 2 GWB noch durch das Vergabe- oder Haushaltsrecht der Länder oder aufgrund ihrer Satzung an das Vergaberecht gebunden. In der zweiten Grundkonstellation sind die betreffenden Kammern öffentliche Auftraggeber im Sinne des § 99 Nr. 2 GWB, bzw. der Landesvergabegesetze. In der dritten Grundkonstellation sind die betreffenden Kammern zwar keine öffentlichen Auftraggeber im Sinne der gesetzlichen Vorgaben, aber durch das Haushaltsrecht des Landes oder ihre eigenen Satzung an das Vergaberecht gebunden – So lautet etwa § 6 Ziff. 2 des Finanzstatuts der IHK Aachen: „Für alle Auftragsvergaben sind die vergaberechtlichen Vorschriften zu beachten. Die von der IHK zu erlassende Beschaffungsrichtlinie und das Beschaffungshandbuch finden Anwendung.“ Falls die IHK keine öffentliche Auftraggeberin im Sinne des § 99 Nr. 2 GWB und damit zugleich im Sinne des § 1 Abs. 4 TVgG NRW ist, dürfte § 6 Ziff. 2 des Finanzstatus wohl als freiwillige Selbstverpflichtung zu verstehen sein.

2. Der begrenzte Lösungsbedarf

In der ersten Grundkonstellation sind die Kammern in keiner Weise an das Vergaberecht gebunden. Die (kostenpflichtige) Nachnutzung von EfA-Leistungen ist für derartige Kammern vergaberechtlich unproblematisch. Insoweit besteht also kein vergaberechtlicher Lösungsbedarf. Die erste Frage zur Lösung der sogenannten Kammerproblematik muss daher lauten, inwieweit die Kammern überhaupt öffentliche Auftraggeber im Sinne des Vergaberechts oder in sonstiger Weise an das Vergaberecht gebunden sind (die Abgrenzung kann im Einzelfall schwierig sein. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Frage für die Beschaffung der Kammern, dürfte jede Kammer hierzu eine Position haben. Diese kann von den Ländern bei den Kammern erfragt und ggf. überprüfen werden).

In der zweiten Grundkonstellation sind die Kammern gesetzlich an die Einhaltung des Vergaberechts gebunden. Insofern stellt sich in der Tat die Frage, wie sich die Nachnutzung von EfA-Leistungen vergaberechtskonform gestalten werden kann.

In der dritten Grundkonstellation sind die Kammern zwar keine öffentlichen Auftraggeber im Sinne des § 99 Nr. 2 GWB bzw. des jeweiligen Landesvergabegesetzes, aber haushalts- oder satzungsrechtlich an die Einhaltung des Vergaberechts gebunden. Insofern stellt sich die Frage, inwieweit die Nachnutzung von EfA-Leistungen und die haushalts- und satzungsmäßigen Vorgaben in Einklang zu bringen sind.

Vergaberechtlicher Lösungsbedarf besteht daher nur insoweit, als die jeweilige Kammer überhaupt an das Vergaberecht gebunden ist – sei es kraft Gesetzes, weil sie öffentliche Auftraggeberin im Sinne des § 99 Nr. 2 GWB oder des Landesvergabegesetzes ist, sei es kraft Haushaltsrechts des Landes oder kraft eigener Satzung.

III. Gestaltung der vergaberechtsfreien Nachnutzung von EfA-Leistungen durch die Kammern

Für die Kammern, die öffentliche Auftraggeber kraft Gesetzes an das Vergaberecht gebundenen sind, kommen sowohl außerhalb (s. 1 a) als auch innerhalb des Vergaberechts (s. 1 b) Lösungsansätze für die Nachnutzung von EfA-Leistungen in Betracht. Für Kammern, die nur haushalts- oder satzungsrechtlich an das Vergaberecht gebundenen sind, besteht zudem die Möglichkeit, die haushalts- und satzungsrechtlichen Vorgaben entsprechend anzupassen (s. 2. a.).

1. Lösungsansätze für Kammern, die öffentliche Auftraggeber im Sinne des Vergaberechts sind

Für Kammern, die öffentliche Auftraggeber im Sinne des Vergaberechts sind, für die also der persönliche Anwendungsbereich des Vergaberechts eröffnet ist, kommen grundsätzlich zwei Lösungsansätze zur vergaberechtsfreien Gestaltung der EfA-Nachnutzung in Betracht. Zunächst kann das Nachnutzungsverhältnis rechtlich so gestaltet werden, dass der sachliche Anwendungsbereich des Vergaberechts schon nicht eröffnet ist (a). Ist der sachliche Anwendungsbereich eröffnet, müssen Spielräume für Direktvergaben innerhalb des Vergaberechts genutzt oder geschaffen werden (b).

a) EfA-Nachnutzung außerhalb des Vergaberechts

Der erste Lösungsansatz besteht darin, die EfA-Nachnutzung durch die Kammern im Verhältnis zum jeweiligen Auftragnehmer (z.B. dem aufsichtsführenden Land oder dem unmittelbaren Bereitsteller der EfA-Leistung) so zu gestalten, dass sie von vornherein nicht dem sachlichen Anwendungsbereich des Vergaberechts unterliegt.

aa) Vorgabe der verbindlichen Nutzung

Die erste Möglichkeit, die EfA-Nachnutzung außerhalb des Vergaberechts zu gestalten, besteht darin, die Nutzung der EfA-Leistung gesetzlich verbindlich vorzugeben. Diese Möglichkeit eröffnet § 4 Abs. 1 OZG, soweit die Kammern Bundesgesetze ausführen. Danach kann die Bundesregierung für die Ausführung von Bundesgesetzen im Benehmen mit dem IT-Planungsrat durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates die Verwendung bestimmter IT-Komponenten verbindlich vorgeben. Die verbindliche Vorgabe kann auch so ausgestaltet werden, dass der ausführenden Behörde freigestellt bleibt, parallel vergleichbarer IT-Komponenten zu nutzen. Im Falle einer verbindlichen Vorgabe unterliegt die Nachnutzung der verbindlich zu nutzenden EfA-Leistungen nicht dem sachlichen Anwendungsbereich des Vergaberechts. Es fehlt an der für die Vergabe erforderlichen Wahlmöglichkeit. Jedenfalls soweit der Bund von § 4 Abs. 1 OZG keinen Gebrauch macht und insbesondere soweit die Kammern Landesgesetze ausführen, dürfte die Gesetzgebungskompetenz für die verbindliche Vorgabe der entsprechenden EfA-Leistung bei den Ländern liegen.

bb) Unentgeltliche Überlassung/Bereitstellung

Der sachliche Anwendungsbereich des Vergaberechts ist auch dann eröffnet, wenn der Nachnutzungsvertrag zwischen der Kammer und der jeweils unmittelbar beauftragten Stelle unentgeltlich im Sinne der Rechtsprechung des EuGH ausgestaltet wird (dies ist eine Frage der Ausgestaltung des konkreten Vertrages. Für die Unentgeltlichkeit reicht es für sich genommen nicht aus, dass die Leistung kostenfrei erbracht wird, s. Ahlers, NZBau 2023, 147, 148 mwN.). Danach setzt die Entgeltlichkeit eines Vertrages zunächst voraus, dass der öffentliche Auftraggeber (z.B. die jeweilige Kammer) gegen eine Gegenleistung eine Leistung erhält, die für ihn in unmittelbarem wirtschaftlichem Interesse ist (EuGH, Urt. v. 28.05.2020 – Rs. C-796/18). Wenn das Land den Kammern die EfA-Leistung ohne Gegenleistung überlässt bzw. bereitstellt, ist der Vertrag ohne Weiteres unentgeltlich.  Selbst wenn der Nachnutzungsvertrag eine Gegenleistung der Kammern enthält, ist er nach der Rechtsprechung des EuGH nur dann entgeltlich, wenn Leistung und Gegenleistung synallagmatisch verknüpft sind. Der danach als eigenes Kriterium zu verstehende synallagmatische Charakter des Vertrages ist nur dann gegeben, wenn der Vertrag rechtlich zwingende Verpflichtungen für jede der Vertragsparteien enthält, deren Erfüllung einklagbar sein muss (EuGH, Urt. v. 10.09.2020 – Rs. C-367/19). Der synallagmatische Charakter und damit die Entgeltlichkeit des Vertrages ist demnach zu verneinen, wenn die Erbringung von Leistung und Gegenleistung für die Vertragspartner jeweils nicht einklagbar sind.

b. EfA-Nachnutzung innerhalb des Vergaberechts

Ohne gesetzlich verbindliche Nutzungsvorgabe ist der Anwendungsbereich des Vergaberechts bei entgeltlichen Nachnutzungsverträgen eröffnet. Es stellt sich dann die Frage, inwieweit sich die EfA-Nachnutzung innerhalb des Vergaberechts gerechtfertigt werden kann. Im Verhältnis zwischen der einzelnen Kammer und der unmittelbar beauftragten Stelle (z.B. dem jeweils aufsichtsführenden Land) dürfte sich der geschätzte Wert der einzelnen EfA-Nachnutzungsverträge dabei stets unterhalb der Schwellenwerte des GWB-Vergaberechts aus § 106 GWB liegen. Maßgeblich ist dann die Unterschwellenvergabeordnung („UVgO“) in Verbindung mit den landesrechtlichen Anwendungsbefehlen.

aa) Freihändige Vergabe (§ 8 Abs. 4 UVgO)

Zur vergaberechtlichen Rechtfertigung der in der EfA-Nachnutzung liegenden Direktvergabe kommen zunächst die Tatbestände des § 8 Abs. 4 UVgO in Betracht. Aktuell dürfte sich die Direktbeauftragung einer EfA-Leistung nur im Einzelfall auf einen der bestehenden Tatbestände stützen lassen. Unter Umständen könnte sie sich z.B. als vorteilhafte Gelegenheit im Sinne des § 8 Abs. 4 Nr. 14 UVgO erweisen.

bb) Öffentlich-öffentliche Zusammenarbeit (§ 108 GWB)

Theoretisch ist nach § 1 Abs. 2 UVgO i.V.m. § 108 GWB auch eine vergaberechtsfreie Nachnutzung von EfA-Leistungen im Rahmen einer öffentlich-öffentlichen Zusammenarbeit denkbar. In der Praxis dürften jedoch zumindest kurzfristig sowohl die Inhouse-Vergabe nach § 108 Abs. 4, 5 GWB als auch die öffentliche Kooperation nach § 108 Abs. 6 GWB ausscheiden. Die EfA-Nachnutzung innerhalb einer gemeinsam mit anderen öffentlichen Auftraggebern kontrollierten Inhouse-Gesellschaft scheitert derzeit wohl daran, dass den Kammern keine geeignete Inhouse-Gesellschaft offensteht. Perspektivisch ist die Einbeziehung der Kammern in Inhouse-Gesellschaften rechtlich gestaltbar – Vergaberechtlich zulässig ist dies jedenfalls für Kammern, die öffentliche Auftraggeber im Sinne des Vergaberechts sind. Für Kammern, die nur mangels besonderer Staatsverbundenheit im Sinne des § 99 Nr. 2 a-c GWB keine öffentlichen Auftraggeber sind, könnte man eine analoge Anwendung des § 108 GWB erwägen.

Die EfA-Nachnutzung im Rahmen einer öffentlichen Kooperation im Sinne des § 108 Abs. 6 GWB dürfte kurzfristig daran scheitern, dass die EfA-Leistungen durch Bund und die Länder jedenfalls bisher ohne den für eine öffentliche Kooperation erforderlichen kooperativen Mindestbeitrag der Kammern entwickelt wurden. Bei entsprechender Einbindung der Kammern in ein kooperatives Konzept dürften öffentliche Kooperationen zukünftig auch rechtlich gestaltbar sein.

cc) Anpassung der Landesvergabegesetze

Schließlich könnten die Länder ihre Vergabegesetze anpassen und z.B. in Ergänzung des Katalogs des § 8 Abs. 4 UVgO einen entsprechenden Tatbestand für die vergaberechtsfreie Nachnutzung von EfA-Leistungen aufnehmen. Dabei dürfte es sich anbieten, den Tatbestand nicht kammerspezifisch zu formulieren, sondern so auszugestalten, dass alle öffentliche Auftraggeber und damit insbesondere auch die Kommunen erfasst werden.

2. Lösungsansätze für Kammern, die nur haushalts- oder satzungsrechtlich an das Vergaberecht gebunden sind

Das Problem der EfA-Nachnutzung durch Kammern, die nur haushalts- oder satzungsrechtlich an das Vergaberecht gebunden sind, würde durch die unter Ziff. 1 genannten Lösungsansätze ebenfalls gelöst. Darüber hinaus könnten die Länder ihre haushaltsrechtlichen Vorgaben für die Kammern bzw. die Kammern ihre satzungsrechtlichen Vorgaben ggf. dahingehend anpassen, dass die Nachnutzung von EfA-Leistungen vergaberechtsfrei zulässig ist.

IV. Fazit

Die sogenannte Kammerproblematik wird teilweise (GWB-)vergaberechtlicher gekocht als gegessen.

Für einen nicht unerheblichen Teil der Kammern dürfte die Nachnutzung von EfA-Leistungen schon deshalb kein Problem der gesetzlichen Vorgaben des GWB-Vergaberechts sein, weil sie nach den Maßstäben der EuGH-Rechtsprechung keine öffentlichen Auftraggeber im Sinne des § 99 Nr. 2 GWB sind. Insoweit unterliegt der Nachnutzungsvertrag einer Kammer und der unmittelbar beauftragten Stelle (z.B. dem aufsichtsführenden Land) nicht dem Anwendungsbereich des GWB-Vergaberechts.

Soweit Kammern öffentliche Auftraggeber in diesem Sinne sind, dürfte die Nachnutzung von EfA-Leistungen im Verhältnis zwischen den einzelnen Kammern und der unmittelbar beauftragten Stelle (z.B. dem jeweiligen Land) aufgrund des Auftragswertes in den meisten Fällen dem Unterschwellenvergaberecht unterliegen. Wird die EfA-Nachnutzung in diesem Verhältnis als öffentlicher Auftrag ausgestaltet, könnten teilweise bereits die bestehenden Spielräume für Direktvergaben ausreichen. Im Übrigen könnten die Länder ohne Weiteres einen besonderen Ausnahmetatbestand für die Nachnutzung von EfA-Leistungen im Unterschwellenbereich schaffen (und z.B. den Katalog des § 8 Abs. 4 UVgO entsprechend ergänzen). Letzteres hätte bei entsprechender Ausgestaltung den erfreulichen Nebeneffekt, dass zugleich auch die vergaberechtsfreie Nachnutzung von EfA-Leistungen durch Kommunen im Unterschwellenbereich abgesichert würde.

Unabhängig davon könnte die Nachnutzung von EfA-Leistungen im Verhältnis der Kammern und der unmittelbar beauftragten Stelle auch außerhalb des Vergaberechts gestaltet werden. Entweder könnte die (Nach-)Nutzung der EfA-Leistung gesetzlich verbindlich vorgegeben oder unentgeltlich im Sinne der EuGH-Rechtsprechung ausgestaltet werden.

Das Vergaberecht bietet somit erhebliche rechtliche und rechtspolitische Gestaltungspielräume, um die politisch gewollte EfA-Nachnutzung durch die Kammern zu ermöglichen. Es ist in erster Linie Sache der Länder, unter Abwägung aller praktisch relevanten Gesichtspunkte zu entscheiden, welche Lösung für das jeweilige Land und seine Kammern politisch am zweckmäßigsten erscheint. Die Entscheidung kann – auch aufgrund der teilweise unterschiedlichen Gegebenheiten – in den Ländern durchaus unterschiedlich ausfallen.

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Über Moritz Ahlers

Moritz Ahlers, LL.B., ist bei der FITKO (Föderale IT-Kooperation AöR) als Jurist und ist daneben als selbstständiger Rechtsanwalt tätig. Die Ausführungen geben seine persönliche Rechtsauffassung wieder:

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