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Neue VOL/A, Teil 7: Vom „kostenlosen“ Vergabeverfahren

VOL-A eVergabe kostet Geld. Nicht per se, sie spart sogar erhebliche Prozesskosten. Nur fallen eVergabe-Plattformen auch nicht vom Himmel. Das Geschäftsmodell: Öffentliche Auftraggeber bekommen „die eVergabe“ relativ günstig, die Finanzierung erfolgt über Nutzungsentgelte der Bieter, die ohnehin keine andere Wahl haben. Die mehr und mehr in Bund, Ländern und Gemeinden umgreifende Pflicht zur elektronischen Angebotsabgabe tut ihr Übriges.

Damit soll nach Auffassung des BMWi Schluss sein. Die Wirtschaft soll nicht länger für die Teilhabe an öffentlichen Ausschreibungen zahlen müssen. Daher ordnet der neue § 6 Abs. 2 bzw. § 6 EG VOL/A 2009 an, “von den Bewerbern und Bietern dürfen Entgelte für die Durchführung der Vergabeverfahren nicht erhoben werden.” Die Regelung zielt ausdrücklich auf die eVergabe ab. Was wenig ernst genommen wurde, schlägt nun in die Praxis durch: In einer am 8. Mai veröffentlichen Ausschreibung (TED: 2010/S 90-135043) zur “Bereitstellung und Betrieb eines E-Vergabesystems einschließlich Ausschreibungsplattform für die Rundfunkanstalten der ARD einschließlich der GEZ” (nach EuGH öffentliche Auftraggeber) heißt es:

Es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Geschäftsmodelle, die vom Bewerber/ Bieter ein Entgelt für die Zusendung der Verdingungsunterlagen verlangen, nicht erwünscht sind.

Und jetzt?

Kostenregelungen in der VOL/A

Eine Kostenregelung für Bieter enthielt bislang § 20 Nr. 1 VOL/A 2006:

(1) Bei Öffentlicher Ausschreibung dürfen für die Verdingungsunterlagen die Vervielfältigungskosten gefordert werden. In der Bekanntmachung (§ 17) ist anzugeben, wie hoch sie sind. Sie werden nicht erstattet.

(2) Bei Beschränkter Ausschreibung und Freihändiger Vergabe sind die Unterlagen unentgeltlich abzugeben. Eine Entschädigung (Absatz 1 Satz 1) darf nur ausnahmsweise gefordert werden, wenn die Selbstkosten der Vervielfältigung unverhältnismäßig hoch sind.

Eine entsprechende Regelung gibt es auch in der neuen VOL/A 2009 in § 8 Abs. 2 [entsprechend in 9 Abs. 3 EG]:

Bei Öffentlicher Ausschreibung [Im offenen Verfahren] darf bei direkter oder postalischer Übermittlung für die Vervielfältigung der Vergabeunterlagen Kostenersatz gefordert werden. Die Höhe des Kostenersatzes ist in der Bekanntmachung anzugeben.

Die Neuregelung

Hintergrund der Regelungen:  Ohne eine solche Anspruchsgrundlage dürfen öffentliche Auftraggeber keine Entgelte im Rahmen des Vergabeverfahrens verlangen, auch nicht für  Kopierkosten. Nun wurden nach Auffassung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie den Bietern mit Hinweis auf die Kostenregelung des § 20 Nr. 1 Abs. 1 VOL/A 2006 aber auch die Kosten für die Nutzung kommerzieller eVergabe-Plattformen auferlegt. Sei es mittels Abonnements ihrer Recherchetools nach geeigneten Ausschreibungen oder als Einzelvergütung für das Herunterladen (kein Download, wir sind schließlich in Deutschland) der Verdingungsunterlagen. Das aber ist nach Auffassung des Ministeriums unzulässig, was der neu eingefügte § 6 Abs. 2 bzw. § 6 EG VOL/A 2009 klarstellen soll.

„Pro“ Kostenfreiheit

§ 20 Nr. 1 Abs. 1 VOL/A 2006 bezieht sich nach seinem Wortlaut nur auf eine Kostenerstattungspflicht der Bieter für Vervielfältigungen der Verdingungsunterlagen, sprich auf konventionelle Kopierkosten. Auf dessen Grundlage daher auch Entgelte für die eVergabe zu erheben, dürfte von der Norm nicht gedeckt sein.

Ein weiteres Argument findet sich in den europäischen Vergaberichtlinien. Dort heisst es in Erwägungsgrund Nr. 35 der EU-Richtline 2004/18 EG:

Angesichts der neuen Informations‑ und Kommunikationstechnologien und der Erleichterungen, die sie für die Bekanntmachung von Aufträgen und hinsichtlich der Effizienz und Transparenz der Vergabeverfahren mit sich bringen können, ist es angebracht, die elektronischen Mittel den klassischen Mitteln zur Kommunikation und zum Informationsaustausch gleichzusetzen.

Wenn also das papiergebundene Verfahren dem Bieter keine Kosten auferlegt, dann darf es das elektronische danach auch nicht. Interessant in diesem Zusammenhang: Die neue VOB/A geht genau in die umgekehrte Richtung, denn in § 8 Abs. 7 (bislang § 20 Nr. 1 Abs. 1) hat man die Begrenzung des Aufwendungsersatzes für die Vervielfältigung der Unterlagen auf die Höhe der Selbstkosten des Auftraggebers nun gestrichen.

„Contra“ Kostenfreiheit

Gegen eine „kostenlose“ eVergabe lässt ich widerrum mit dem Wortlaut des neuen § 6 Abs. 2 bzw. § 6 EV VOL/A 2009 argumentieren: Der spricht nämlich von „Bewerbern und Bietern”. Das heisst im Umkehrschluss, dass von Nicht-Bewerbern und Nicht-Bietern weiterhin Entgelte gefordert werden können. Übertragen auf den kompletten Prozess einer elektronisch abgewickelten Vergabe: Das Recherchieren nach geeigneten Ausschreibungen und der Bezug der Verdingungsunterlagen kann kostenpflichtig bleiben, da in diesem Stadium die beteiligten Unternehmen nur Interessenten sind. Erst wenn sie die Schwelle zum Bewerber im Rahmen eines Teilnahmeantrags bzw. zum Bieter nehmen, greift die Vorschrift. Im Klartext: Einzig einer kostenpflichtigen Abgabe eines Teilnahmeantrags bzw. Angebots stünde die neue Vorschrift entgegen.

Theorie…

Es ist zweifelhaft, ob das BMWi diese Differenzierung nach “Interessenten” einerseits und “Bewerbern bzw. Bietern” andererseits im Sinn hatte, da „echte“ eVergabe regelmäßig ein Komplettpaket aus Online-Recherche, elektronisch unterstützter Angebotserstellung und schließlich –Abgabe umfasst. Dabei gibt es Modelle, bei denen die Recherche kostenlos, das Herunterladen der Verdingungsunterlagen allerdings bepreist wird, genauso, wie den genau umgekehrten Fall. Am Ende würde wohl, wenn man ausdrücklich fordert, nur kein Entgelt für die letzte Prozessstufe erheben zu dürfen, bloß das Preisschild umgehangen und am Markt der gleiche Preis herauskommen wie zuvor.

Zudem: Wendete man die neue Reglung nur auf Bewerber und Bieter an, liefe sie praktisch leer, denn die meisten Kosten entstehen den Unternehmen im Vorfeld der Angebotsabgabe bzw. der Abgabe des Teilnahmeantrags. Es spricht also zumindest nach Sinn und Zweck der Norm einiges dafür, die Unentgeldlichkeit auch auf die Interessenten im Rahmen öffentliche Ausschreibungen zu erstrecken.

…und Praxis

Die eingangs genannte Ausschreibung der Rundfunkanstalten der ARD einschließlich der GEZ nach für die Bieter kostenlosen eVergabe-Systemen ist schon jetzt kein Einzelfall. Irgendwer muss aber am Ende des Tages die Installation, den Betrieb und die Wartung der eVergabe-Systeme bezahlen. Normadressat des neuen § 6 Abs. 2 bzw. § 6 EG VOL/A sind die öffentlichen Auftraggeber. Sollten sie die Vorschrift so verstehen, dass tatsächlich von Seite der Unternehmen keinerlei Entgelte für die eVergabe erhoben werden dürften, dann werden wohl die eVergabe-Systeme in der Anschaffung teurer. Nur: Wie realistisch ist eine Kostenübernahme durch die öffentlichen Auftraggeber? Diese haben in freudiger Erwartung der neuen VOL/A sicher schon entsprechende Rücklagen gebildet, um den Wegfall der Bieterentgelte kompensieren zu können. Interessant dürfte sein, wie die Kommunalen Spitzenverbände die Neuerung sehen.

Löungsvorschlag

Die neue Regelung des § 6 Abs. 2 bzw. § 6 EG VOL/A 2009 will die Auftragnehmer von “Entgelten” für die Vergabeverfahren freistellen – aber nicht von den “Kosten”. Denn Kosten fallen auch beim papiergebundenen Verfahren an, sei es durch den Bezug des gedruckten Publikationsmediums, interne Kosten für die Angebotserstellung und dafür nötige IT-Ausrüstung, schließlich Portokosten für die Übersendung des Angebots. Bei der eVergabe entstehen diese Kosten nur an anderer Stelle, der Bezug der Bekanntmachung und der Verdingungsunterlagen erfolgt elektronisch und die Angebotsabgabe wird softwaretechnisch unterstützt, gffs. fällt ein “Porto” für die Übermittlung des digitalen Angebots an. Dies alles sind keine Entgelte für die Durchführung der Vergabeverfahren. Ein solches hat bislang auch noch niemand erhoben und das wird wohl auch so bleiben. So, wie beim papiergebundenen Verfahren diese Prozesskosten bislang vom Bieter getragen wurden, sind sie auch jetzt – weiterhin – vom Bieter zu tragen. m.a.W.: Der Umstand, dass man vom konventionellen zum elektronischen Verfahren wechselt, ändert nichts an der Zuordnung der dabei und dafür entstehenden Prozesskosten.

Die Neuregelung ist daher vor allem geeignet, erhebliche Verunsicherung bei den öffentlichen Auftraggebern zu verursachen, wie das eingangs genannte Beispiel der Ausschreibung einer eVergabe-Lösung zeigt. Eine für die Bieter „kostenlose“ eVergabe verlangt sie nicht.

Gleichwohl: Die Intention des Ministeriums hinter der Neuregelung in § 6 Abs. 2 bzw. § 6 EG VOL/A 2009 ist an sich gut gemeint. Die eVergabe-Plattformbetreiber führen im Auftrag der öffentlichen Hand einen Teil des Vergabeverfahrens durch – trotzdem bleibt es über die gesamte Strecke der Einkaufsprozess der öffentlichen Auftraggeber. Es wäre daher nur recht und billig, wenn dieser auch in Gänze von den öffentlichen Auftraggebern finanziert würde, und nicht von den Bietern. Stellt man sich aber vor, diese Hürde hätte der schleppende Prozess der Einführung der eVergabe neben all seinen anderen Problemen in den letzen Jahren auch noch zu meistern gehabt, dann wäre eVergabe heute vermutlich vor allem eines: Ein weiteres Buzzword auf bunten Power-Point Folien zum eGovernment.

 

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Über Marco Junk

Der Jurist Marco Junk gründete im Jahr 2007 den Vergabeblog und 2010 gemeinsam mit Dipl.-Betriebsw. Martin Mündlein das Deutsche Vergabenetzwerk (DVNW). Er begann seine berufliche Laufbahn im Jahr 2004 als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer und war danach als Bereichsleiter Vergaberecht beim Digitalverband bitkom tätig. Im Jahr 2011 leitete er die Online-Redaktion des Verlags C.H. Beck. Von 2012 bis 10/2014 war er Mitglied der Geschäftsleitung des bitkom und danach bis 10/2021 Geschäftsführer des Bundesverbands Digitale Wirtschaft (BVDW) e.V. Seit 2022 ist Marco Junk als Leiter Regierungsbeziehungen für das IT-Dienstleistungsunternehmen Atos tätig. Seine Beiträge geben ausschließlich seine persönliche Meinung wieder.

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3 Kommentare

  1. Bernhard Zöller

    Bin gerade über diesen alten, für uns aber aktuellen und sehr informativen Artikel gestossen. Vielen Dank. Ist schon spitzfindig, dass man unterscheiden muss zwischen „kein Entgelt“ aber „Kostenbeteiligung“. Und wie die Kostenbeteiligung aussieht, bleibt den Plattformanbietern überlassen. Da findet man dann Portale mit einem Account Classic, wo man für jede erhaltene Ausschreibung 6 EUR zahlt. Das klingt gut. Es wird einem aber nicht mitgeteilt, dass man bereits beim Lesen der anklickbaren Kurztexte – um überhaupt beurteilen zu können, ob das Projekt relevant ist – die 6 EUR zahlt. Man klickt sich durch 30 Projekte in einer Trefferliste, die das Ergebnis einer Suchabfrage sind und zahlt 180 EUR um vielleicht herauszufinden, dass kein geeignetes Projekt dabei ist, weil die Titelzeilen komplett nichtssagend sind. Der Aufreisser „6 EUR pro erhaltener Ausschreibung“ ist m.M. nach hochgradig unseriös.

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  2. Wo. C. Laus

    Warum stehen Ausschreibungen nicht als Open Data zur Verfügung? Open Data Portale gibt es im jahr 2019 genügend und die Veröffentlichung der Ausschreibungunterlagen wäre kein aufwändiger Prozess. Die Rechercheplattformen könnten sich dann in den Open Data Portalen bedienen und gerne kostenpflichtigen Luxus bereit stellen.
    Dann wäre ein Wettbewerb zwischen kostenpflichtigen und kostenfreien Rechercheportalen nicht mehr weit.

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  3. Dieter Dülsner

    Im Zeitalter der Gleichstellung aller, halte ich es für fragwürdig wenn Komunen auf Portalen ausschreiben für die der Nutzer Geld zahlen muss.

    Ich finde den Vergabemarktplatz und Evergabe NRW sehr übersichtlich.

    Komumen geben Ausschreibungen auf der eigenen Internetseite teilweise bekannt, ist es dann erlaubt auf die kostenpflichtigen Portale zu verweisen?

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