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EuGH: Vergabe von Rettungsdienstleistungen im Konzessionsmodell ist als Dienstleistungskonzession zu qualifizieren (Urteil v. 10. März 2011 – Rs. C-274/09)

Richtlinie 2004/18/EG Art. 1 II lit. a) und d), IV

Paragraph Die Vergabe von Rettungsdienstleistungen im Rahmen des sog. Konzessionsmodells unterfällt nicht dem Anwendungsbereich des europäischen Vergaberechts. Das hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) mit Urteil vom 10. März 2011 (Rs. C-274/09) entschieden. Im Unterschied zum sog. Submissionsmodell erhalten die Leistungserbringer im Rahmen des Konzessionsmodells das Entgelt nicht unmittelbar vom Leistungsträger (dem Kreis oder der kreisfreien Stadt), sondern von den gesetzlichen Krankenkassen. Das Fehlen einer unmittelbaren Vergütung durch den öffentlichen Auftraggeber und die Übernahme eines – zumindest gewissen – Betriebsrisikos führt nach Ansicht des EuGH dazu, dass im Konzessionsmodell Dienstleistungskonzessionen (zum Begriff siehe hier) vergeben werden.
Die Übertragung des öffentlichen Rettungsdienstes nach dem Submissionsmodell (hier erhält der Leistungserbringer sein Entgelt unmittelbar vom Leistungsträger) stellt sich demgegenüber als öffentlicher Dienstleistungsauftrag dar, wie der EuGH bereits mit Urteil vom 29. April 2010 (Rs. C-160/08) festgestellt hatte (siehe zu dieser Entscheidung den Beitrag des Autors hier).

Gegenstand der Entscheidung

In seiner Entscheidung hatte der EuGH im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens gemäß Art. 234 EG (nunmehr: Art. 267 AEUV) über Vorlagefragen des OLG München zu befinden. Das OLG München hatte dem EuGH mit Beschluss vom 2. Juli 2009 (Az.: Verg 5/09) folgende Fragen vorgelegt:

„1. Ist ein Vertrag über Dienstleistungen (hier: Rettungsdienstleistungen), nach dessen Inhalt eine unmittelbare Entgeltzahlung des öffentlichen Auftraggebers an den Auftragnehmer nicht erfolgt […] allein aus diesem Grund als Dienstleistungskonzession […] – in Abgrenzung zum Dienstleistungsauftrag […] – anzusehen?“

2. Falls die erste Vorlagefrage mit nein zu beantworten ist, liegt eine Dienstleistungskonzession dann vor, wenn das mit der öffentlichen Dienstleistung verbundene Betriebsrisiko eingeschränkt ist […], der Auftragnehmer aber dieses eingeschränkte Risiko vollständig übernimmt?“

Verträge über die Versorgung der Bevölkerung mit Rettungsdienstleistungen werden in Bayern zwischen Leistungserbringer und öffentlichem Auftraggeber im Konzessionsmodell geschlossen. Die Leistungserbringer vereinbaren die Höhe der für die Rettungsdienstleistungen vorgesehenen Benutzungsentgelte mit den Trägern der Sozialversicherung. Die Benutzungsentgelte werden vorab anhand der nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen ansatzfähigen Kosten berechnet. Ihr Entgelt erhalten die Leistungserbringer von einer Zentralen Abrechnungsstelle, deren Leistungen sie sich zwingend bedienen müssen. Die Vergütung erfolgt dabei unabhängig von den tatsächlich gefahrenen Einsätzen in Form von im Voraus berechneten wöchentlichen oder monatlichen Abschlagszahlungen auf ein vorher errechnetes Gesamtentgelt pro Jahr. Sofern sich am Jahresende eine Unterdeckung herausstellt, wird diese Gegenstand der darauf folgenden Entgeltvereinbarung.

In dem vom OLG München zu entscheidenden Fall hatte der Zweckverband Passau Rettungsdienstleistungen im Rahmen eines Auswahlverfahrens nach dem Bayerischen Rettungsdienstgesetz vergeben, ohne ein förmliches europaweites Vergabeverfahren durchzuführen. Ein privater Anbieter von Rettungsdienstleistungen stellte bei der Vergabekammer einen Nachprüfungsantrag, den diese als unzulässig verwarf, weil es sich insoweit um die Vergabe einer Dienstleistungskonzession handele. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde nahm der Vergabesenat des OLG München zum Anlass, dem EuGH die entscheidenden Fragen vorzulegen.

Auffassung des OLG München

Das OLG München hatte in seinem Vorlagebeschluss inhaltlich zu einem öffentlichen Dienstleistungsauftrag tendiert. Darin war es zum einen der Überzeugung, dass das Fehlen einer unmittelbaren Vergütung durch den Auftraggeber der Annahme eines Dienstleistungsauftrags grundsätzlich nicht entgegensteht (der Senat verweist insoweit auch auf das Urteil des EuGH vom 18.07.2010, Rs. C-382/05). Zudem liege die Besonderheit vor, dass das Benutzungsentgelt zwar mit den Sozialversicherungsträgern ausgehandelt werde, diese aber ihrerseits öffentliche Auftraggeber sind. Zum anderen hätten die Leistungserbringer kein echtes wirtschaftliches Risiko zu tragen, weil für den vertraglich festgelegten Leistungsbereich Exklusivität zugesichert sei.

Inhalt der Entscheidung

Ausgangspunkt ist für den Gerichtshof der Vergleich der Definitionen des öffentlichen Dienstleistungsauftrags und der Dienstleistungskonzession. Der Dienstleistungsauftrag umfasst eine Gegenleistung, die – auch wenn sie nicht die einzige Gegenleistung darstellt – vom öffentlichen Auftraggeber unmittelbar an den Dienstleistungserbringer gezahlt wird (vgl. EuGH, Urteil vom 13.10.2005, Rs. C-458/03, „Parking Brixen“). Im Falle einer Dienstleistungskonzession besteht die Gegenleistung für die Erbringung der Dienstleistungen in dem Recht zur Nutzung dieser Dienstleistung, sei es ohne oder zuzüglich der Zahlung eines Preises (vgl. EuGH, Urteil vom 10.09.2009, Rs. C-206/08, „Eurawasser“). Im Hinblick auf die Form der Vergütung im Konzessionsmodell stellt der EuGH fest, dass eine unmittelbare Entgeltzahlung des öffentlichen Auftraggebers (Leistungsträger) an den Auftragnehmer (Leistungserbringer) nicht erfolgt, sondern der Auftragnehmer das Recht erhält, Entgelte von Dritten zu erheben. Dabei sei es unerheblich, dass die Höhe der Benutzungsentgelte mit den Sozialversicherungsträgern festgelegt wird, die ihrerseits öffentliche Auftraggeber sind. Entscheidend sei, dass die Entgelte von Personen stammen, die von dem öffentlicher Auftraggeber verschieden sind.

Die Art der Vergütung hält der EuGH jedoch nur für ein notwendiges Kriterium zur Einordnung als Dienstleistungskonzession. Hinreichendes Kriterium sei, dass der Konzessionär bei einer Dienstleistungskonzession das Betriebsrisiko der fraglichen Dienstleistung übernehmen müsse. Im Folgenden begründet der Gerichtshof das Vorliegen eines Betriebsrisikos für die Leistungserbringer präziser, als der Generalanwalt dies in seinen Schlussanträgen vom 9. September 2010 getan hatte (siehe hierzu den Beitrag von Herrn Dr. Ortner vom 23.10.2010 sowie den Beitrag des Autors vom 17.10.2010).

Der EuGH stellt zunächst fest, dass die nach dem Konzessionsmodell ausgewählten Leistungserbringer einem nur eingeschränkten Betriebsrisiko ausgesetzt sind, weil regelmäßige Abschlagszahlungen geleistet werden und in dem beauftragten Bereich kein echter Wettbewerb stattfindet. Für die Einordnung als Dienstleistungskonzession sei jedoch entscheidend, dass der Auftraggeber das volle von ihm getragene Risiko oder zumindest einen wesentlichen Teil davon auf den Konzessionär überträgt. Da im Rahmen des Konzessionsmodells das Betriebsrisiko vollständig auf den Konzessionär übergeht, genüge das hierin liegende „erheblich eingeschränkte“ Betriebsrisiko für die Annahme einer Dienstleistungskonzession. Der EuGH führt insoweit wörtlich aus:

„Es ist nämlich üblich, dass für bestimmte Tätigkeitsbereiche, insbesondere Bereiche, die wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehende die öffentliche Daseinsvorsorge betreffen, Regelungen gelten, die eine Begrenzung der wirtschaftlichen Risiken bewirken können. […] In diesen Bereichen haben die öffentlichen Auftraggeber keinen Einfluss auf die öffentlich-rechtliche Ausgestaltung der Dienstleistung und damit auf die Größe des zu übertragenden Risikos und außerdem wäre es nicht sachgerecht, von einer Behörde, die eine Konzession vergibt, zu verlangen, dass sie für einen schärferen Wettbewerb und ein höheres wirtschaftliches Risiko sorgt, als sie in dem betreffenden Bereich aufgrund der für ihn geltenden Regelung existieren.“

Das für die Leistungserbringer bestehende wirtschaftliche Risiko besteht für den EuGH insbesondere darin, dass die Sozialversicherungsträger in den Verhandlungen mit den Leistungserbringern auf niedrige Benutzungsentgelte hinwirken müssen, so dass die Gefahr besteht, dass diese Entgelte nicht die gesamten Betriebsausgaben decken. Außerdem beinhalte auch die Möglichkeit, einen entstehenden Verlust zum Gegenstand der nächsten Verhandlungen zu machen, keine Garantie für einen vollständigen Ausgleich, weil die Sozialversicherungsträger hierzu nicht verpflichtet seien.

Wettbewerbliches Verfahren erforderlich

Auch die Vergabe einer Dienstleistungskonzession erfolgt jedoch nicht losgelöst von europa- und vergaberechtlichen Bindungen. Dies gilt zumindest dann, wenn an dem betreffenden Vertrag ein grenzüberschreitendes Interesse besteht. Der EuGH verlangt insoweit, dass die Grundregeln des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) im Allgemeinen, die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit (Art. 49 AEUV und 56 AEUV) und das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit im Besonderen zu beachten sind und dass die Nachprüfung ermöglicht wird, ob die Vergabeverfahren unparteiisch durchgeführt wurden. Daraus folgt, dass – wenngleich eine förmliche Ausschreibung nicht notwendig ist – auch die Vergabe von Rettungsdienstleistungen im Konzessionsmodell in der Regel im Wege eines wettbewerblichen und diskriminierungsfreien Verfahrens erfolgen sollte.

Fazit und Praxishinweise

Die Entscheidung des EuGH stellt klar, dass in den Bundesländern, in denen das Konzessionsmodell gesetzlich vorgesehen ist (Baden-Württemberg, Bayern, Hamburg, Hessen und Rheinland-Pfalz) die Beauftragung von Rettungsdienstleistungen nicht dem europäischen Vergaberecht unterfällt. Da jedoch auch hier die Grundregeln des AEUV zu beachten sind, sollte bei der Beauftragung einer Dienstleistungskonzession wenigstens ein wettbewerbliches Verfahren durchgeführt werden.

Ganz gleich, ob die betroffenen Leistungsträger (Landkreise, kreisfreie Städte) dem Submissionsmodell oder dem Konzessionsmodell unterliegen, erscheint derzeit eine „Flucht in die Kommunalisierung“ nicht angeraten. Beispielsweise zeigen Untersuchungen in Niedersachsen, dass die Leistungserbringung in kommunaler Regie deutlich teurer kommt als die Beauftragung von Hilfsorganisationen. Eine Kommunalisierung dürfte daher nur ausnahmsweise sinnvoll sein. Um Kosten zu sparen und eine unnötige Aufblähung der Verwaltung zu vermeiden, sollte regelmäßig eine „intelligente Ausschreibung“ durchgeführt werden. Abzuwarten bleibt auch die weitere Rechtsentwicklung auf europäischer Ebene. Die Europäische Kommission hat in ihrer Mitteilung vom 27. Oktober 2010 (Single-Market-Act, KOM(2010) 608) erklärt, dass sie 2011 eine Gesetzesinitiative zur Vergabe von Dienstleistungskonzessionen auf den Weg bringen wird.

Volltext der Entscheidung hier.

Der Autor Dr. Martin Ott ist Rechtsanwalt der Sozietät Menold Bezler Rechtsanwälte, Stuttgart. Dort berät und vertritt er insbesondere öffentliche Auftraggeber, aber auch Unternehmen, in allen Fragen des Vergaberechts, ein Schwerpunkt liegt hierbei im Dienstleistungsbereich. Mehr Informationen finden Sie in unserem Autorenverzeichnis.

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Über Dr. Martin Ott

Der Autor Dr. Martin Ott ist Rechtsanwalt und Partner der Sozietät Menold Bezler Rechtsanwälte, Stuttgart. Herr Dr. Ott berät und vertritt bundesweit in erster Linie öffentliche Auftraggeber umfassend bei der Konzeption und Abwicklung von Beschaffungsvorhaben. Auf der Basis weit gefächerter Branchenkenntnis liegt ein zentraler Schwerpunkt in der Gestaltung effizienter und flexibler Vergabeverfahren. Daneben vertritt Herr Dr. Ott die Interessen der öffentlichen Hand in Nachprüfungsverfahren. Er unterrichtet das Vergaberecht an der DHBW und der VWA in Stuttgart, tritt als Referent in Seminaren auf und ist Autor zahlreicher Fachveröffentlichen. Er ist einer der Vorsitzenden der Regionalgruppe Stuttgart des Deutschen Vergabenetzwerks (DVNW).

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