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VK Bund: Ohne Lesebestätigung kein Zugangsnachweis bei E-Mails? (VK Bund, Beschluss v. 03.02.2014 – VK 2-1/14)

ParagraphViele Auftraggeber stehen der vollständig elektronischen Vergabe noch mit Vorbehalten gegenüber. Dennoch nutzen sie gern den oft schnelleren und einfacheren elektronischen Weg, um Vergabeunterlagen oder Bieterauskünfte  zu versenden. Ähnlich wie bei der Übermittlung per Fax stellt sich dabei natürlich die Frage, wer im Zweifel den Zugang beweisen muss und welche Anforderungen gelten. Aufschlussreich ist hier eine aktuelle Entscheidung der VK Bund (VK Bund, Beschluss vom 03.02.2014 , AZ.: VK 2-1/14)

§ 110 Abs. 1 GWB, § 13 Abs. 1 Nr. 5 Satz 1 EG VOB/A, § 16 Abs. 1 Nr. 1 b EG VOB/A

Leitsätze

  1. Eine E-Mail geht dann dem Empfänger zu, wenn sie abrufbereit in seinem eigenen elektronischen Postfach bzw. im Postfach seines Providers eingegangen ist.
  2. Den Nachteil der Nichterweislichkeit des Zugangs einer E-Mail hat der beweisbelastete Verfahrensbeteiligte zu tragen. Das vergaberechtliche Nachprüfungsverfahren kennt zwar im Grundsatz keine prozessuale Darlegungs- und Beweislast, weil dies nicht mit dem Untersuchungsgrundsatz des § 110 Abs. 1 GWB zu vereinbaren ist. Die materielle Beweislast kommt jedoch dann zum Tragen, wenn die Aufklärungsbemühungen der Vergabekammer mit keiner zureichenden Gewissheit zu tragfähigen Festlegungen gelangt.
  3. Bei Übermittlungen per E-Mail besteht die Gefahr, dass eine E-Mail-Nachricht den Empfänger wegen einer technischen Störung bei der Übermittlung nicht erreicht. Um sicherzustellen, dass sie den Adressaten erreicht hat, trifft den Versender die Obliegenheit, über die Optionsverwaltung seines E-Mail-Programms die Möglichkeit zu nutzen, eine Lesebestätigung vom Empfänger anzufordern.

Sachverhalt

Ein Auftraggeber ging zunächst klassisch vor und versendete alle Unterlagen, einschließlich der Leistungsbeschreibung auf CD-Rom per Post. Er gab dabei keine eigene E-Mailadresse an, sondern nur die postalische Anschrift,  Telefonnummer und Faxadresse der Vergabestelle. Ergänzende Auskünfte auf Bieterfragen versendete er als Nachversand dann aber doch per E-Mail und zwar ausschließlich an E-Mailadressen, welche er selbst aus den Briefköpfen der interessierten Unternehmen zusammengestellt hatte. Auf Eingangsbestätigungen verzichtete er dabei, auch nutzte er nicht die Lesebestätigungsfunktion seines E-Mailprogramms oder versicherte sich durch telefonische Rückfrage über den erfolgreichen Zugang. Von den insgesamt drei Nachsendungen per E-Mail war die zweite  in diesem Fall entscheidend: sie enthielt u.a. ein überarbeitetes Leistungsverzeichnis, welches die Bieter ihrem Angebot zwingend zugrunde legen sollten.

Beim dritten und letzten Nachversand erhielt der Auftraggeber eine Fehlermeldung. Daraufhin versendete er diesen erneut an das betroffene Unternehmen, verwendete diesmal aber eine andere  E-Mailadresse als bei den ersten beiden Sendungen. Die nun verwendete Adresse hatte das Unternehmen schon zuvor angegeben, als es um Übersendung einer GAEB-Datei gebeten hatte. Dieser erneute, dritte Nachversand verlief erfolgreich. Er enthielt zwar nicht noch einmal das überarbeitete Leistungsverzeichnis, nahm aber ausdrücklich Bezug auf die vorigen Nachversande und auszutauschende Unterlagen, zudem enthielt er eine Auskunft auf eine Bieterfrage zu einer Leistungsposition, die es in dem bisherigen Leistungsverzeichnis noch nicht gegeben hatte.  Zu den vorigen Nachversanden 1 und 2 stellte der Bieter keine weiteren Fragen, vielmehr erstellte er sein Angebot auf Basis des ursprünglichen Leistungsverzeichnisses. Obwohl er  mit seinem Hauptangebot nach dem Submissionsergebnis preislich auf Rang 1 lag und der Preis mit 90% gewichtet war, wurde ein anderes Angebot als das wirtschaftlichste ausgewählt. Der Rüge dieses Bieters half der Auftraggeber nicht ab und verwies in einer korrigierten Vorabinformation nach § 101 a GWB darauf, dass sein Angebot auszuschließen sei, weil es nicht auf Basis des zwingend vorgegebenen, aktualisierten Leistungsverzeichnisses erstellt sei.

Die Entscheidung

Zu Unrecht! Die Vergabekammer verneinte den Ausschlussgrund. Sie verpflichtete den Auftraggeber, bei fortbestehender Beschaffungsabsicht die Angebotsphase nach Übersendung aller Unterlagen an die Bieter – zu wiederholen.

Deutsches VergabenetzwerkRechtliche Würdigung

Beweislast des Zugangs liegt beim Auftraggeber!

Die Vergabekammer sah es nämlich als nicht erwiesen an, dass der Bieter das überarbeitete Leistungsverzeichnis überhaupt erhalten hatte. Eine E-Mail gehe dem Empfänger erst dann zu, wenn sie abrufbereit in seinem eigenen elektronischen Postfach bzw. im Postfach seines Providers eingegangen sei. Dies musste der Auftraggeber, der sich vorliegend auf den Ausschlusstatbestand der Abweichung berief, beweisen. Da bei dem Provider des Bieters keine Logfiles bezüglich der eingegangenen E-Mails gespeichert waren und diese beim Auftraggeber aufgrund der automatischen Löschung nach vier Wochen nicht mehr vorhanden waren, war dieser Beweis mangels anderer Erkenntnisquellen nicht möglich.

Obliegenheit zur Sendungsüberprüfung

Zur weiteren Untermauerung dieses Ergebnisses berief sich die Vergabekammer auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Oberlandesgerichts Düsseldorf zu den Anforderungen der Kommunikation zwischen Mandant und Rechtsanwalt und die Frage des Verschuldens für nicht gewahrte Fristen bei der Einlegung von Rechtsmitteln. Demnach treffe den Versender

die Obliegenheit, über die Optionsverwaltung seines E-Mail-Programms die Möglichkeit zu nutzen, eine Lesebestätigung vom Empfänger anzufordern (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 4. Oktober 2002, 23 U 92/02 und Bundesgerichtshof, Beschluss vom 17. Juli 2013, I ZR 64/13).

Darüber hinaus habe der Auftraggeber aber sich auch keine schriftliche Bestätigung des Eingangs der E-Mail von den Bietern zurückschicken lassen oder die erfolgreiche Übermittlung der E-Mail zumindest telefonisch abgeklärt.

Gesteigerte Anforderungen an die Zugangsüberprüfung  bei analog begonnenen Verfahren

Auch sei die Überprüfung vorliegend besonders erforderlich gewesen, da für Bieter die Nutzung elektronischer Kommunikationsmittel mangels Angabe einer eigenen E-Mailadresse in den Vergabeunterlagen nicht zu erwarten gewesen war und der Auftraggeber sich die entsprechenden E-Mailadressen selbst zusammengestellt hatte. Dass er dabei die eigens durch den betroffenen Bieter angegebene E-Mailadresse gerade nicht verwendet hatte, trat hier erschwerend dazu.

Keine Zugangsfiktion mangels Nachfrage 

Dass der Bieter seinerseits keine weitere Aufklärung betrieben hatte, obwohl die dritte Nachsendung erkennbar auf vorhergehende Nachsendungen Bezug nahm, ordnete die Vergabekammer in dem entschiedenen Fall nicht als ein mutwilliges Sich-Verschließen ein, welches (als Zugangsvereitelung) den Zugang dieser vorigen Nachsendungen fingiert hätte. Sie argumentierte, dass die dritte Nachsendung dem hier strittigen zweiten Nachversand zeitlich nachfolgte und schon deswegen nicht seinen Zugang verhindern konnte. Überdies seien die Verweise und Bezugnahmen in der dritten Nachsendung nicht zwingend so auszulegen, dass es bereits weitere Nachsendungen mit separater Nachricht gegeben habe.

Deutsches Vergabenetzwerk

Praxistipp

Festzuhalten ist: der Versand per E-Mail beinhaltet immer ein gewisses Übermittlungsrisiko. Auftraggeber, die keinerlei Maßnahmen treffen, um den erfolgreichen Zugang sicherzustellen, können später ein Beweisproblem haben, wenn sie sich auf den Inhalt so versendeter Unterlagen berufen wollen. Ob die Lesebestätigungsfunktion dies allerdings in jedem Fall zuverlässig verhindert, ist zu bezweifeln, da der Empfänger diese Funktion auch nicht zulassen kann. Es dürfte daher nach wie vor empfehlenswert sein, bei vertretbarem Aufwand im Einzelfall (ggf. ergänzend) eine Empfangsbestätigung zu fordern.

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Über Dr. Valeska Pfarr, MLE

Die Autorin Dr. Valeska Pfarr, MLE, ist Rechtsanwältin bei Menold Bezler Rechtsanwälte, Stuttgart. Sie ist auf das Vergaberecht spezialisiert, ein Schwerpunkt liegt hierbei auf der Beratung der öffentlichen Hand.

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