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Zur Feststellbarkeit eines Marktpreises bei einem Nachfragemonopol der öffentlichen Hand (BVerwG, Urt. v 13.04.2016 – 8 C 2.15)

Entscheidung

Welche Voraussetzungen müssen vorliegen, damit ein Marktpreis i.S.d. Preisrechts (§ 4 VO PR Nr. 30/53) entstehen kann? Ist dieser auch feststellbar, wenn ein Alleinstellungsmerkmal vorliegt bzw. die Leistung nur von der öffentlichen Hand nachgefragt wird? Die ausführliche Urteilsbegründung für diesen Sachverhalt liegt jetzt seit einigen Tagen vor.

Leitsatz

  1. Sofern kein besonderer Markt durch Ausschreibung geschaffen wurde, sind Leistungen im preisrechtlichen Sinne „marktgängig“, wenn sie auf einem bestimmten (allgemeinen) Markt bei tatsächlich wettbewerblicher Preisbildung wiederholt umgesetzt werden.
  2. Bei unvollkommenen Märkten, auf denen für gleiche Leistungen verschiedene Preise gezahlt werden, ist als preisrechtlich höchstzulässiger „verkehrsüblicher Preis“ einer marktgängigen Leistung der „betriebssubjektive Marktpreis“ anzusehen.
  3. „Betriebssubjektiver Marktpreis“ ist der Preis, den derselbe Anbieter für gleiche marktgängige Leistungen wiederholt bei tatsächlich funktionierendem Wettbewerb auf dem Markt durchsetzen konnte. Besteht ein Nachfragemonopol der öffentlichen Hand, genügt die wettbewerbliche Durchsetzung des Preises gegenüber dem einen öffentlichen Auftraggeber.

Sachverhalt

Das klagende IT-Unternehmen erhielt mehrere Aufträge zur IT-Betreuung von Bundeswehrprojekten. Vertraglich waren jeweils Selbstkostenerstattungspreise im Sinne des § 7 der Verordnung PR Nr. 30/53 über die Preise bei öffentlichen Aufträgen vom 21. November 1953 (VO PR Nr. 30/53) vereinbart. Für auftragsbezogene Personalleistungen wurden die in den damaligen Preislisten vorgesehenen Stundensätze als Verrechnungspreise angesetzt. Wegen einem vom Auftraggeber gesehenen Alleinstellungsmerkmal wurden sämtliche Aufträge ohne Ausschreibung vergeben, wobei der Auftragnehmer als einziges Unternehmen aufgefordert wurde, ein Angebot abzugeben.

Die Preisüberwachungsbehörde der Regierung von Oberbayern ordnete unter Zwangsgeldandrohung eine Preisprüfung auf Selbstkostenbasis an, bei der im Rahmen einer sog. Grundsatzprüfung auch die Stundensätze und Gemeinkosten überprüft werden sollten, da ein Marktpreis mangels Wettbewerb nicht feststellbar sei. Dagegen wehrte sich das Unternehmen mit einer Klage vor dem Verwaltungsgericht München, das jedoch auch keine marktgängige Leistung feststellte. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (vgl. Beitrag des Autors, Vergabeblog.de vom 18/03/2015, Nr. 21881) sah in seinem Berufungsurteil ebenfalls weder Marktpreise noch betriebssubjektive Marktpreise.

Die Entscheidung

Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat entschieden, dass ein Marktpreis auch bei einem Nachfragemonopol der öffentlichen Hand festzustellen sein kann, sofern die geforderte Leistung marktgängig ist und der Anbieter den Preis dafür im Wettbewerb mit anderen Anbietern gegenüber dem öffentlichen Auftraggeber durchgesetzt hat. Das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 6. November 2014 wurde damit aufgehoben, die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.

Bestätigt hat das BVerwG die Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs, dass es sich bei dem verkehrsüblichen Preis um eine „selbständige, nicht schon aus dem Vorliegen der Marktgängigkeit folgende Tatbestandsvoraussetzung“ handelt und dass „bei unvollkommenen Märkten nur ein betriebssubjektiver Marktpreis in Betracht kommt“.

Verkehrsüblichkeit setze voraus, dass der ermittelte Preis als solcher und tatsächlich wiederholt auf dem Markt gezahlt wird. Zur weiteren Klarstellung auch der folgende Urteilsauszug:

„Bei unvollkommenen Märkten, auf denen für die geforderte Leistung verschiedene Preise gezahlt werden, ist nicht jeder innerhalb der vorgefundenen Bandbreite liegende Preis als verkehrsüblicher Preis im Sinne des § 4 Abs. 1 VO PR Nr. 30/53 anzusehen. Das Tatbestandsmerkmal des verkehrsüblichen Preises bezeichnet keine Spannbreite, sondern einen bestimmten Preis für die geforderte Leistung, der als Obergrenze zulässiger Preisvereinbarung definiert wird.“

Allerdings gelangt das BVerwG zu der Überzeugung, dass die Voraussetzungen des betriebssubjektiven Marktpreises im Berufungsurteil zu eng gefasst wurden, da angenommen wurde, dass der Auftragnehmer den „geforderten Preis stets auch in Geschäften mit Dritten durchgesetzt haben“ muss.

Dazu der folgende Urteilsauszug:

„Das angegriffene Urteil geht jedoch zu Unrecht davon aus, ein betriebssubjektiver Marktpreis sei nur festzustellen, wenn der Anbieter seinen Preis für die geforderte Leistung gegenüber verschiedenen Nachfragern auf dem Markt durchgesetzt hat. Damit wird die Definition des Marktpreises für unvollkommene Märkte in einer Weise verengt, die nicht mit § 4 Abs. 1 VO PR Nr. 30/53 zu vereinbaren ist. Für das Vorliegen eines betriebssubjektiven Marktpreises ist erforderlich, aber auch ausreichend, dass der Anbieter seinen Preis für die gleiche marktgängige Leistung wiederholt unter Wettbewerbsbedingungen auf dem Markt durchgesetzt hat.“

Ein vorhandenes Nachfragemonopol sei dabei – anders als ein Angebotsmonopol – unschädlich:

„Treten mehrere Nachfrager auf dem Markt auf, mag dies durch Umsätze mit verschiedenen Auftraggebern geschehen. Besteht ein Nachfragemonopol der öffentlichen Hand, genügt die wettbewerbliche Durchsetzung des Preises gegenüber dem (einzigen) öffentlichen Auftraggeber … Das Berufungsurteil hätte deshalb die Feststellbarkeit eines betriebssubjektiven Marktpreises nicht schon verneinen dürfen, weil die Klägerin die von ihr vereinbarten Stundensätze für militärfachliche IT-Dienstleistungen nicht in Geschäften mit Dritten durchgesetzt hat.“

Eine wettbewerbliche Durchsetzung der verlangten Stundensätze könne sich im konkreten Sachverhalt – entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts – auch daraus ergeben, dass diese Preise im Vergleichszeitraum auch bei anderen leistungsgleichen Beauftragungen durch die Bundeswehr im Rahmen eines funktionierenden Wettbewerbs mit anderen Anbietern erzielt wurden. Dabei kämen solche Aufträge in Betracht, die im Vergleichszeitraum zumindest gleichartige Leistungen und vergleichbare Auftragsvolumen zum Gegenstand haben und nicht mit dem zu prüfenden Auftrag im sachlichen Zusammenhang stehen.

Zurückverweisung an Verwaltungsgerichtshof

Zur abschließenden Beurteilung der Marktgängigkeit sei nun zu prüfen, ob im Zeitpunkt der jeweiligen Preisvereinbarung ein funktionierender allgemeiner Markt bestand – also ob gleiche Leistungen auch von anderen Anbietern umgesetzt oder zumindest dem Nachfrager im Wettbewerb mit der Klägerin angeboten wurden. Ferner müsse geklärt werden, ob die Klägerin über ein Alleinstellungsmerkmal verfügte und ob ein verkehrsüblicher Preis als betriebssubjektiver Marktpreis für diese oder eine vergleichbare Leistung bestand. Nur wenn dies zu verneinen sei, sei die Vereinbarung eines Selbstkostenpreises zulässig und die Anordnung einer Preisprüfung auf Selbstkostenbasis rechtmäßig gewesen.

Das Urteil zum Nachlesen finden Sie hier.

3DVT-450-160

Einschätzung und Praxishinweis

Das BVerwG hat preisrechtlich folgerichtig entschieden, dass die Verkehrsüblichkeit des Preises nicht alleine aus der Marktgängigkeit der Leistung anzunehmen ist und dass der verkehrsübliche Preis nicht innerhalb einer Bandbreite liegt oder einen Durchschnittswert darstellt, sondern exakt denjenigen Preis darstellt, der üblicherweise am Markt erzielt wird.

In der Praxis werden für die Prüfung und Anerkennung der Verkehrsüblichkeit überwiegend mehrere Umsatzakte mit öffentlichen und privaten Auftraggebern verlangt. Hier sieht das Gericht auch die Möglichkeit des Entstehens eines betriebssubjektiven Marktpreises, wenn eine Leistung nur von öffentlichen Auftraggebern nachgefragt wird bzw. die öffentliche Hand über ein Nachfragemonopol verfügt. Dabei handelt es sich jedoch streng genommen um keine Änderung, aber immerhin um eine Bestärkung der bereits jetzt beschriebenen preisrechtlichen Möglichkeiten (vgl. Ebisch/Gottschalk/ Hoffjan/Müller/Waldmann, Preise und Preisprüfungen bei öffentlichen Aufträgen, 8. Aufl., § 4 VO PR Nr. 30/53 Rn. 43 und Nr. 5 a des Ersten Runderlasses betr. Durchführung der Verordnung PR Nr. 30/53 über die Preise bei öffentlichen Aufträgen vom 21. November 1953).

Neben dem Hinweis, dass die Frage eines Alleinstellungsmerkmals genauer zu prüfen sei, gibt es noch eine weitere interessante praxisrelevante Aussage – nämlich zum Fehlen von Vergleichsaufträgen bei neuen Anbietern (z.B. Start-up-Unternehmen). Nach Auffassung des Gerichts können hier bei einer nachträglichen Preisprüfung auch nachfolgende Umsätze bzw. spätere Abschlüsse als Vergleichsaufträge herangezogen werden.

Es bleibt abzuwarten, ob sich durch dieses Urteil eine Auswirkung auf die Preisprüfungspraxis ergibt.

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Über Michael Singer

Michael Singer beschäftigt sich seit 1988 ausführlich mit der Thematik „Öffentliches Preisrecht und Preisprüfungen“. Er veranstaltet praxisorientierte Seminare zum öffentlichen Preisrecht und berät Unternehmen vor Preisprüfungen und auf dem Weg zu prüfsicheren öffentlichen Aufträgen (https://www.singer-preispruefung.de). Außerdem ist er Mitveranstalter des Deutschen Preisrechtstags, tritt als Referent bei Tagungen und Fachseminaren auf und veröffentlicht regelmäßig einschlägige Fachbeiträge.

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