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„Institutionalisierten Lobbyismus beenden“ – Ein Interview mit Prof. Dr. Edda Müller

Mueller_Edda Prof. Dr. Edda Müller war von 2010 bis zum 15. Juni 2019 Vorsitzende von Transparency International Deutschland e.V.. In einer Pressemitteilung unter dem Titel „Vergaberecht modernisieren – „institutionalisierten Lobbyismus“ beenden“ (siehe Vergabeblog.de vom 03/05/2019, Nr. 40554) hat Sie sich sehr deutlich für eine konsequente Fortsetzung der Vergaberechtsmodernisierung in Deutschland ausgesprochen. Vergabeblog hat hierzu mit Frau Prof. Dr. Müller ein Interview geführt.

Die Kritik von Transparency International Deutschland e.V. zielt im Wesentlichen auf die immer noch bestehende Eigenständigkeit der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB/A) ab, deren Zukunft in der Diskussion steht (Vergabeblog.de vom 23/03/2018, Nr. 36121). Gegen den vom BMWi im Koalitionsvertrag vorgesehenen Prüfauftrag zur Vereinheitlichung des Vergaberechts hat sich mit dem „Manifest pro VOB“ zwischenzeitlich ein Kreis von Auftragnehmern öffentlicher Bauvorhaben an den Deutschen Bundestages gewandt, um eine Integration der VOB/A in die VgV, so wie bereits mit der VOF geschehen, zu verhindern.

Vergabeblog: Die VOB/A ist fast 100 Jahre alt. Handelt es sich dann nicht um ein bewährtes Regelwerk, das sich den Anforderungen der jeweiligen Zeit gut angepasst hat?

Prof. Dr. Edda Müller: Die Frage lautet doch, was sich bewährt hat und wie die Realität öffentlicher Bauvorhaben in der breiteren Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Führen die Regelungen der VOB/A wirklich zu guten Ergebnissen? Nicht wenige Projekte leiden unter Baukosten, die aus dem Ruder laufen, Verzögerungen bei der Fertigstellung und qualitativen Mängeln in der Bauausführung. Bürgerinnen und Bürger nehmen dies verständlicherweise mit Verwunderung zur Kenntnis. Der Unmut über besonders gravierende Fälle ist dementsprechend groß – Nehmen Sie nur den Flughafen BER als Beispiel. Daher zu meinen, dass das Alter einer Regelung für deren Qualität spreche – je älter die Regelung, desto besser oder bewährter – ist wenig überzeugend und führt nicht weiter.

Vergabeblog: Sie führen in Ihrer Pressemitteilung aus, dass die VOB/A ein mehr an unnötiger Bürokratie schaffe und komplizierte Vergabeverfahren bedeute. Könnten Sie dies näher erläutern?

Prof. Dr. Edda Müller: Mit der VgV liegt nun ein neues, einheitlich strukturiertes Regelwerk vor. Der Logik folgend, sollten auch die Bauvergabeverfahren dort geregelt sein, um Widersprüche und Disharmonien in der Systematik und den Begrifflichkeiten zu beenden. Wie mit der Integration der VOF in die VgV bereits geschehen, können Spezifika unterschiedlicher Vergabebereiche dort ohne Probleme in einem Regelwerk abgebildet werden – vom Allgemeinen zum Spezifischen. Dies würde die Klarheit und Vereinheitlichung schaffen, die angezeigt ist, um die Anwendung des Vergaberechts zu vereinfachen.

Vergabeblog: Der Deutsche Vergabe- und Vertragsausschusses für Bauleistungen (DVA) ist gleichmäßig mit Vertreterinnen und Vertretern der Auftragnehmer öffentlicher Bauvorhaben und öffentlichen Auftraggebern besetzt. Handelt es sich dabei tatsächlich um „institutionalisierten Lobbyismus“ der Bauwirtschaft oder ist dies nicht ein gutes Beispiel für Korporatismus, indem betroffene gesellschaftliche Gruppen an dem politischen Entscheidungsprozess beteiligt werden?

Prof. Dr. Edda Müller: Ich bin Anhängerin des Subsidiaritätsprinzips. Sofern keine guten Gründe dagegensprechen, sollten Dinge auf der Ebene der Betroffenen und in örtlicher Nähe geregelt werden. Ich würde dann jedoch erwarten, dass der DVA und die dort versammelten Expertinnen und Experten sich mit den bereits genannten Problemen öffentlicher Bauprojekte wirklich auseinandersetzen. Echte Reformvorschläge konnte ich bisher nicht erkennen. Erst recht nicht zu den wichtigen Themen, wie beispielsweise die Verhinderung von Schwarzarbeit, die insbesondere im Bereich des Einsatzes von Nachunternehmern ebenso problematisch ist wie die Klärung von Verantwortlichkeiten für Baumängel, die Vorsorge gegen Korruptionsrisiken oder die Förderung qualitativ nachhaltigen Bauens.

Korporatismus hilft sicher in vielen Bereichen gute und akzeptable Lösungen zu finden. Er stößt aber dort an seine Grenzen, wo es um die Vermeidung von Interessenkonflikten und die Durchsetzung einseitiger wirtschaftlicher Interessen einzelner Akteure geht. Wer kann wann und in welchem Umfang Einfluss auf das Ergebnis nehmen? Das sind doch die entscheidenden Fragen. Im Übrigen benötigt funktionierender Korporatismus, wie der Parlamentarismus auch, Transparenz. Entscheidungen des DVA und wie diese zustande gekommen sind, können nicht nachvollzogen werden. Sitzungsprotokolle und Beschlüsse sind für die Allgemeinheit nicht zugänglich. Überdies waren die Ergebnisse dieser Verhandlungen hinter verschlossenen Türen jahrzehntelang auch von der Rechtsprechung vor einzelnen Korrekturen geschützt. Diese „Rundum-Privilegierung“ scheint sich in die DNA des DVA eingenistet zu haben.

Vergabeblog: Was sollte getan werden?

Prof. Dr. Edda Müller: Wenn der DVA fortbesteht, müssten in transparenter Weise Vorschläge für tatsächliche und wirksame Verbesserungen der öffentlichen Auftragsvergabe im Baubereich unterbreitet werden, anstatt rechtliche und technische Fragestellungen mit der Abwägung wirtschaftlicher Partikularinteressen zu vermengen.

Diese Vermengung führt letztlich dazu, dass in den Regelungen der VOB/A keine Impulse zur Lösung der benannten Probleme zu finden sind. Auch andere große Themen der Zeit, wie etwa der Klimaschutz, werden unter den jetzigen Zusammensetzungs- und Arbeitsbedingungen des DVA sicher nicht nach vorne gebracht. Werden diese bauspezifischen Problemfelder nicht adressiert, kann ich schlichtweg nicht erkennen, warum für die Durchführung eines Vergabeverfahrens im Baubereich andere Regelungen gelten sollen als für die Vergabe von Liefer- und Dienstleistungen. Die damit einhergehende Unübersichtlichkeit benötigt niemand.

Gleichwohl braucht es für den Baubereich eigene Vertragsbedingungen, samt entsprechenden Formblättern und dergleichen. Jedoch sollten die Vertragsbedingungen von technischen Einzelregelungen um diejenigen Bedingungen entschlackt werden, die wirtschaftliche Interessen erkennbar werden lassen.

Mit dem Inkrafttreten des neuen BGB-Bauvertragsrecht zu Beginn letzten Jahres sind nicht mehr alle Regelungen der VOB/B in ihrer jetzigen Form AGB-rechtlich wirksam. Dieses Problem hat der DVA zwar erkannt. Eine daraus folgende notwendige Änderung wurde bis heute aber nicht beschlossen. Mir scheint dies ein weiteres Indiz dafür zu sein, dass in den jetzigen Strukturen des DVA nur schwer Lösungen zu erzielen sind.

Vergabeblog: Auch im parlamentarischen Gesetzgebungsprozess werden verschiedene Interessengruppen angehört. Zudem versucht eine Vielzahl von Interessensvertretern Einfluss zu nehmen. In der Folge dürfte eine vollständige Transparenz über die Urheberschaft bestimmter gesetzlicher Regelungen, Ausnahmetatbestände und Besonderheiten faktisch kaum zu erreichen sein. Was würde mit einer Verlagerung der Arbeit des DVA an der VOB auf die ministerielle/politische Ebene des Bundes besser?

Prof. Dr. Edda Müller: Ich stimme zu, dass vollständige Transparenz ein Ideal ist. Das Bestreben muss stets sein, diesem Ideal möglichst nahezukommen. Die Bürgerinnen und Bürger, die durch ihre Steuern und Abgaben öffentliches Bauen finanzieren und letztlich überhaupt ermöglichen, haben im DVA derzeit keine Stimme. Diese ließe sich nur über eine durch Wahlen legitimierte Vertretung der Bürgerinnen und Bürger erreichen. Durch die gesetzliche Verpflichtung der öffentlichen Hand die VOB anzuwenden, die weder ein Gesetz im formellen Sinne noch eine Rechtsverordnung ist, haben wir derzeit faktisch eine Rechtssetzung außerhalb parlamentarischer Kontrolle. Die Bürger bleiben folglich draußen.

Eine Kompetenzverlagerung auf die ministerielle/politische Ebene würde dies ändern. Auch wenn es sich bei der VgV um eine Rechtsverordnung, also exekutives Recht handelt, würde sich die Rechtssetzung im normalen politischen und parlamentarisch kontrollierten Betrieb befinden, der durch Wahlen legitimiert ist. Insbesondere wäre der Bundesrat beteiligt, was zumindest die Chancen für eine stärkere Berücksichtigung der Kommunalinteressen erhöhen würde. Ob die Ergebnisse besser werden, ist schwer vorauszusagen. Verantwortlichkeiten für Defizite im Bereich öffentlicher Bautätigkeit wären allerdings klarer zuzuordnen.

Vergabeblog: Eine Reform des DVA scheidet demnach für Sie aus?

Prof. Dr. Edda Müller: Entscheidend wäre die Frage, wer alles Zugang und eine Stimmberechtigung im reformierten DVA erhält. Der Kreis der Beteiligten ist bereits jetzt groß und erschwert offenkundig Entscheidungsfindungen. Durch Offenlegung von Sitzungsprotokollen und Beschlüssen, wäre sicher Transparenz gewonnen. Vorausgesetzt, diese verfügen über einen echten Informationscharakter und lassen erkennen, über was verhandelt wurde und warum das eine jedoch nicht das andere umgesetzt wird. Gremien mit vielen unterschiedlichen beteiligten Interessengruppen laufen jedoch immer Gefahr, sich in Klein-Klein Diskussionen zu verlieren. Das Transparenzerfordernis schafft zudem noch größere Hürden, sich auf konkrete Beschlüsse und eindeutige Formulierungen zu einigen.

Und wie gesagt, im öffentlichen Auftragswesen sind stets die großen Themen und Impulse zu berücksichtigen. Ich nannte bereits den Klimaschutz und die neuen Formen des Bauens. Das Hochhalten und Entwickeln sozialer Standards in der Auftragsausführung zählt sicher auch dazu. Hierfür sind die „Fachbruderschaften“ des Korporatismus nicht die richtige Instanz.

Vergabeblog: Sehr geehrte Frau Prof. Dr. Müller, ich danke Ihnen für das Gespräch!

Das Interview führte Jan Buchholz vom Deutschen Vergabenetzwerk (DVNW).

Anmerkung der Redaktion

Frau Prof. Dr. Müller wird im Rahmen des 6. Deutschen Vergabetages am 24.10.2019 an der Podiumsdiskussion unter dem Titel: „Anspruch vs. Notwendigkeit: Öffentliches Auftragswesen zwischen Wettbewerb und Standortpolitik“ in Berlin teilnehmen. Die Diskussion wird von dem Präsidenten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung e.V. (DIW), Prof. Michael Fratzscher, moderiert. Zum Programm des 6. Deutschen Vergabetags gelangen Sie hier.

Der 6. Deutsche Vergabetag ist bereits ausgebucht. Sie können sich jedoch auf die eingerichtete Warteliste setzen lassen (per Mail an info@dvnw.de).

Das in der Einleitung erwähnte „Manifest pro VOB“ finden Sie im Mitgliederbereich des Deutschen Vergabenetzwerks (DVNW), hier. Noch kein Mitglied? Zur kostenlosen Mitgliedschaft geht es hier.

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