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Rheinland-Pfalz richtet Vergabeprüfstellen unterhalb der EU-Schwellenwerte ein

Ab dem 01.06.2021 können etwaige Verstöße gegen vergaberechtliche Bestimmungen in Rheinland-Pfalz auch bei Verfahren mit einem geschätzten Auftragsvolumen unterhalb der maßgeblichen EU-Schwellenwerte gerügt und vor Vergabeprüfstellen überprüft werden. Die entsprechende Landesverordnung (GVBl. 2021 Nr. 9 v. 02.03.2021, S.123) bildet den Rechtsschutz unterhalb der Schwellenwerte demjenigen oberhalb der Schwellenwerte strukturell nach. Die Regelungen sind damit weit umfangreicher und detaillierter als etwa das sächsische oder das thüringische Vergabegesetz es vorsieht. Obwohl das Verfahren als verwaltungsinterne besondere Form der Rechts- und Fachaufsicht ausgestaltet ist, bedeutet es für Bieter gleichwohl eine substanzielle Verbesserung ihrer Rechte. Es bleibt aber abzuwarten, in welchem Umfang Bieter tatsächlich Rechtsschutz suchen werden, zumal der Gesetzgeber im nachvollziehbaren Interesse zügiger Beschaffung vergleichsweise hohe Hürden aufgestellt hat.

Einführung

Vergaberecht kennzeichnet sich unter anderem durch seine Zweiteilung in die Vorschriften für Aufträge oberhalb und unterhalb der EU-Schwellenwerte. Mit § 7 a Abs. 1 des Mittelstandsförderungsgesetzes hat Rheinland-Pfalz bereits 2019 die gesetzliche Grundlage für die Einrichtung von Vergabeprüfstellen für Vergabeverfahren unterhalb der Schwellenwerte geschaffen. Die aufgrund dieses Gesetzes erlassene Landesverordnung über die Nachprüfung von Vergabeverfahren tritt am 1. Juni 2021 in Kraft. Die Regelungen zur Nachprüfung sind zunächst befristet bis zum 30. Juni 2024.

Oberhalb der Schwellenwerte sind Bieter bereits seit 1999 berechtigt, etwaige Verstöße gegen vergaberechtliche Bestimmungen zu rügen und durch die Vergabekammern und Oberlandesgerichte überprüfen zu lassen (§§ 155 ff. GWB). Eine vergleichbare Möglichkeit zur Überprüfung von Vergabeverfahren unterhalb der Schwellenwerte gab es in Rheinland- Pfalz und den allermeisten Ländern bislang nicht. Insoweit haben Unternehmen de lege lata zwar die Möglichkeit, einstweiligen Rechtsschutz vor den ordentlichen Gerichten zu beantragen. Diese Möglichkeit hat sich indes in der Vergangenheit aus unterschiedlichen Gründen als ineffizient erwiesen. Die Rechtsnatur der Entscheidung (bei Rechtsaufsicht) wird wohl als unanfechtbare Weisung zu qualifizieren sein. Die Möglichkeit zur Nachprüfung vor Vergabeprüfstellen tritt nach unserer Auffassung künftig neben das weiterhin bestehende Recht der Bieter, Eilrechtsschutz vor den ordentlichen Gerichten in Anspruch zu nehmen (Primärrechtschutz gem. §§ 935 f ZPO).

Nachfolgend werden die wesentlichen Aspekte der Vergabeprüfung unterhalb der Schwellenwerte in Rheinland-Pfalz skizziert.

Anwendungsbereich

Aufgrund der Vielzahl von Ausschreibungen unterhalb der Schwellenwerte (ca. 70 bis 90% aller Vergaben) nimmt die Verordnung Aufträge geringeren Umfangs von der Nachprüfung aus. Für den Rechtsschutz gegen etwaige Vergabeverstöße muss der Auftragswert oberhalb von Prüfungswertgrenzen liegen, die die Verordnung definiert. Diese betragen

– für Bauleistungen:

– vom 1. Juli 2021 bis zum 30. Juni 2022 100.000,00 € ohne Umsatzsteuer und

– ab dem 1. Juli 2022 75.000,00 € ohne Umsatzsteuer

– für Liefer- und Dienstleistungen:

– ab 1. Juni 2021 75.000,00 € ohne Umsatzsteuer

Die Landesverordnung erfasst öffentliche Aufträge aller haushaltsrechtlich gebundenen Vergabestellen mit Ausnahme oberster Landesbehörden (d.h. insb. Ministerien). Bieter können mit anderen Worten öffentliche Aufträge sämtlicher übrigen Landesbehörden, Kreisen und Gemeinden sowie deren juristischen Personen des öffentlichen Rechts überprüfen lassen. Vom persönlichen Anwendungsbereich nicht erfasst werden dagegen Unternehmen der öffentlichen Hand in Privatrechtsform, d.h. z. B. staatliche beherrschte Tochtergesellschaften der jeweiligen Stadt-Holding. Die Verordnung kennt weiter Ausnahmen vom Anwendungsbereich im Einzelfall, etwa für Vorhaben der Auftragsverwaltung.

Informations- und Wartepflicht

Für die von der Verordnung erfassten öffentlichen Aufträge führt die Verordnung dann eine Informations- und Wartepflicht ein, die § 134 GWB nachgebildet ist. Oberhalb der Prüfungswertgrenzen müssen öffentliche Auftraggeber künftig Bieter, deren Angebote nicht berücksichtigt werden, insb. über den Namen des Bestbieters informieren und dürfen den Zuschlag grundsätzlich erst nach Ablauf einer Frist von mindestens sieben Kalendertagen erteilen (§ 4 Landesverordnung). Damit entfällt ein wesentliches Hindernis für effektiven Rechtsschutz unterhalb der Schwellenwerte. Bieter waren zwar auch schon vor Inkrafttreten der Verordnung berechtigt, die Verletzung vergaberechtlicher Bestimmungen im Wege einstweiligen Rechtsschutzes vor den Landgerichten prüfen zu lassen. Sie waren mangels einer Informationspflicht über den beabsichtigten Zuschlag sowie mangels einer Stillhaltefrist aber in aller Regel faktisch daran gehindert, diese Möglichkeit auch praktisch auszuüben.

Verfahren

Die Nachprüfung selbst ist dem Nachprüfungsverfahren vor den Vergabekammern oberhalb der Schwellenwerte nach dem 4. Teil des GWB nachgebildet. Eine Nachprüfung findet also nur auf Veranlassung eines Bieters oder Bewerbers statt, den eine Rügeobliegenheit – in den Worten der Verordnung eine Obliegenheit zur Beanstandung – trifft.

Die Beanstandung bedarf nach der Verordnung der Schriftform und einer Begründung. Hilft der Auftraggeber der Beanstandung nicht ab, unterrichtet er den Bieter und legt die Beanstandung sowie die Vergabeakte der Vergabeprüfstelle zur Entscheidung vor. Bis zur Entscheidung darf der Auftraggeber den Zuschlag nicht erteilen (Zuschlagsverbot). Die Bieter sind berechtigt, Verstöße gegen die Informations- und Wartepflicht auch noch nach Zuschlagserteilung zu beanstanden.

Die Verordnung sieht für das Verfahren vor der Vergabeprüfstelle Mitwirkungspflichten des jeweiligen Auftraggebers, aber keine Mitwirkungsrechte des betroffenen Bieters vor. Dieser hat aus der Verordnung weder Anspruch auf Gehör, eine mündliche Verhandlung noch ein Akteneinsichtsrecht. Diese fehlenden Bieterrechte sind Folge der Rechtsnatur der Nachprüfung. Die Vergabeprüfstelle entscheidet über die Beanstandung nach dem Willen des Verordnungsgebers im Rahmen eines verwaltungsinternen Verfahrens und handelt dabei in einer besonderen Form der Rechts- und Fachaufsicht.

Ähnlich den Vergabekammern trifft die Vergabeprüfstelle keine Pflicht zur umfassenden Rechtmäßigkeitskontrolle. Die Vergabeprüfstelle soll sich bei ihrer Prüfung auf den Inhalt der Beanstandung beschränken. Sie ist vielmehr zu einer sehr schnellen Entscheidung verpflichtet. Sie hat grundsätzlich binnen zwei Wochen nach Eingang der Vergabeakte zu entscheiden und darf diese Entscheidungsfrist einmalig um eine Woche verlängern. Entscheidet sich nicht innerhalb der Frist, darf Auftraggeber den Zuschlag erteilen.

Die Vergabeprüfstelle ist berechtigt, eine Beanstandung zurückzuweisen, wenn der Bieter seiner Rügeobliegenheit nicht befolgt hat und erkannte oder erkennbare Verstöße nicht oder nicht rechtzeitig beanstandet hat. Hat der Bieter seiner Obliegenheit genügt, kann die Vergabeprüfstelle zur Sache entscheiden. Je nach Sachverhalt ist sie berechtigt, eine Beanstandung als unbegründet zurückzuweisen aber auch, Weisungen an die jeweilige Vergabestelle mit dem Ziel der Heilung von Vergabefehlern auszusprechen. Unter bestimmten Voraussetzungen ist die Vergabeprüfstelle auch berechtigt, einen öffentlichen Auftrag für unwirksam zu erklären.

Die Vergabeprüfstelle wird bei dem Ministerium für Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Weinbau Rheinland-Pfalz als zentrale Nachprüfbehörde eingerichtet werden.

Kosten

Die Vergabeprüfstelle ist verpflichtet, für ihre Amtshandlungen Gebühren zu erheben. Die Verordnung setzt insoweit eine Rahmengebühr zwischen EUR 100 und EUR 2.500 fest. In Ausnahmefällen können auch höhere Gebühren festgesetzt werden, Gebühren werden bei Erfolg der Nachprüfung  nicht erhoben. In diesem Fall ist der Bieter nicht berechtigt, die Erstattung von Aufwendungen zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung geltend zu machen.

Bewertung und Auswirkungen für die Praxis

Aus rechtlicher Sicht beinhaltet die Verordnung in ihrer jetzigen Form einige schwer nachvollziehbare Regelungen. Während öffentliche Auftraggeber gehalten sind, Vergabeverfahren elektronisch zu führen, sind Bieter verpflichtet, Beanstandungen schriftlich einzureichen. Zudem sind die Bieter verpflichtet, Gebühren für erfolglose Beanstandungen zu zahlen, haben aber keine Möglichkeit, auf Verfahren und Entscheidung der Vergabeprüfstelle einzuwirken. Bedenklich scheint auch, dass die Vergabeprüfstelle auch bei rechtlich oder tatsächlich anspruchsvollen Sachverhalten ihre Entscheidungsfrist nicht verlängern darf. Gerade bei Dienstleistungsaufträgen stellen sich auch unterhalb der Schwellenwerte häufig anspruchsvolle, tatsächliche und rechtliche Fragen. Kann die Vergabeprüfstelle hier binnen kurzer Frist keine Entscheidung treffen, darf der Auftraggeber den Zuschlag unabhängig davon erteilen, ob ein Rechtsverstoß vorliegt oder nicht. Bieter sind daher gut beraten, in kritischen Situationen eine bewusste Entscheidung zwischen Nachprüfung vor der Vergabeprüfstelle oder dem weiterhin zulässigen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz vor den ordentlichen Gerichten zu treffen.

Die Verfasser dieses Beitrags sind unterschiedlicher Auffassung, ob Bieter trotz der vergleichsweise geringen Auftragswerte und Mitwirkungsrechte oder gerade wegen des geringen Verfahrensaufwandes (einmalige schriftliche Beanstandung)  von der neuen Möglichkeit auf Nachprüfung Gebrauch machen werden. Unabhängig davon ist die Rechtschutzmöglichkeit im Ergebnis zu begrüßen und Signal an öffentliche Auftraggeber, Vergabeverfahren, noch sorgfältiger als bislang zu führen.

Kontribution

Der Beitrag wurde gemeinsam mit Frau Rechtsanwältin Katharina Strauss verfasst.

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Über Katharina Strauss

Frau Strauss (KUNZ Rechtsanwälte, Mainz) berät bei europaweiten und nationalen Ausschreibungsverfahren auf Auftraggeber- und Bieterseite. Sie fungiert oft als Kontaktstelle und koordiniert elektronische Verfahren auf Plattformen. Sie publiziert und referiert regelmäßig zu vergaberechtlichen Themen.

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Über Dr. Andreas Ziegler

Herr Dr. Ziegler (KUNZ Rechtsanwälte, Mainz) berät umfassend zum Vergabe- und öffentlichen Wirtschaftsrecht. Er berät und vertritt sowohl die öffentliche Hand als auch Bieter in allen Bereichen des Vergaberechts, insbesondere zu Verkehrs-, Bau- und IT/IP-Projekten. Er veröffentlicht regelmäßig und ist Referent in Fachseminaren für vergaberechtliche Fragen.

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