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Verletzung des Geheimwettbewerbs bei miteinander verflochtenen Unternehmen (VK Rheinland, Beschl. v. 19.05.2021 – VK 6/21-L)

EntscheidungDie Anforderungen an die Vermeidung eines Ausschlusses sind hoch. Bieter mit personenidentischen Geschäftsführern oder mit anteilsmäßigen Verflechtungen zu anderen Branchenunternehmen laufen leicht Gefahr, allein schon aufgrund ihrer Verflechtungen den Ausschlussgrund des § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB zu verwirklichen. Dafür reicht es bereits aus, wenn ein Bieter ein Angebot in Kenntnis des Angebotsinhalts des jeweils anderen abgibt. Bei engen Verflechtungen wird dies sogar rechtlich vermutet. Dann ist es Aufgabe der Bieter, diese Vermutung wirksam zu entkräften. Die Anforderungen an die Widerlegung der Vermutung sind aber hoch.

§ 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB, § 18 Abs. 2 AktG, § 36 Abs. 2 GWB

Sachverhalt

Die öffentliche Auftraggeberin schrieb Leistungen der Kampfmittelbeseitigung in 15 Losen europaweit aus. Dabei sah die Ausschreibung ein komplexes System der Loslimitierung vor: ein und derselbe Bieter konnte immer nur eine begrenzte Anzahl an Losen gewinnen. Die Antragstellerin reichte, ebenso wie zahlreiche weitere Bieter, Angebote ein. Die Antragstellerin sollte auf zwei Lose den Zuschlag erhalten. Aus dem Mitteilungsschreiben gemäß § 134 GWB über die beabsichtigte Zuschlagserteilung ging hervor, dass sich neben zahlreichen weiteren Firmen auch zwei Unternehmen erfolgreich auf unterschiedliche Lose beteiligt hatten, die quasi Schwesterunternehmen sind. Diese haben die gleichen Geschäftsführer und die gleichen Anteilseigner. Die Antragstellerin rügte daraufhin die beabsichtigte Vergabe an diese beiden Unternehmen mit der Begründung, dass aufgrund der engen Verflechtungen der Unternehmen die Vermutung bestehe, dass diese sich bei Angebotsabgabe wettbewerbswidrig abgesprochen haben könnten. Die Auftraggeberin führte hinsichtlich dieses Vorwurfs eine Aufklärung durch, hielt im Ergebnis aber an ihrer Zuschlagsentscheidung fest. Sie vertraute dabei im Ergebnis auf eidesstattliche Erklärungen beider Unternehmen, dass diese ihre Angebote nicht in Kenntnis voneinander abgegeben hätten. Das überzeugte die Antragstellerin nicht. Daher beantragte sie die Nachprüfung der Vergabe bei der Vergabekammer Rheinland.

Die Entscheidung

Die Vergabekammer Rheinland hat dem Nachprüfungsantrag stattgegeben und festgestellt, dass wegen der engen Verbindung der beiden angegriffenen Unternehmen eine widerlegbare Vermutung für wettbewerbswidrige Absprachen bestehe. Für eine wettbewerbswidrige Absprache im Sinne von § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB reiche es bereits aus, wenn ein Bieter ein Angebot lediglich in Kenntnis des Angebots eines anderen Bieters abgebe. Durch die personenidentischen Gesellschafter, die personenidentische Geschäftsführung und die Tätigkeit auf dem identischen Geschäftsfeld liege eine einheitliche Unternehmensführung vor, die aus welchen Gründen auch immer künstlich auf zwei unterschiedliche juristische Personen aufgeteilt worden sei. Aufgrund der Personenidentität auf Geschäftsführungsebene haben beide Unternehmen per se Zugriff auf alle angebotsrelevanten Informationen des jeweils anderen Unternehmens.

Um einen Ausschluss nach § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB zu vermeiden, müssten die betroffenen Unternehmen die Vermutung eines wettbewerbswidrigen Verhaltens aktiv widerlegen und nachweisen, dass die Angebote unabhängig voneinander erstellt wurden. Die Auftraggeberin müsste den Unternehmen hierzu Gelegenheit zur Stellungnahme geben und dann prüfen und bewerten, ob die Widerlegung gelungen ist. Dabei stehe der Auftraggeberin ein Beurteilungsspielraum zu (§ 124 GWB ist schließlich nur ein fakultativer Ausschlussgrund).

Dieser Spielraum war vorliegend aber überschritten. Denn nach der Vergabekammer ist für die Widerlegung der Vermutung wettbewerbswidrigen Verhaltens erforderlich, dass die Bieter schon im Vorfeld der Angebotsabgabe strukturelle Maßnahmen getroffen haben, die einen Wettbewerbsverstoß bereits im Ansatz und effektiv verhindern. Es reiche nicht aus, wenn die betroffenen Unternehmen lediglich versichern (etwa im Wege von eidesstattlichen Erklärungen), dass sie ihr Angebotsverhalten nicht aufeinander abgestimmt hätten. Das Vertrauen auf eine bloße Versicherung werde der engen Verflechtung der Unternehmen nicht gerecht.

Rechtliche Würdigung

Die Entscheidung der Vergabekammer ist auf einer Linie mit früheren Entscheidungen, insbesondere des OLG Düsseldorf (Beschluss vom 11.05.2011 – Verg 8/11; Beschluss vom 13.04.2011 VII-Verg 4/11; Beschluss vom 27.07.2006 – Verg 23/06) und daher keine Überraschung. Im Fall von konzernverbundenen Unternehmen und insbesondere bei Personenidentität auf Geschäftsführungsebene ist es ein Stück weit blauäugig, wenn Auftraggeber auf Erklärungen oder Versicherungen vertrauen, wonach es keine Kenntnis oder Absprache gegeben habe. Gerade bei Personenidentitäten auf relevanten Positionen besteht eine große Gefahr der wechselseitigen Kenntnisnahme von angebotsrelevanten Informationen. Dabei bedarf es gar nicht zwingend eines Konzernverbunds im aktienrechtlichen Sinne. Auch vergleichbare Strukturen, wie hier, bieten offensichtlich das gleiche Risikopotential. Hier kam letztlich alles, was überhaupt nur denkbar ist, zusammen: die Unternehmen hatten Personenidentität bei sämtlichen Geschäftsführern und auch eine vollkommen identische Gesellschafterstruktur; sie waren zudem auf dem gleichen Geschäftsfeld tätigt und teilten sich Servicefunktionen, wie z.B. die IT. Letztlich hatte die Vergabekammer hier einen Paradefall einer problematischen Verflechtung vorliegen. Andere Konstellationen in der Praxis sind häufig weniger eindeutig.

Es ist angesichts des Umstands, dass im Vergaberecht schon der Schein unlauteren Verhaltens zu bekämpfen ist, folgerichtig, dass die Rechtsprechung in solchen Konstellationen eine widerlegbare Vermutung wettbewerbswidrigen Verhaltens annimmt. Soll diese Vermutung wirksam widerlegt werden, bedarf es in der Tat struktureller Maßnahmen, die wettbewerbswidrige Verhaltensweisen schon im Vorfeld und im Ansatz wirksam verhindern. Würde die bloße Versicherung, man habe sich nicht abgesprochen, schon ausreichen, könnten wettbewerbswidrige Verhaltensweisen kaum wirksam bekämpft werden.

Praxistipp

Bieter in Konzernverbünden oder mit anteilsmäßigen Verflechtungen zu anderen Branchenunternehmen sollten der hier dargestellten Problematik frühzeitig gewahr sein. Ist eine gleichzeitige Beteiligung an derselben Ausschreibung einmal erfolgt, ist es meist schon zu spät, um rettende Maßnahmen zu ergreifen. Für ein wettbewerbswidriges Verhalten kann es bei einer Loslimitierung dabei schon ausreichen, wenn konzernverbundene Unternehmen sich dazu abstimmen, auf welche Lose sie jeweils anbieten wollen oder ihr Angebotsverhalten lediglich in Kenntnis der Wunschlose des jeweils anderen ausüben. Unabhängig von einer Loslimitierung reicht bereits eine Kenntnis von ca. 50% des Angebotsinhalts eines anderen Bieters für ein wettbewerbswidriges Verhalten aus.

Soll ein Ausschluss verhindert werden, erfordert das je nach Ausmaß der Verflechtung in der Regel ein ganzes Maßnahmenpaket: chinese walls im IT-technischen Sinne, Vertraulichkeitsvereinbarungen /-erklärungen, Zuständigkeitsabgrenzungen etc. Letztlich müssen alle potentiellen Informationskanäle zwischen den Unternehmen schon im Vorfeld wirksam geschlossen werden. Die dafür ergriffenen Maßnahmen müssen zudem auch nachweisbar sein, damit sie im Fall einer Aufklärung durch den öffentlichen Auftraggeber auch belegbar sind.

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Über Dr. Michael Sitsen

Dr. Michael Sitsen ist Rechtsanwalt bei Orth Kluth Rechtsanwälte in Düsseldorf und Fachanwalt für Verwaltungsrecht. Er berät und begleitet seit vielen Jahren Auftraggeber und Bieter bei Ausschreibungen aller Art. Neben dem Vergaberecht gehört auch das Beihilfenrecht zu seinen Beratungsschwerpunkten. Er hält Schulungen zum Vergaberecht, u.a. für den Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e.V. (BME), und ist Autor zahlreicher Fachveröffentlichungen. Vor seiner anwaltlichen Tätigkeit war er mehrere Jahre wissenschaftlicher Mitarbeiter des bekannten Vergaberechtlers Prof. Dr. Jost Pietzcker in Bonn.

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