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Drum prüfe wie man sich bindet! – Zum Nachschieben eines Vertrages nach Zuschlagserteilung (OLG Celle, Urt. v. 29.12.2022 – 13 U 3/22)

EntscheidungBei der Zuschlagserteilung müssen die Grundlagen der Rechtsgeschäftslehre berücksichtigt werden! – Was ein bei Zuschlagserteilung untergeschobener Vertragsentwurf anrichten kann, möchte der nachfolgende Beitrag zeigen und zwei Handlungsempfehlungen gegeben, um den Abschluss des Vergabeverfahrens vorausschauend zu organisieren. Vorweggeschickt werden darf, dass es sich stets lohnt, auch Gerichtsprüche außerhalb der vergaberechtlichen Judikatur zu lesen und zu analysieren.

§§ 146, 150 Abs. 2, 154 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB)

Leitsatz (amtlich)

Zur Auslegung eines Zuschlagsschreibens, mit dem der Bieter in einem förmlichen Vergabeverfahren gebeten wird, eine Vertragsausfertigung, die nicht Bestandteil der Ausschreibungsunterlagen war, umgehend unterzeichnet zurückzusenden.

Sachverhalt

Der Zivilsenat des OLG Celle hatte über einen Schadensersatzanspruch statt der Leistung gem. §§ 280 Abs. 1 und 3, 281 Abs. 1 S. 1 BGB des klagenden Landes Niedersachsen (nachfolgend „Klägerin“) gegen eine aus zwei Unternehmen bestehende Bietergemeinschaft (nachfolgend „Beklagte“) zu entscheiden.

Die Klägerin schrieb durch die Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr (nachfolgend „Vergabestelle“) Anfang 2015 Leistungen zur Durchführung von Sicherheitskontrollen gem. § 5 Abs. 1 bis 4 des Luftsicherheitsgesetzes europaweit aus. Ein Vertragsentwurf war nicht Bestandteil der Vergabeunterlagen.

Das von der Beklagten abgegebene Angebot erhielt mit per Einschreiben übersendetem Schreiben vom 17. März 2015 den Zuschlag. Gleichzeitig wurde die Beklagte aufgefordert, die Leistungsausführung zum 1. April 2015 zu beginnen.

Ferner wurde darum gebeten, eine beiliegende Ausfertigung des Vertrages samt Anlagen umgehend unterzeichnet zurückzusenden. Das Vertragswerk wurde hierdurch erstmals zur Kenntnis der Beklagten übermittelt und wich vom Angebot der Beklagten ab. So umfasste der Leistungsumfang des Vertragsentwurfs u. a. eine Regelung zur Einsatzbereitschaft binnen 30 Minuten, die Pflicht zur Befolgung von Dienstanweisungen und die Frist zur wiederkehrend jährlichen Vorlage eines Versicherungsnachweises (vgl. Rz. 34 des Urteils).

Zuvor wurde das Zuschlagsschreiben bereits durch die Vergabestelle per Fax an die Beklagte gesendet, ohne zugleich die Anlage zu übermitteln.

Die Beklagte verweigerte gegenüber der Klägerin die Unterzeichnung des Vertragsentwurfes. Auch nachdem die Vergabestelle die Beklagte mit E-Mail aus dem März 2015 zur fristgerechten Aufnahme der Leistungsausführung und zur Rücksendung der unterzeichneten Vertragsausfertigung aufforderte, lehnte die Beklagte eine Mitwirkung ab und verneinte das Zustandekommen eines Vertrages.

Nach Ablauf des 1. April 2015 setzte die Vergabestelle der Beklagten schriftlich eine Frist zum 8. Mai 2015, zu dem die Beklagte die Ausführung der Dienstleistungen aufnehmen sollte. Simultan wurde auf die etwaige Notwendigkeit eines Deckungsgeschäfts und dadurch entstehende Mehrkosten hingewiesen.

In der Folge vollzog die Vergabestelle eine Wendung und stellte sich auf den Standpunkt, es bedürfe nicht der Gegenzeichnung der Vertragsausfertigung durch die Beklagte, da ein Vertrag bereits durch den Zuschlag zustande gekommen sei.

Erstinstanzlich verurteilte das LG Hannover am 15. Dezember 2021 (7 O 251/18) die Beklagte u. a. zur Zahlung von 488.672,29 EUR nebst Zinsen.

Die Entscheidung

Die gegen das Endurteil des LG Hannover gerichtete Berufung vor dem OLG Celle hatte Erfolg und die Klage wurde abgewiesen. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Schadensersatzanspruch aus §§ 280 Abs. 1 und 3, 281 Abs. 1 S. 1 BGB, da schon mangels korrespondierender Willenserklärungen kein Vertrag zustande gekommen ist.

Der Vertrag wurde nicht mit Zuschlagserteilung geschlossen, denn die Annahme ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung, die im Zweifel den allgemeinen Regelungen der Auslegung gem. §§ 133, 157 BGB unterliegt. Im vorliegenden Fall war die klägerseitige Übersendung des Schreibens, in welchem der Beklagten gegenüber die Bezuschlagung ihres Angebotes mitgeteilt worden ist, keine vorbehaltlose Annahme. Vielmehr gab die Klägerin durch die erstmalige Beifügung des Vertragsentwurfs gem. § 150 Abs. 2 BGB ein neues eigenes Angebot ab. Das eigentlich zuschlagsfähige Angebot der Beklagten erlosch damit gem. § 146 BGB.

Grund hierfür sind die im Vertragsentwurf enthaltenen Regelungen, die sich nicht korrespondierend im Angebot der Beklagten wiederfanden.

Auch gemäß des objektiven Empfängerhorizontes durfte die Beklagte nach Auslegung des Zuschlagsschreibens mit den beigefügten Vertragsunterlagen nicht davon ausgehen, dass die Klägerin das Angebot vorbehaltlos annehmen und zugleich einen Antrag auf Vertragsänderung bzw. -ergänzung stellen wollte. Die Beklagte durfte eher davon ausgehen, dass die Klägerin gewichtige Gründe mit dem „Nachschieben“ des Vertragsentwurfes verfolgte und der Klägerin es gerade auf das Zustandekommen des Vertrages mit dem vertraglichen Inhalt ankam.

Hierauf deutet auch die Aufforderung hin, bis zum 1. April 2015 mit der Leistungsausführung zu beginnen. Die Vorgabe des kurzen Zeitfensters dürfte zum einen für ein Festhalten der Klägerin an den vertraglichen Regelungen sprechen. Zum anderen dürfte die Aufforderung mit dem Ziel verbunden worden sein, die Klägerin hinsichtlich der Rücksendung des unterzeichneten Vertragsentwurfes unter Zeitdruck zu setzen.

Ebenso spricht das Verhalten der Klägerin innerhalb der weiteren Korrespondenz nicht für ein bloßes Änderungsangebot. Auch nach dem Aufkommen von Unstimmigkeiten zwischen den Streitparteien von nunmehr durch die Beklagte gewünschten Vertragsanpassungen, verlangte die Klägerin vehement die Übersendung der unterschriebenen Vertragsurkunde.

Zuletzt lehnt das OLG Celle die Anwendung der gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung zur vergaberechtskonformen Auslegung im Zusammenhang mit dem sog. verzögerten Vergabeverfahren auf den hiesigen Fall ab. Es läge schon keine Vergleichbarkeit zwischen den Sachverhalten vor, über die der BGH und über den das OLG Celle entscheiden musste.

Denn grundlegend sei, dass der Vertragsinhalt, der durch die vergaberechtskonforme Auslegung erzielt wird, auch in vergaberechtskonformer Weise erreicht werden kann. Dies sei im vorliegenden Fall nicht möglich, da der von der Klägerin gewollte Vertrag inhaltlich von den Bedingungen der Ausschreibung abwich.

Rechtliche Würdigung

Das OLG Celle lehnt, anders als noch die Vorinstanz, überzeugend den Abschluss eines Vertrages ab. Richtigerweise sieht er im nachträglichen Nachschieben des Vertragsentwurfes einen modifizierten Zuschlag und in ihm ein neues Angebot i. S. d. § 150 Abs. 2 BGB. Ebenso erkennt der Senat richtig, dass die Rechtsprechung zum sog. verzögerten öffentlichen Vergabeverfahren auf den hiesigen Sachverhalt nicht übertragen werden kann.

1. Die Anwendung des § 150 Abs. 2 BGB

Dem Ergebnis des OLG Celle, dass das Angebot des Bieters durch den Zuschlag nur so angenommen wird, wie es abgegeben worden ist, ist zuzustimmen. Der Zuschlag ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung und unterliegt den allgemeinen bürgerlich-rechtlichen Vorschriften der §§ 145 ff. BGB. Dadurch muss eine vom Angebot abweichende Annahme im Lichte des § 150 Abs. 2 BGB beurteilt werden.

Wenngleich das OLG Celle nicht deutlich herausstellt, dass die modifizierte Annahmeerklärung klar und unzweideutig die Abweichung vom Angebot zum Ausdruck bringen muss (vgl. BGH, Urteil v. 11. Mai 2009 – VII ZR 11/08, NJW 2009, 2443, 2445 Rz. 35) und hierdurch sich eine Subsumtion unter § 150 Abs. 2 BGB erst rechtfertigt, überzeugt die umfassende einzelfallbezogene Auslegung.

Dabei ist dem Gericht insbesondere in einem Punkt beizupflichten: Unter anderem aufgrund des „Nachschiebens“ des Vertragswerks verneint es, dass die Klägerin hier lediglich unverbindliche Änderungswünsche äußert und der Vertrag unabhängig von deren Erfüllung zustande kommen soll (vgl. OLG Celle, Urteil v. 29. Dezember 2022 – 13 U 3/22, BeckRS 2022, 37689 Rz. 39 i. V. m. Rz. 42).

Konfrontiert der Auftraggeber den Auftragnehmer erst im Zeitpunkt der Zuschlagserteilung mit einem bislang unbekannten Vertragsentwurf und bittet um Rücksendung der gegengezeichneten Ausfertigung, kann es aus Sicht des Empfängers dem Auftraggeber nur auf die Geltung des Inhalts des nachgeschobenen Vertrages ankommen.

2. Keine Übertragung der Rechtsprechung zum sog. verzögerten öffentlichen Vergabeverfahren

Ebenso ist der Verweis des OLG Celle richtig, dass die höchstrichterliche Rechtsprechung zu den sog. verzögerten öffentlichen Vergabeverfahren vorliegend nicht anzuwenden ist.

Ist ersichtlich, dass durch ein überlanges Vergabeverfahren die ursprünglich festgelegten Ausführungsfristen durch den späteren Auftragnehmer nicht mehr einzuhalten sind, wird der Vertrag dennoch zunächst mit dem Inhalt wirksam, der sich aus Angebot und Annahme ergibt. Da die Einhaltung der Ausführungsfristen tatsächlich unmöglich geworden ist, muss ggf. die ergänzende Vertragsauslegung die vertragliche Regelungslücke schließen.

Das OLG Celle zieht durch seine Ausführungen eine Grenze für die vergabekonforme Auslegung. Wie bereits die höchstrichterliche Rechtsprechung feststellte, darf nicht immer von einem vergaberechtskonformen Verhalten des Auftraggebers ausgegangen werden. Rechtlich ist es möglich, dass der Auftraggeber unter Verstoß gegen das Nachverhandlungsverbot einen Zuschlag unter veränderten Bedingungen erteilt und damit ein neues Angebot i. S. d. § 150 Abs. 2 BGB abgibt (vgl. BGH, Urteil v. 3. Juli 2020 – VII ZR 144/19, NZBau 2020, 570, 572 Rz. 29).

So war es auch im vorliegenden Fall. Die ergänzten Regelungen zur Einsatzbereitschaft binnen 30 Minuten, zur Pflicht der Befolgung von Dienstanweisungen und zur Frist zur wiederkehrend jährlichen Vorlage eines Versicherungsnachweises, waren in keinem Dokument der Vergabeunterlagen aufgeführt. Indem die Klägerin diese Vertragsregelungen eigenwillig einführen wollte, trat sie in eine Verhandlung ein, die insbesondere die Leistungsausführung betraf. Dies ist gerade im Lichte des Nachverhandlungsverbots nicht erlaubt.

Praxistipp

Einmal mehr zeigt die Entscheidung des OLG Celle die Wichtigkeit einer sorgfältigen und transparenten Vorbereitung zum einen des Vergabeverfahrens und zum anderen der Zuschlagserteilung.

Der öffentliche Auftraggeber ist bestens beraten, spätestens bis zur Vergabereife nicht nur seine Beschaffungsabsicht in einem Beschaffungsgegenstand zu konkretisieren, sondern ihn als Vertragsgegenstand, zusammen mit erschöpfend festgelegten vertraglichen Bedingungen der Leistungsausführung, in ein Vertragswerk zu gießen.

Dies gilt m. E. nach, gerade mit Blick auf die uneinheitliche Rechtsprechung, auch für das nichtoffene Verfahren und das Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb. Wenngleich das OLG Düsseldorf in seinem Beschluss vom 17. Oktober 2018 (Verg 26/18) entschied, dass für das vollständige Abrufen der Vergabeunterlagen nach § 41 Abs. 1 VgV es nicht erforderlich ist, dass das Vertragswerk bereits im Teilnahmewettbewerb Bestandteil der Vergabeunterlagen ist, sollte man eine umfangreichere Vorbereitungszeit in Kauf nehmen. Zum einen eröffnet es den interessierten Bieter bereits zu einem frühen Zeitpunkt sich mit den Modalitäten der Leistungsausführung auseinanderzusetzen. Das Instrument der Bieterfrage kann dabei bei Verständnis- oder Auslegungsfragen zum Einsatz kommen und den Boden für späterer Verhandlungen bereiten. Diese Verhandlungen können, in den Grenzen des Zulässigen, zu fruchtbaren Ergebnissen führen, da der Inhalt des Vertrages bereits früh seit der Teilnahmephase bekannt ist. Zum anderen dient die Beifügung eines vorher abschließend festgelegten Vertragsentwurfs einer komplikationslosen Zuschlagserteilung. Die besprochene Entscheidung steht im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung und zeigt, dass der öffentliche Auftraggeber nur einen geringen Spielraum für einen ordnungsgemäßen Vertragsschluss hat. Ein Abweichen vom ausgeschriebenen Leistungsinhalt durch den Zuschlag, sollte tunlichst vermieden werden. Zuschlagserklärung und Angebot sollten deckungsgleich sein. Ist dies nicht der Fall, läuft der öffentliche Auftraggeber Gefahr, dass das im Vergabeverfahren abgegebene Angebot des Bestbieters gem. § 146 BGB erlischt. Hierdurch würden auf Auftraggeber- und auf Bieterseite sämtliche Aufwendungen im Zusammenhang mit dem Vergabeverfahren zunichte gemacht werden. Dieser Fehler wird meist nur im Wege der Durchführung eines neuen Vergabeverfahrens behoben werden können. Diese zusätzlichen – vermeidbaren – Mehrausgaben möchte niemand tragen.

Sollte es doch einmal dazu kommen, dass Vertragsmodalitäten nachträglich festgelegt werden sollen, ist zu empfehlen, diese nicht hinweislos unterzuschieben. Vielmehr sollte im Zuschlagsschreiben deutlich gemacht werden, dass das Angebot des Bieters angenommen wird. Gleichzeitig sollte auf die gewünschten Klauseln verwiesen werden und zu einer anschließenden Verhandlungsgrundlage gemacht werden. Dadurch werden die vorbeschriebenen unbequemen Konsequenzen vermieden, solange die Grenzen des § 132 GWB eingehalten werden.

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Über Daniel Schölzel

Der Autor Daniel Schölzel ist Rechtsanwalt bei CLP Rechtsanwälte. Er berät private Unternehmen und öffentliche Auftraggeber in nationalen und europaweiten Ausschreibungen. Weiterhin unterstützt er auf Seiten der öffentlichen Hand und auf Bieterseite bei der Realisierung ihrer Rechte in Nachprüfungsverfahren und Schadenersatzprozessen. Derzeit berät er schwerpunktmäßig bei der Vergabe von Bau- und Planungsleistungen.

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